Er spielte 14 Jahre beim 1. FC Köln und war 13 Jahre beim VfL Wolfsburg. Weltmeister Pierre Littbarski spricht im Interview über die bittere Situation des FC und das direkte Duell seiner früheren Klubs.
Vor Duell seiner Ex-KlubsDas sagt Kölns Weltmeister Pierre Littbarski zum Absturz des FC
„Wer macht sich denn keine Sorgen um den FC? “ Pierre Littbarski (63) spielte insgesamt 14 Jahre für den 1. FC Köln, prägte eine erfolgreiche Zeit des Klubs und wurde als FC-Profi 1990 Weltmeister. Von 2010 bis 2023 war der frühere Mittelfeldspieler dann als Co-Trainer, Interimscoach, Chefscout und zuletzt als Markenbotschafter für den kommenden Kölner Gegner Wolfsburg tätig. Das Interview mit der Kölner Fußball-Legende vor dem Spiel des FC am Samstag (15.30 Uhr) beim VfL. Es ist das Duell zwischen zwei Klubs, die deutlich den eigenen Ansprüchen hinterherlaufen. Für den FC geht es nach vielen Erschütterungen zuletzt allerdings einzig nur noch darum, irgendwie den Bundesliga-Klassenerhalt zu erreichen.
Herr Littbarski, wir müssen reden…
Pierre Littbarski: Gerne. Über was genau?
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Über Ihre Saisonprognose. Sie hatten im Sommer dem 1. FC Köln einen Mittelfeld-Platz zugetraut und waren überzeugt davon, dass Ihr Ex-Klub nichts mit dem Abstieg zu tun habe. Und bei Ihrem anderen Ex-Verein VfL Wolfsburg dachten Sie, dass dieser um die Europa-League-Plätze mitspielen könnte.
Da haben Sie den Beweis, dass ich als Tipper die größte Pfeife bin. Der VfL hinkt seinen eigenen Erwartungen deutlich hinterher, beim FC kommt langsam schon eine gewisse Traurigkeit auf. Da ich zu beiden Klubs eine große Verbindung habe, mischt sich in meine Analyse aber immer auch die große Hoffnung, dass es wieder besser wird.
Und zu welchen Erkenntnissen sind Sie in Ihrer Analyse gelangt?
Ich war der Auffassung, dass in der Offensive mit Davie Selke, einem gesunden Mark Uth, Neuzugang Luca Waldschmidt und einem Kapitän Florian Kainz in der Form der letzten Saison einiges gehen könnte. Und das sah ja nach der Vorbereitung und dem Sieg in der Generalprobe gegen Nantes, bei der ich im Stadion war, auch so aus. Mir war klar, dass man die Abgänge von Jonas Hector und Ellyes Skhiri nicht wirklich kompensieren kann. Jetzt zeigt sich, dass der FC nicht nur in der verletzungsgebeutelten Offensive, sondern auch auf der Sechser- und Achter-Position ein großes Problem hat. Dem FC fehlen Dynamik und Spielwitz. Zudem sehe ich keinen echten Antreiber, keine Führungspersönlichkeiten auf dem Platz. Ich denke, die Verantwortlichen haben das unterschätzt. Man ist immer nur vom Best-Case-Szenario ausgegangen.
Also ist es am Ende doch eine Sache der fehlenden Qualität und der Kaderplanung, oder?
Wenn man es analytisch sieht, kommt man derzeit zur Erkenntnis: Am und vor allem im Strafraum ist der FC nicht bundesliga-tauglich. Der FC entwickelt null Torgefahr.
Auch Sie hatten erneut große Hoffnungen in Steffen Baumgart gesetzt und sprachen davon, dass dieser „wie die Faust aufs Auge“ zum FC passt. Jetzt ist der einstige Erfolgstrainer in Köln bereits Vergangenheit. Ist dies eine weitere Niederlage für den FC?
So weit würde ich nicht gehen. Steffen war in der Tat lange der perfekte Trainer für den FC, aber die Ergebnisse blieben ja permanent aus. Ich will Steffen da überhaupt keinen Vorwurf machen. Er hat alles probiert, aber die Mannschaft bekam nicht mehr das auf den Platz, was der Trainer von ihr verlangt und vorgegeben hatte. Das war für Steffen eine neue Erfahrung in Köln. Er schien fast der Verzweiflung nahe. Es hat einfach nicht mehr gepasst, Steffen hat das sicherlich selbst so gesehen.
Die Leistung gegen Mainz bezeichneten Sie als „jämmerlich“.
Ich wünsche dem FC doch nur Gutes und hänge am Klub. Aber ich muss die Leistungen dennoch richtig bewerten: Und da waren diese in der Summe einfach viel zu dürftig. Oft beginnt der FC ordentlich, belohnt sich aber für seinen Aufwand nicht. Und bricht am Ende regelmäßig in sich zusammen. Auch in den letzten Spielen gegen Heidenheim (1:1, d. Red.) und Dortmund (0:4) gab es keine Anzeichen, dass Besserung eintreten könnte. Zuletzt reichte es sogar auf beiden Seiten, also auch in der Defensive, nicht mehr.
Was macht denn dann überhaupt noch Hoffnung?
Das Dümmste wäre jetzt Resignation. Es sind noch satte 16 Spiele zu absolvieren. Auch wenn es eine Plattitüde ist: Man ist erst abgestiegen, wenn es auch rechnerisch der Fall ist. Mainz ist als 16. punktgleich mit dem FC, Union ist auch nicht weit weg. Ich weiß, beide haben noch Nachholspiele, aber sie haben wahrlich auch noch keine Bäume ausgerissen. Dazu kommt beim FC der Faktor Fans. Dass in solch einer Krise die Mannschaft noch so fantastisch unterstützt wird, das ist einzigartig in Deutschland. Das war früher zu meiner Zeit als Spieler noch ganz anders. Ich will mir gar nicht ausmalen, was damals bei einer ähnlichen Ausbeute etwa am Marathontor passiert wäre. Allerdings können die Fans auch nicht alles kompensieren.
Sorgen Sie sich um den FC?
Wer hat die denn nicht? Die verheerende Transfersperre bleibt ja, die Aussichten sind alles andere als rosig. Für den ganzen Klub steht enorm viel auf dem Spiel. Sollte der FC absteigen, sähe es ganz finster aus, das ist die unbequeme Wahrheit. Aber noch mal: Jammern hilft jetzt überhaupt nicht, 48 Punkte sind noch zu vergeben. Zumindest der Relegationsplatz ist noch drin.
Gegner Wolfsburg ist bisher auch eine große Enttäuschung. Was passt beim VfL nicht?
Es gab im vergangenen Sommer einen großen personellen Umbruch, der noch überhaupt nicht zum gewünschten Erfolg geführt hat. Vielleicht war der Umbruch zu groß, die Mannschaft wirkt jedenfalls nicht gefestigt. Der VfL steht ebenfalls unter großem Druck und will und muss sich rehabilitieren.
1. FC Köln: Ob sich Littbarski eine Rückkehr zum Ex-Klub vorstellen kann
Beim VfL hält bekanntlich die Volkswagen AG 100 Prozent der Anteile der Fußball GmbH. Der FC dagegen wehrt sich gegen jedweden Einstieg eines Investors. Sie hatten das schon mal kritisiert.
Ja, aber das habe ich nicht nur auf den FC bezogen. Ich kann die Fans verstehen, dass sie an Traditionen festhalten wollen. Aber dieser Weg ist heute nicht mehr zeitgemäß, man kann das Rad nicht mehr zurückdrehen. Man mag das bedauern und sich dagegen wehren, aber um konkurrenzfähig zu sein, muss man Investoren zulassen.
Es wird kritisiert, dass dem FC in der Führung Fußball-Sachverstand fehlt. Können Sie sich eine Rückkehr zum Klub vorstellen?
Der FC liegt mir am Herzen, im Moment mache ich mir über dieses Thema aber keine Gedanken. Wie jeder weiß, ist meine Zeit in Wolfsburg vorbei, aber ich will und muss mich beim FC nicht selbst ins Gespräch bringen. Das wäre auch den Verantwortlichen gegenüber nicht fair.
Sie waren 2001 auch mal kurz bei Bayer 04 Leverkusen als Co-Trainer tätig. Zu der Zeit spielte die Werkself regelmäßig um Titel, holte aber nie einen. Wie schätzen Sie die Chancen jetzt ein?
Ich traue Bayer die Meisterschaft absolut zu – weil die Mannschaft sowohl die Qualität als auch die Mentalität für den Titel hat. Sie wirkt sehr gefestigt und ist bisher sogar in der Lage, die Ausfälle wegen des Afrika-Cups zu kompensieren. Trainer Xabi Alonso ist ein Glücksfall für Bayer. Er findet genau das richtige Maß, um eine Mannschaft zu führen. Sie hat seine Philosophie von Fußball verinnerlicht. Manchmal entwickelt sich in einer Saison eine gewisse Eigendynamik, das haben die letzten beiden Auswärtssiege in letzter Minute in Augsburg und Leipzig gezeigt. Noch vor kurzem hätte Bayer diese Spiele wohl nicht gewonnen. Nach diesen Siegen verdichten sich die Anzeichen, dass Leverkusen den Titel holen kann.
…mit einem überragenden Ex-Kölner Florian Wirtz als Dreh- und Angelpunkt.
Seine FC-Zeit ist nun auch schon vier Jahre her. Florian Wirtz ist ein Fußballer, bei dem mir das Herz aufgeht. Er wird permanent gedoppelt und befreit sich dann technisch so genial. Ich war auch ein Spieler, der mal etwas Besonderes probiert hat. Es ist eine Freude, den Jungen spielen zu sehen. Bleibt er gesund, dann steht ihm noch Großes bevor.
Herr Littbarski, Sie waren am vergangenen Freitag bei der Trauerfeier von Franz Beckenbauer in der Allianz Arena. Wie haben Sie den Abschied von der Fußball-Legende empfunden?
Franz war eine einzigartige Persönlichkeit. Ein wunderbarer Spieler, Trainer und vor allem Mensch, für den ich große Bewunderung habe. Er hatte diese Leichtigkeit, diese Aura, die einzigartig war, die aber niemals auf Kosten anderer ging. Nach der Trauerfeier im Stadion haben viele langjährige Weggefährten noch lange zusammengesessen, geredet und in Erinnerungen geschwelgt. Auch die Jungs, mit denen er 1990 Weltmeister geworden war. Es war damals alles andere als leicht, diese Mannschaft mit den vielen Alpha-Tieren zu führen und zusammen zu schweißen, doch Franz schaffte das überragend. Franz hat sich von oben sicherlich gefreut, uns in dieser Runde zusammen zu sehen.