- Am Donnerstag trifft der Féhervár FC in den Play-Offs der European Conference League auf den 1. FC Köln.
- Trainer Michael Boris kommt aus Deutschland und hat einen Bezug zur Region. Er trainierte einst Germania Windeck.
- Im Interview spricht der Trainer über seine Beziehung zu Steffen Baumgart und seine Erwartungen für das Hinspiel in Köln.
Köln/Székesfehérvár – Herr Boris, Ihre Mannschaft ist derzeit schwer einzuschätzen. Moldau-Klub Hincesti wurde in der letzten Qualifikationsrunde der Conference League souverän ausgeschaltet, am Sonntag gab es in der Liga eine 0:4-Niederlage bei Ferencváros Budapest. Wie stark ist der Féhervár FC?
Michael Boris: Wir hatten gegen Ferencváros einige gute Torchancen, haben sie aber nicht genutzt und den Gegner selbst zu oft zu Toren eingeladen. Aber Ferencváros ist auch der FC Bayern Ungarns. Unser Anspruch ist es, möglichst um die ersten drei Plätze in der Liga zu spielen und vielleicht mal den Landespokal zu gewinnen.
Ist Féhervár gegen den 1. FC Köln mehr als ein Außenseiter?
Nein, obwohl der Fußball in Ungarn und auch die Liga deutliche Fortschritte gemacht haben, besteht vor allem bezüglich der Physis und Intensität noch ein klarer Unterschied zur Bundesliga. Der FC ist unter Steffen Baumgart sehr offensiv und aggressiv ausgerichtet und läuft den Gegner sofort hoch an. Was ich da von Köln beim 3:1 gegen Schalke und beim 2:2 in Leipzig gesehen habe, war beeindruckend. Steffen schafft es sehr gut, seinen Spielstil der Mannschaft zu vermitteln. So hat es das Team zumindest in diesen Spielen geschafft, den Weggang von Tony Modeste zu kompensieren. Steffen weiß zudem, wie der Verein tickt, wie viel Wucht und Faszination der FC hat. Und hat es auch durch seine Art und Authentizität geschafft, die Leidenschaft und Begeisterungsfähigkeit der Fans und der Stadt auf die Mannschaft zu übertragen.
Kennen Sie Baumgart persönlich?
Ich habe ihn einmal getroffen und mit ihm gesprochen, das war im vergangenen Oktober beim Spiel Ostfriesland gegen die ehemaligen Spieler der DDR, die nach der Wende im Norden mal gespielt haben. Ich war früher Torwart bei Kickers Emden und durfte deshalb das Team Ostfriesland als Co-Trainer betreuen, Steffen hat für das Team DDR gekickt.
Ihre Mannschaft spielt am Donnerstag vor mehr als 40.000 Zuschauern. Welche Rolle spielt die Atmosphäre?
Die sind wir so nicht gewohnt, zu unseren Heimspielen kommen durchschnittlich zwischen 3000 und 3500 Fans. Ich kenne die Atmosphäre im Kölner Stadion, 2009 durfte ich dort mal als Trainer von Germania Windeck im Pokal gegen Schalke spielen und bin auch ansonsten ganz gut über den FC im Bilde, unter anderem, weil ich den Kölner Manuel Glowacz seit Jahren kenne. Ich werde in der Ansprache meine Spieler natürlich darauf vorbereiten, aber sie sollen diese Stimmung auch genießen. Und sich dann nach Kräften wehren. Wir sind keine Schülermannschaft, sondern haben auch einige erfahrene Spieler, auch Nationalspieler, die damit umgehen sollten. Wir müssen keinen extra motivieren. Es wird heiß, laut und schwierig. Mein Coaching wird sich natürlich verändern – bei der Lautstärke im Stadion wird mich wohl nur unser Außenverteidiger direkt hören können.
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Was haben Sie gedacht, als Ihnen der FC zugelost wurde?
Ich habe vor der Auslosung zu Mitarbeitern aus unserem Stab noch scherzhaft gesagt, dass sie die Auslosung gar nicht verfolgen brauchen, da unser Gegner sowieso 1. FC Köln heißen wird. Ich hatte irgendwie so ein Bauchgefühl. Für mich persönlich ist das ein Top-Los. Ich habe durchaus einen Bezug zur Region und stamme aus Bottrop, das ist jetzt nicht so weit weg. Ich habe 80 bis 90 Karten für Freunde und Verwandte besorgt. Das war nicht so schwierig, da der Gästeblock nicht so voll wird. Da es aber natürlich nicht um mich geht, hätten wir uns aus sportlicher Sicht eher eine einfachere Aufgabe gewünscht.
Sie erhalten durch die zwei Spiele gegen den FC auch in Deutschland wieder mehr Aufmerksamkeit.
In Deutschland stehe ich bei vielen Leuten sicherlich nicht mehr auf dem Zettel. Die Aufmerksamkeit ist erst einmal angenehm, steht aber nicht im Vordergrund. Wir müssen abliefern. Und das wäre dann ja auch für mich besser.
Streben Sie in Zukunft eine Rückkehr in den deutschen Fußball an?
Ich verfolge die ersten drei Ligen in Deutschland natürlich weiterhin. Wenn du gute Arbeit in Ungarn ablieferst, wird das in Fachkreisen sicherlich registriert. Aber planen kann man so etwas ohnehin nicht. Ich habe bei Féhervár einen Vertrag bis Sommer 2023 und fühle mich hier auch sehr wohl.
Mit einer kurzen Unterbrechung arbeiten Sie bereits seit 2016 in Ungarn. Wie sind Sie eigentlich zu diesem Engagement gekommen?
Bernd Storck, der wie ich aus dem Ruhrgebiet stammt, war damals Ungarns Nationaltrainer. Er hat für den Jugendbereich in der U19 und U21 einen Cheftrainer gesucht und stand mit dem damaligen DFB-Chefausbilder Frank Wormuth in Kontakt. Bernds Wahl fiel dann auf mich. Ich bin dem ungarischen Fußball dankbar, dass er mir diese Chance gegeben hat. Ich habe mich dann gleich tief in den Fußball eingearbeitet und auch die Sprache erlernt. Das war mir ein Bedürfnis. Es hat sich einiges im ungarischen Fußball getan – und damit meine ich nicht nur die neuen Stadien. Schon vor einigen Jahren wurden Akademien errichtet. Und die haben sich bezahlt gemacht. Es gibt viel mehr Spieler als früher, die es in die europäischen Top-Ligen schaffen. Davon profitiert auch die Nationalmannschaft, deren Ergebnisse immer besser werden. Ich bin mir sicher, dass Ungarn auch in Zukunft noch viele Top-Talente hervorbringen wird. Und es ist lebenswert hier, bis zum Balaton fahre ich nur 15, 20 Minuten, Budapest ist in der Nähe und ohnehin eine tolle Stadt und offener, als viele denken. Aber manchmal habe ich das Gefühl, dass der ungarische Fußball noch ignoriert wird. Ich könnte da durchaus mal ein Beispiel nennen.
Dann machen Sie das doch, bitte…
Vor kurzem wurde in Deutschland das Spiel der Ungarn in der Nations League gegen Italien übertragen. Der Kommentator hat permanent die Namen der ungarischen Spieler falsch ausgesprochen. Dabei ist das gar nicht so schwer: Das „S“ am Anfang wird wie „Sch“ gesprochen, das „Sz“ wie ein „scharfes S“. Ich nahm dann sofort Kontakt zum Sender auf. Und plötzlich sprach der Reporter alle Namen korrekt aus. Geht doch.