Das Thema Karneval treibt derzeit den 1. FC Köln um. Ist das bunte Treiben mit Profifußball vereinbar? Eine Kolumne von Christian Löer.
Kolumne zum 1. FC Köln"Sammer jetzt a Karnevolsverein – oder sammer’s net?"
Gestern war ich anderweitig im Einsatz und erfuhr daher erst mit etwas Verzögerung, was sich auf der Pressekonferenz des 1. FC Köln zugetragen hatte. Und zwar erfuhr ich es von Ralf Friedrichs, der mir eine heitere WhatsApp schrieb. Ich kenne Ralf seit Jahrzehnten, kann man mittlerweile wohl sagen; war oft Gast bei seinem FC-Stammtisch und durfte ihn am Mittwoch in seinem legendären Dachgeschoss besuchen, wo seine Ideenschmiede steht. Und eine österreichische Berghütte. Und eine Theke im Vollformat. Ein spektakulärer Ort, nochmals vielen Dank für die Einladung, lieber Ralf.
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Auf der Pressekonferenz hatte Baumgart jedenfalls verneint, dass Florian Kainz derzeit Leistungsschwierigkeiten habe. Dann allerdings zu einer kritischen Betrachtung des Karnevals angehoben – und der Rolle, die der 1. FC Köln im tollen Treiben zuletzt gespielt hat. „Als 1. FC Köln habe ich meine Erfahrung mit dem Karneval gemacht. Und ich kann abschließend sagen: Das hat uns nicht gutgetan. Das muss ich definitiv sagen. In der Zukunft möchte ich da einiges anders machen.“ Aussagen der Art „hat nicht gutgetan“ hört man nach Karneval zwar ziemlich oft. Aber Steffen Baumgart klang durchaus grundsätzlich.
Das beschauliche Leben der Profis
Jetzt war ich allerdings nicht nur zum Schorletrinken bei Ralf Friedrichs zu Gast. Ich durfte in Ralfs Podcast „Thekenphilosophen“ mitmachen, und es ging völlig überraschend um den 1. FC Köln. Als wir auf das Thema Leistungsdelle nach Karneval zu sprechen kamen, waren wir zwar vorsichtig. Aber durchaus einer Meinung. Denn es ist ja so: Kein Mensch kann sich an einem Karnevalssonntag derart besaufen, dass seine Mannschaft deswegen am folgenden Samstag 0:2 gegen Wolfsburg verliert. So einfach ist es dann doch nicht.
Überhaupt leben Fußballprofis ein sehr beschauliches Leben. Steffen Baumgart hat uns neulich noch berichtet, wie still es im Alltag eines Fußballstars zugeht. „Es war der entspannteste Job, den ich je hatte. Ich hatte so viel Zeit mit meinen Kindern und meiner Frau. Als ich Trainer wurde, war mir klar: Da beginnt der Stress, von da an hat man nie wirklich frei. Was Fußballer als Stress ansehen, ist lächerlich. Die haben Zeit für Familie, Freunde, zum Einkaufen. Als Fußballer hat man ein wunderbares Leben“, sagte Baumgart im Interview.
Wer sich also fragt, warum die Spieler ständig zum Friseur zu gehen scheinen, übertriebene Outfits tragen oder mit absurden Karossen zum Training kommen, sollte womöglich mal darüber nachdenken: Wer mit Mitte 20 viel Geld verdient, dabei aber pausenlos überwacht, bewertet und beobachtet wird und trotzdem ständig um 22 Uhr ins Bett muss, der soll doch ruhig auf dem Weg zur Arbeit ein bisschen Spaß haben.
Die fehlenden Prozente
Und wahrscheinlich ist das schon das Problem an den Karneval-feiernden FC-Profis, darüber haben wir auch im Podcast geredet. Denn Fußballer gehen in der Regel nicht nur nicht feiern. Sie schlafen früh, ernähren sich vernünftig, richten ihren Fokus auf den Job. Im absoluten Hochleistungssport entscheiden die letzten Prozente. Zwar sind nicht alle Klubs in der Bundesliga gleich gut. Aber wenn eine Mannschaft wie zum Beispiel der 1. FC Köln gegen einen Gegner wie zum Beispiel den VfL Wolfsburg spielt, sind ein paar fehlende Prozente fatal. Dann kann man kein Spiel gewinnen.
Die Lehren aus der Delle
Darauf hat Baumgart wohl angehoben, und ich halte es auch für möglich. Es gehört zum Wesen des Karnevals, eine Flucht zu bieten aus dem Alltag und mal loszulassen – um anschließend im Idealfall eben jenen Alltag wieder besser wertschätzen zu können. Denn immer Karneval geht ja auch nicht. Glaube ich jedenfalls.
Ein Bundesligaprofi dagegen, das ist womöglich eine Lehre aus den jüngsten Spielen, darf sich eine solche Flucht nicht leisten, zumindest nicht während der Saison. Zwar hat der FC vor drei Jahren im Karneval 5:0 gegen Hertha BSC gewonnen und 3:0 gegen Schalke; das war kurz vor Ausbruch der Pandemie und der folgenden Saison-Unterbrechung.
Doch möglicherweise ist der unter Steffen Baumgart beim FC gespielte Fußball ein anderer: Extrem körperlich, extrem taktisch. Die Kölner haben besonders nach Hinausstellungen in dieser Saison gezeigt, dass sie keinen Plan B haben: In Unterzahl brach die Mannschaft mehrfach zusammen. Wenn also wegen der Ablenkung durch die Feierlichkeiten bei jedem ein paar Prozente fehlten – und das von der ersten Minute an, ist gut vorstellbar, dass es dann schlecht aussieht für die Kölner.
Erinnerungen an 2017/2018
Dabei hatte Baumgart die Mitfahrt im Zoch gefallen, damals schien er auch seine Bindung zur Stadt und dem Kölschen Lebensgefühl gestärkt zu haben. Doch scheint er nun zu Erkenntnis gelangt zu sein, dass der Spaß an der Freude eine zu große Ablenkung vom Wesentlichen bedeutet. Ich bin mal gespannt, wie Steffen Baumgart in der nächsten Session mit dem Thema Karneval umgehen wird.
Peter Stöger handhabte das Thema einst anders. Im November 2017 stand der FC auf dem letzten Platz, verlor praktisch jedes Spiel und hatte bereits Sportchef Jörg Schmadtke verloren. Stöger wackelte, die halbe Mannschaft war verletzt. Köln stand nach elf Spieltagen bei zwei Punkten. Dann kam der Elfte im Elften, und Stöger wollte mit der Mannschaft etwas Karnevalistisches unternehmen. Als man ihn im Verein davon abhalten wollte, soll der Österreicher verständnislos gesagt haben: „Ja, sammer jetzt a Karnevolsverein – oder sammer’s net?“
Steffen Baumgarts Karnevalsbilanz ist eher dürr ausgefallen, entsprechend unzufrieden ist der Trainer. Kein Tor hat der FC seit Karneval geschossen, was nach wie vor nicht an einem oder ein paar Bier am freien Tag in Karneval gelegen haben kann. Aber vielleicht war es ja tatsächlich so, dass die Spieler aus der Konzentration geraten sind und der Rest sich dann aus dem einsetzenden Misserfolg ergeben hat. Zumal die These erlaubt sei, dass die FC-Profis womöglich eine Chance gehabt hätten, der Grippewelle zu entgehen, wären sie daheim geblieben. Wobei ich aus Erfahrung sagen kann: Ganz schwierig, auch ohne Karneval, zumal mit Kindern.
Immerhin hat Steffen Baumgart durchblicken lassen, dass er seine Mannschaft mittlerweile auf dem Weg zurück zur Bestform sieht. Am Samstagabend können die FC-Profis den Beweis antreten, dass es tatsächlich so ist. Vor 83.000 Zuschauern bei Borussia Dortmund.
Zum Autor: Christian Löer (47) ist Leiter der Sportredaktion des „Kölner Stadt-Anzeiger“ und berichtet seit der Saison 1999/2000 über den 1. FC Köln.