Cyber-GroomingWie Kinder vor sexuellen Angriffen im Netz geschützt werden können
Köln – Vieles, was sich die elf Jahre alte Lisa im echten Leben wünscht, findet sie im Chatfenster: Zuwendung, Aufmerksamkeit und das Gefühl, etwas Besonderes zu sein. Denn einer schreibt ihr immer wieder. Vielleicht nennt er sich Tim. Er ist neugierig, will alles über sie wissen: wie die Schule war, welche Musik sie hört, wie der Streit mit den Eltern weiterging. Lisa vertraut Tim.
Jeden Tag werden Kinder konfrontiert
Auch, als er fragt, ob sie ihm ein Foto von sich schickt – gerne mit weniger Kleidung. Sie schickt es ihm, obwohl es sich komisch anfühlt. Dass Tim nicht 13 ist, wie er sagt, kann sie nicht wissen. Was er mit dem Foto anstellt, auch nicht. Vielleicht schickt er es weiter, vielleicht will er irgendwann mehr als nur ein Bild von ihr.
Was zwischen der erfundenen Lisa und ihrem Chatpartner passiert, nennt sich „Cyber-Grooming“ und beschreibt die gezielte Kontaktaufnahme zu Kindern oder Jugendlichen im Internet mit sexuellen Absichten. Jeden Tag werden Kinder damit konfrontiert.
Ausmaß kaum einzuschätzen
Tobias Schmid, Leiter der Landesanstalt für Medien (LfM) NRW sagt, das genaue Ausmaß des Phänomens sei kaum einzuschätzen. Die Übergriffe werden in der Kriminalstatistik nicht gesondert erfasst und beschränken sich nicht auf einzelne Plattformen. „Wir können sagen: Überall dort, wo Kinder im Internet öffentlich miteinander kommunizieren, sind auch potenzielle Täter unterwegs“, so Schmid. Bei der LfM NRW arbeiten Medienpädagoginnen und -pädagogen an Präventions- und Aufklärungskampagnen für mehr Sicherheit im Netz.
Eine von ihnen ist Antje vom Berg. Sie beschreibt, wie die überwiegend männlichen Täter vorgehen: „Die sind sehr aufmerksam und freundlich, damit die Kinder ihnen vertrauen. Irgendwann fragen sie nach Bildern oder Videos, meist mit freizügigen Inhalten. Wenn das passiert ist, kann es vorkommen, dass die Täter die Kinder erpressen und mehr Bilder oder ein Treffen fordern.“
Selbstversuch auf einer Chat-Plattform
Oft sei die Scham bei Kindern groß, wenn es dabei um sexuelle Inhalte ginge. Sie zögerten daher, das Gespräch mit einem Erwachsenen zu suchen. Wie schnell Kinder im Internet mit sexuellen Inhalten konfrontiert werden, zeigt ein Selbstversuch auf einer Chat-Plattform. Wenige Klicks und das Profil ist erstellt. Eine Handynummer ist alles, was die Plattform zur Verifizierung verlangt.
Die Reporterin registriert sich als 16-Jährige, gibt im Chat aber an, erst elf oder zwölf zu sein. Nur wenige stört das. „Nicht schlimm“, schreibt ein vermeintlich 26-Jähriger, der Cyber-Sex haben will. Ein anderer Kontakt, der sich als 29-Jähriger ausgibt, fragt nach sexuellen Erfahrungen und Bildern. Knapp 20 Chat-Anfragen in einer halben Stunde – jede vierte mit sexuellem Inhalt.
Wie kann ich Kinder schützen?
Dirk Beerhenke ist Experte für Cyber-Kriminalität bei der Polizei Köln und sagt, dies sei auf solchen Plattformen nicht ungewöhnlich. Was Eltern tun können, um vor allem jüngere Kinder zu schützen? Beerhenke: „Bevor die Kinder ihr erstes Smartphone kriegen, können die Eltern mit ihnen einen Vertrag abschließen, wo sie gemeinsam Regeln festlegen, wann und wie das Smartphone genutzt wird.“ So lerne der Nachwuchs, dass es auch im Umgang mit dem Internet Regeln gibt. „Ein gutes Beispiel dafür ist die Nachtruhe, die eingehalten werden muss. So wird klar, es gibt einen Zeitraum, wo das Smartphone ausgeschaltet bleibt.“
Über die Privatsphäre-Einstellungen im Smartphone ließen sich bestimmte Seiten außerdem von vornherein sperren. Vor allem bei Kindern im Grundschulalter sei es außerdem ratsam, regelmäßig die Kontakte zu überprüfen, mit denen das Kind im Internet zu tun hat. „Wenn ich sehe, okay, das sind nur Verwandte oder Freunde, ist alles gut. Wenn da aber plötzlich ein Name steht, den man nicht zuordnen kann, sollte man das Kind darauf ansprechen.“
Wichtig sei ein vertrauensvoller Dialog mit den Kindern und Jugendlichen. „Damit die wissen: Wenn ich hier jetzt einen Fehler mache, kann ich mich damit an die Eltern wenden und mir wird nicht sofort das Handy abgenommen. Hier gilt: die Sache kritisieren und nicht das Kind.“ Sollte das Kind im Internet belästigt werden, rät Beerhenke, die Beweise zu sichern und Screenshots von den Gesprächen zu machen. „In jedem Fall sollten sich die Betroffenen an die Polizei wenden, damit wir hier die Ermittlungen aufnehmen können.“
Ansprechpartner in Schulen
Wenn Jugendliche sich in solchen Momenten lieber an Gleichaltrige wenden wollen, gibt es an vielen Schulen sogenannte Medienscouts. Das sind Schülerinnen und Schüler, die von Medienpädagogen im Umgang mit dem Internet gezielt geschult wurden und somit für die übrigen Jugendlichen ein Ansprechpartner sind.
Jessica Stratmann-Behr ist bei der LfM NRW für die Qualifizierung der Medienscouts im Raum Köln zuständig. Vor allem, wenn es um schambehaftete Themen geht, sei es für die Jugendlichen oft leichter, sich an Gleichaltrige zu wenden“, sagt Stratmann-Behr. „Die besprechen Möglichkeiten mit ihnen, wie sie sich gegen Cyber-Grooming wehren können.“
Dabei gehe es auch darum, Beweise zu sichern und nicht dem ersten Impuls zu folgen und aus Schock oder Scham solche Bilder und Posts zu löschen. „Kommunikation ist etwas, was man lernen und üben muss – auch dafür sind die Medienscouts da.“
Auch Eltern sollten üben
Lernen und üben sollten aber auch die Eltern, sagt Stratmann-Behr. Viele Kinder seien im Umgang mit digitalen Medien erfahrener als ihre Eltern. „Es ist wichtig, offen und neugierig zu sein und sich von den Kindern auch mal etwas zeigen zu lassen.“ Auf Portalen wie Klicksafe.de oder internet-abc.de gebe es weitere nützliche Tipps für Eltern. Das Allerwichtigste aber sei das offene Miteinander. „Damit die Kinder wissen: Ich kann mit meinen Eltern über alles sprechen.“
Einen beispielhaften Vertrag für Eltern und Kinder zur Mediennutzung gibt es hier: mediennutzungsvertrag.de. Die Initiative Eltern und Medien bietet für Kitas und alle Schulformen in NRW kostenfreie Elternabende zum Thema Mediennutzung an. Momentan finden die Elterninformationsveranstaltungen auch online statt.