Ihr erstes FC-Spiel war ein 1:5 am 6. August 1977 gegen Düsseldorf. Ihr Vater und ihr Onkel hatten sie damals mit ins Stadion genommen.
Es sollten rund 1200 Pflichtspiele weitere folgen. Seit 30 Jahren hat Silvia Krüger kein einziges Spiel des 1. FC Köln mehr verpasst.
Wie man so FC-verrückt sein kann und ob neben dem Fußball noch Platz für Liebe und Arbeit bleibt? Das verrät sie uns im Interview.
Köln – Wann waren Sie zum letzten Mal bei einem Pflichtspiel des 1. FC Köln nicht im Stadion?
Das kann ich genau sagen, weil ich mir es aufgeschrieben habe: Das letzte Auswärtsspiel des FC habe ich am 23. August 1989 in München bei den Bayern verpasst (1:5, d. Red.). Da bekam ich keinen Urlaub. Das letzte Heimspiel ohne mich war am 11. Oktober 1986 gegen Dortmund (2:0, d. Red.). Da war ich mit meinem damaligen Verlobten im Urlaub auf Gran Canaria. Und in dem Spiel hat ausgerechnet Stephan Engels, mein Lieblingsspieler, auch noch zwei Tore erzielt. Das verzeihe ich ihm bis heute nicht – ich meine jetzt nicht den Stephan. (lacht).
Wenn wir das jetzt hochrechnen, dann sprechen wir insgesamt von rund 1200 Pflichtspielen in den vergangenen 30 Jahren.
Das kommt hin. Bei mir dreht sich halt ganz, ganz viel um den FC. Der FC ist mein Leben – neben meiner Familie.
Mit Verlaub: 1200 Spiele ohne Unterbrechung – ist das nicht etwas verrückt?
(lacht) Ja, das sagen so einige. Und ich sehe das ja auch selbst so. Andererseits ist es für mich aber auch völlig normal, den Verein überall hin zu begleiten. Viele meiner Freunde haben auch Verständnis dafür oder fahren selbst mit. Meistens sind wir eine Truppe mit sechs Leuten aus unserem Fanclub MacHennes, die mittlerweile natürlich auch zu Freunden geworden sind.
Waren Sie denn nie krank? Hatten Sie nicht auch mal einfach keine Lust? Und wie lief das mit Ihrem Arbeitgeber?
Keine Lust? Das kommt bei mir nicht vor. Und krank war ich zum Glück eigentlich auch nie ernsthaft. Einmal hatte ich Fieber und stand trotzdem mit 40 Grad im Gästeblock in Frankfurt. Und dann hatte ich mir mal im Weserstadion in Bremen bei einem Sprung von der Tribüne das Bein gebrochen. Da bekam ich einen Liegegips, aber mein Vater hat mich eine Woche danach trotzdem zum Heimspiel gefahren.
Und Ihr Arbeitgeber zeigte immer Verständnis?
Ich bin jetzt 37 Jahre bei der Stadt Leverkusen beschäftigt. Ich hatte immer Vorgesetzte, die meine Leidenschaft für den FC kannten und Verständnis dafür aufbrachten. Sie wussten aber auch, dass ich mit dem Kopf unterm Arm ins Büro komme und zuverlässig bin. Ich sage mir immer: Wer zum Fußball fahren kann, der kann und muss auch zur Arbeit gehen.
Ihre Leidenschaft muss Sie bisher einiges gekostet haben.
Und ob. Insgesamt ist für den FC wohl ein Haus draufgegangen. Wir machen mittlerweile aus den Auswärtsspielen Kurztrips mit Übernachtungen. Früher sind wir mit dem Bus gefahren, mittlerweile nehmen wir immer den Zug. Das ist komfortabler – aber auch teurer. Für ein Auswärtsspiel kommen heute so mal schnell 300 bis 400 Euro zusammen.
Zur Person
Silvia Krüger (53) ist in Langenfeld (Kreis Mettmann) aufgewachsen und wohnt noch dort. Seit 37 Jahren arbeitet sie als Verwaltungsangestellte bei der Stadt Leverkusen. Sie ist nicht verheiratet und hat keine Kinder. Ihr erstes FC-Spiel war ein 1:5 am 6. August 1977 gegen Düsseldorf. Ihr Vater und ihr Onkel hatten sie damals mit ins Düsseldorfer Rheinstadion genommen. (ksta)
Bleibt da noch Zeit und Geld für richtigen Urlaub und andere Hobbys?
Ein bisschen. Demnächst fahre ich zum Beispiel nach Norderney, da bin ich immer gerne. Jahrelang waren die FC-Trainingslager im Sommer und Winter meine Urlaube. Und Hobbys? Ich mag Karneval, gehe gerne auf die Kirmes. Ich bin Fan von Ben Zucker und besuche gerne seine Konzerte. Und ich unterstütze meinen Heimatverein, den SC Germania Reusrath.
Da sind wir ja doch wieder beim Fußball. Machen das eigentlich Männer mit?
Nein, das macht keiner mit (lacht). Das hat nie lange funktioniert, aber das ist auch nicht schlimm. Ich habe eine tolle Familie, meine Schwester hat wunderbare Kinder.
Wann und wie hat Sie eigentlich das FC-Fieber gepackt?
Bei einem Spiel des FC am 6. August 1977 im Düsseldorfer Rheinstadion.
Ihre Liebe begann mit einer krachenden 1:5-Niederlage.
Ja, egal. Ich war elf Jahre alt und hatte von Fußball keine große Ahnung. Mein Vater und mein Onkel, beide FC-Fans, hatten mich ins Stadion mitgenommen. Mein Vater hat mir dann ein Käppi vom FC gekauft. Blöd war nur, dass wir bei den Fortuna-Fans standen. Mein Vater meinte daraufhin nur: Auf der anderen Seite stehen die Guten. Ich antwortete: Und warum stehen wir dann nicht bei den Guten? Der FC war mir gleich viel sympathischer, und deshalb bin ich mit Papa schon eine Woche darauf zu meinem ersten Heimspiel nach Müngersdorf. Und von da an war ich dann bei den Guten – und bin es geblieben.
Eine sehr schwierige Frage: Welche Touren blieben besonders im Gedächtnis?
An die Europapokaltour nach Belgrad im November 1989 werde ich mich immer erinnern. Aber schön war die nicht. Das war ja damals die Zeit kurz vor dem Balkankrieg. Wir sind im Bus nach Belgrad und mussten am Vormittag die Eintrittskarten im Kölner Mannschaftshotel abholen. Die Fans von Roter Stern hatten auf uns gewartet und den Bus mit Steinen und anderer Munition beworfen. Im Hotel wurden wir gewarnt, nicht in die Stadt zu gehen. Und da haben wir uns mehr oder weniger bis kurz vor dem Anpfiff in einem Restaurant versteckt. Wir hatten wirklich Angst. Als dem FC 2017 dann Belgrad in der Europa League zugelost wurde, musste ich weinen. Ich wollte da nie mehr hin.
Sie sind es trotzdem.
Ja, 24 Stunden nach der Auslosung hatten wir gebucht. Aber diesmal war alles ganz anders, viel organisierter, sicherer, besser. Kein Vergleich mehr zu damals.
Und welchen Touren waren die schönsten?
Am liebsten bin ich im Norden, und da ganz besonders in Hamburg. Wegen der schönen Stadt, dem Kiez und dem FC St. Pauli, mit dem uns jahrelang eine Fan-Freundschaft verband. Nach Rostock bin ich auch immer gerne gefahren. Die Tour Ende 2017 mit dem FC nach Minsk war schön, überraschend schön. Und London mit den fast 20 000 mitgereisten FC-Fans war natürlich auch ein Highlight – auch wenn es leider ein paar Randale am Eingang gab.
Sportlich ging es beim FC wahrlich nicht immer bergauf. Es gab auch viele Rückschläge, Abstiege. Leiden Sie?
Ja, doch. Beim Spiel in Leverkusen musste ich einmal vor Aufregung aus dem Gästeblock raus, da wollte mich schon der Krankenwagen mitnehmen. Ich hatte ziemliches Herzrasen. Ich bin halt ein emotionaler Typ. Aber ich kann die Spiele mittlerweile auch gut verarbeiten und abhaken. Eine Nacht drüber schlafen, dann ist der Frust nach Niederlagen weg.
Und wie war das Befinden nach dem ersten Abstieg 1998?
Das war schlimm. Wir haben nachher im Garten gesessen und geheult. Der Abstieg war ein Schock. Ich hatte gedacht, in der Zweiten Liga wird alles anders – auch für uns. Aber es änderte sich für uns dann eigentlich fast nichts. Die folgenden Abstiege waren nicht mehr so schlimm. Man hatte sich irgendwie dran gewöhnt. Die Touren in der Zweiten Liga sind oft auch schöner als die in der Bundesliga. Und man gewinnt öfter (lacht).
Sie sind jetzt über drei Jahrzehnte hautnah dabei. Was hat sich im Profifußball am meisten verändert?
Positiv ist, dass es dem Fan leichter gemacht wird und der FC den Anhängern viel mehr anbietet als früher, zum Beispiel die Organisation von Auswärtsfahrten. Der Komfort in den Stadien ist besser geworden, du bist auch näher am Spielfeld dran. Der Kontakt zur Mannschaft ist aber leider weniger geworden, deshalb fahre ich seit ein paar Jahren auch nicht mehr in die Trainingslager mit. Es gibt überall Absperrungen, Gedrängel, kaum einer hat mehr Zeit. Das liegt aber auch daran, weil immer mehr Fans mit in die Trainingslager reisen. Es ist doch unpersönlicher geworden.
Gibt es einen FC-Traum?
Ich habe schon so viel erlebt, ein paar weitere internationale Spiele mit dem FC wären aber schon schön. Und vielleicht noch irgendwann mal Meister, das ist ja schon über 40 Jahre her. Aber das ist wohl ein nur ein Wunschdenken. Aber eigentlich bin ich zufrieden so, wie alles ist.
Und Ihr Pensum wollen Sie durchhalten?
Bewusst ändern will ich eigentlich nichts. Ich mache so lange weiter, wie es geht. Ich gucke manchmal schon, ob ich auch mit dem Rollator ins Stadion kommen würde (lacht).