Rhein-Sieg-Kreis – „Wir müssen die Erinnerung an den Holocaust und die Shoah wach halten.“ Am Vormittag hatte Abraham Lehrer mit sehr persönlichen Worten im NRW-Landtag zum Gedenken an die Vernichtung von sechs Millionen Juden durch Deutsche gesprochen. Am Nachmittag wiederholte der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland seinen Appell vor der ehemaligen Synagoge in Ruppichteroth. Die Hoffnung, den Tag zu erleben, an dem seine Gemeinde in Köln auf Einlasskontrollen und Polizisten verzichten könne, habe er aufgegeben, bekannte Lehrer, der auch Vorstand der Synagogengemeinde Köln und Vorstandsvorsitzender der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland ist.
An die Befreiung des Lagers Auschwitz-Birkenau durch die Rote Armee vor 77 Jahren am 27. Januar 1945 wurde im Rhein-Sieg-Kreis gleich mehrfach erinnert. In Ruppichteroth hatten sich mehr als 100 Menschen versammelt, um an die ermordeten Jüdinnen und Juden der näheren Region zu erinnern.
Bürgermeister Mario Loskill dankte dem Projektteam, zu dem auch die Nümbrechterin Marion Reinecke gehört. Die Gemeinde hatte die ehemalige Synagoge, die sich seit 1938 in Privatbesitz befand, 2019 gekauft. Dort solle im Rahmen eines Projektes der Regionale 2025 ein Schulungs-, Begegnungs- und Konferenzzentrum entstehen, kündigte Loskill an. Die ehemalige Synagoge solle allen Generationen offen stehen. Begleitend dazu sei eine Begegnungsstätte als interreligiöse und interkulturelle Austauschstätte im Gespräch.
Gedenktafel an der Synagoge in Ruppichteroth enthüllt
Ein Höhepunkt der von Regen begleiteten Gedenkstunde war die Enthüllung einer neuen Gedenktafel mit den Namen der Opfer. Dafür waren aus Bergisch Gladbach die Enkelin und Urenkelin des jüdischen Lehrers in Ruppichteroth, Dr. Erich Deutsch, Ursula und Birgit Völkner, gekommen. Musikalisch wurde die Gedenkstunde von Professor Igor Eppstein und Vassili Ebeling begleitet. Deutsch war am 4. Oktober 1944 in Theresienstadt ermordet worden.
Die Opfer der in Ruppichteroth und den umliegenden Dörfern deportierten Jüdinnen und Juden las Judith Reinecke vor. Konfirmanden der evangelischen Kirche und weitere Ruppichterother brachten zu jedem Namen eine Kerze und ein Namenschild nach vorn. Die Pfarrer Christoph Heinzen (Katholische Kirche) und Hans-Wilhelm Neuhaus (Evangelische Kirche) leiteten das Friedensgebet des Franz von Assisi ein.
Abraham Lehrer berichtete sehr persönlich, wie er im Gegensatz zu seinen Mitschülern ohne Großeltern aufwuchs und erst mit 50 Jahren den Wunsch seines Vaters missachten konnte, nicht nach Polen zu fahren, um Auschwitz zu besuchen. Dort fand er genau die Baracke, in der seine Mutter gelebt hatte. Er forderte eine Reform der Lehrer- und Juristenausbildung mit Schwerpunkt auf der Holocaust-Erinnerung.
Mahnwache in Siegburg
In Siegburg luden die Kirchen und Gemeinden der Evangelischen Allianz im Rhein-Sieg-Kreis zu einer stillen Mahnwache vor dem Kaufhof an der Kaiserstraße und machten mit einem Davidstern aus erleuchteten Kerzen auf den Anlass aufmerksam. Bundespräsident Roman Herzog hatte 1996 den Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus als bundesweit verankerten Gedenktag eingeführt.
Pastor Daniel Pahls von der Freien evangelischen Gemeinde Buisdorf erbat im Gebet „die Kraft, sich gegen Fremdenhass zu wehren“. Seit dem Jahr 2005 begehen die Vereinten Nationen den Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust.
Weltweit wird an diesem Tag an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert, an Millionen von Juden, Sinti und Roma, Homosexuellen, Kriegsgefangenen, Menschen mit Behinderungen und politischen Gegnern. In einer Rede führte Herzog aus: „Die Erinnerung darf nicht enden; sie muss auch künftige Generationen zur Wachsamkeit mahnen.“ Jeder Gefahr der Wiederholung müsse entgegengewirkt werden.
Die Synagoge in Ruppichteroth
Die Synagoge in Ruppichteroth wurde am 1. Juli 1921 eingeweiht. Heute ist sie die einzige erhaltene Synagoge im Rhein-Sieg-Kreis. Die Zerstörung in der Pogromnacht 1938 überstand sie nur, weil sie aus nicht brennbarer Grauwacke gebaut ist.
Vor ihrem Bau hatten die Juden die Synagoge im zehn Kilometer entfernten oberbergischen Nümbrecht mit genutzt. Da der Weg beschwerlich war, traf man sich zum Gebet im Haus der Familie Marx in der Wilhelmstraße. Als die Gemeinde wuchs, wurde der Bau einer eigenen Synagoge um die Jahrhundertwende beschlossen. Dafür wurde der Verein „Chewre Kedische“ gegründet.
Heute wird der Bau als Wohnhaus genutzt. 2019 kaufte die Gemeinde nach einem einstimmigen Ratsbeschluss das Gebäude. (EB)