SchwarzbauDas Haus, das es nicht geben darf
Kürten – Die Anspannung ist groß bei Christa Liedtke. Seit vier Jahren kämpft sie mit aller Kraft um ihr Haus in Breibach, das es nicht geben darf. Jetzt rückt der Tag der Entscheidung näher. Am Mittwoch verhandelt das Oberverwaltungsgericht Münster die Ordnungsverfügung des Rheinisch- Bergischen Kreises. Darin ordnet die Behörde an, dass die Familie das mehr als 70 Jahre alte Fachwerkhaus auf eigene Kosten abreißen lassen soll. Der Kreis sieht in dem Haus einen Schwarzbau. Die Baugenehmigung ist nicht mehr auffindbar. Der Fall hat bundesweit Schlagzeilen gemacht. Der Ausgang des Prozesses ist völlig offen. In den bisherigen juristischen Auseinandersetzungen wurde dem Kreis eindeutig recht gegeben.
Christa Liedtke glaubt, dass sich alles zum Guten wendet, auch wenn sie schon viele Rückschläge einstecken musste. „Es ist doch völlig unlogisch, ein vollkommen intaktes Gebäude dem Erdboden gleich zu machen.“ Zumal doch dringend Wohnraum für Flüchtlinge benötigt werde. „Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass Behörden so engstirnig sein können“, meint die 77-Jährige. In ihrer Stimme schwingt Wut mit. Niemand, „wirklich niemand“, habe sich in all den Jahren an dem Haus gestört. Die ehemalige Sportlehrerin fühlt sich wohl dort am Breibacher Weg. Sie ist die vierte Besitzerin des Hauses mit der Fassade aus Fachwerk mit Blick auf grüne Wiesen.
Ihr Schicksal hat viele Menschen empört. Bei Unterschriftenaktionen hat Christa Liedtke mehr als 10 402 Unterstützer im Kampf um ihr kleines Häuschen gefunden. Auch die Gemeinde und die Initiative Bürger gegen Behördenwillkür stehen geschlossen hinter ihr. Doch bis heute sind alle Bemühungen, das Haus nachträglich zu legalisieren, gescheitert – auch Appelle an Bundes- und Landesregierung für eine Amnestie für Häuser, die im und nach dem Zweiten Weltkrieg gebaut wurden (siehe „Was bisher geschah“). Es scheint fast so, als solle ein Präzedenzfall verhindert werden. Christa Liedtke empfindet einen Abbruch als ungerecht und unverhältnismäßig. Sie sieht vor allem nicht ein, dass sie die Leidtragende sein soll für Fehler aus der Vergangenheit, die sie nicht verschuldet hat.
Ihre Tochter hatte das Haus 2005 völlig legal mit Notarvertrag und Grundbucheintrag für die Mutter als Alterswohnsitz mit lebenslangem Wohnrecht (Nießbrauchrecht) von einer Nachbarin gekauft. „Wir wussten nicht, dass das Haus illegal da stand.“ Beim Hauskauf ist die Vorlage einer Baugenehmigung nicht erforderlich. Ihre Hoffnung ist nun: „Dass das Gericht den historischen Besonderheiten Rechnung trägt.“
Als das Haus in den Jahren 1939 bis 1944 gebaut wurde, gehörte das Grundstück zum Landgut Breibach. Hier bot der Besitzer, ein Rechtsanwalt, nachweislich Menschen Schutz, die vor der Nazi-Verfolgung untertauchten. Er erlaubte auch Irmgard Mertins, Frau eines Kölner Bankiers, das kleine Fachwerkhaus zu errichten. Die Kölnerin war dort ab Oktober 1945 gemeldet. Gekauft hat sie das Grundstück aber erst in den 50er-Jahren. So weit die mageren Fakten einer verworrenen Geschichte.
Warum Irmgard Mertins aus Köln geflohen war, lässt sich nicht mehr nachvollziehen. Vielleicht, um sich vor der Bombardierung Kölns in Sicherheit zu bringen – so wie viele andere Kölner auch. Notunterkünfte wurden errichtet. Es wurde geduldet, was rechtlich nicht sein durfte. Dieser Hintergrund ist den Behörden und den Gerichten bekannt. Bundesweit sind so vermutlich Tausende dieser Schwarzbauten entstanden. Allein in der kleinen Gemeinde Kürten soll es bis zu 50 solcher Gebäude geben. Für alle werden seit Jahrzehnten Grundsteuer, Kanal-, Wasser- und andere Gebühren gezahlt.
Trotzdem: Für die Bauaufsicht des Kreises ist das Haus am Breibacher Weg 60 ein klarer Fall von Schwarzbau. Es stehe im sogenannten Außenbereich, wo nur landwirtschaftlich genutzte Gebäude erlaubt seien, begründet die Behörde ihr striktes Vorgehen. Weil keine Baugenehmigung existiere, bestehe auch kein Bestandsschutz. Aus Gründen der Gleichbehandlung müsse für das Objekt Baurecht angewandt werden, alles andere sei Willkür, beruft sich der Kreis auf die gesetzlichen Vorgaben.
Zwar hat der Kreis als Kompromiss eine Duldung angeboten, so lange Christa Liedtke lebt, erst dann sollte die Abrissverfügung gültig werden. Doch die Kürtenerin hat das Angebot als „inakzeptabel“ ausgeschlagen: „Es geht mir nicht nur ums Prinzip.“ Der Verlust ihres Hauses sei auch eine existenzielle Bedrohung, sagt sie, „meine Altersvorsorge wäre dahin“. Das Gebäude dürfe weder verkauft noch vermietet werden. Die Abbruchkosten in Höhe von 90 000 könne sie nicht aufbringen.
Auch wenn der so viele Jahre andauernde Rechtsstreit manchmal nicht leicht durchzuhalten gewesen sei: Christa Liedtke liebt das Haus, das ihr so viel Ärger eingebracht hat, noch immer.