AboAbonnieren

75 Jahre 1. FC KölnDie Archivare des Traditionsvereins: „Zeitzeugen haben oft eine verfälschte Wahrnehmung“

Lesezeit 4 Minuten

Dirk Unschuld und Frederic Latz widmen sich der Geschichte des 1. FC Köln, die Archivare haben eine neue Chronik vorgelegt.

Die Satzung des 1. FC Köln lässt eigentlich keinen Zweifel zu. Dort steht unter Paragraf 1 zu lesen: „Der Verein führt den Namen 1. Fußball-Club Köln 01/07 e.V. (1. FC Köln).“ Angesichts dieser Zahlen mutet es seltsam an, dass der 1. FC Köln am 13. Februar 2023 seinen 75. Geburtstag feiert. Der Hamburger SV etwa entstand im Juni 1919 aus der Fusion dreier Sportvereine, datiert seinen Ursprung jedoch nach dem ältesten Gründungsklub, dem SC Germania von 1887.

Beim 1. FC Köln verfuhr man zunächst ebenso. Im Jahr 1961, also noch vor dem Gewinn der ersten Deutschen Meisterschaft, beging der Klub seinen 60. Geburtstag in ganz großem Stil. Es gab einen Empfang im Geißbockheim mit allerhand Würdenträgern aus Politik und Gesellschaft sowie ein Freundschaftsspiel gegen ZSKA Sofia in der alten Hauptkampfbahn. Doch weitere Feste blieben aus. Irgendwann ging der 1. FC Köln dazu über, den Tag der Fusion der Vereine SpVgg Sülz 07 und Kölner BC 01 zu feiern. Macht sich eine Diva da jünger, als sie ist? „Meine Theorie ist, dass Franz Kremers Tod im Jahr 1967 damit zu tun hatte, der ein alter KBCler war und deswegen vielleicht auch das Jahr 1901 im Auge hatte. Faktisch wurde der 1. FC Köln ja auch im Jahr 1948 aus der Taufe gehoben, daher halte ich es auch für ehrlicher, jetzt den 75. Jahrestag zu feiern“, sagt Frederic Latz.

Unschulds gigantisches Archiv über den 1. FC Köln

Er muss es wissen. Als langjähriger Mitarbeiter der FC-Medienabteilung kennt der 45-Jährige den Verein von innen. Außerdem hat er mit Dirk Unschuld, dem Archivar des 1. FC Köln, bereits mehrere Bücher zur Geschichte des Vereins veröffentlicht. Nun haben sie eine neue Chronik vorgelegt: Auf 560 Seiten zeichnen Unschuld und Latz die Geschichte des Vereins nach. In einer limitierten Version gibt es zudem einen zweiten Band, der auf 100 Seiten die Historie der Vorgängervereine nachzeichnet. Ein monumentales Werk.

In Zeiten, in denen man daran gewöhnt ist, scheinbar jede Information im Internet finden zu können, ist ein Blick in die Frühzeit des 1. FC Köln eine spezielle Herausforderung. Unschulds Quelle ist vor allem seine eigene Sammlung: Der 48-Jährige verfügt über ein beispielloses Archiv: Er besitzt jede Publikation, die der 1. FC Köln jemals veröffentlicht hat. Früher ließ sich Unschuld das Kölner Telefonbuch an seinen Wohnort in der Eifel kommen und telefonierte die Jubilare ab, die der 1. FC Köln in seinen Klubnachrichten öffentlich machte, immer auf der Suche nach Informationen und historischen Exponaten. Um Lücken zu füllen, ging er über Sammlerbörsen und Ebay. Und besuchte Archive, etwa in Duisburg das des Westdeutschen Fußballverbands. „Das war dann klassische Fleißarbeit mit sehr viel Papier“, sagt Unschuld.

Zeitzeugen haben oft eine etwas verfälschte Wahrnehmung.
Frederic Latz

Latz kümmerte sich auch darum, dass der 1. FC Köln in Zukunft weniger auf das Engagement von Privatleuten wie Dirk Unschuld angewiesen sein wird. Als er im Verein zu arbeiten begann, gab es nur Fragmente: Hier lag etwas, dort lag etwas. Nun kümmert sich Latz etwa darum, dass in 50 Jahren ein Kölner Karnevalstrikot aus dem Jahr 2014 vorliegt – und man auch weiß, wo es zu finden ist, so banal das aus heutiger Perspektive klingen mag.

Dirk Unschuld berät den FC auch offiziell – und sorgt dafür, dass ausnahmslos jede Zuschrift beantwortet wird, in der sich Fans mit historischen Fragen an den Verein wenden. Zwar wissen sogar Latz und Unschuld nicht auf Anhieb alles. Aber sie wissen, wo es steht. Unschuld etwa pflegt seit Jahren ein Excel-Dokument, das er „Wo steht was“ benannt hat. Darin sind alle Namen, die jemals mit dem FC zu tun hatten, alphabetisch aufgeführt. Und in den Spalten steht, in welcher Publikation in seinem Archiv etwas über diese Menschen zu finden ist. Ein Projekt, das wächst und wächst.

„Zeitzeugen haben oft eine etwas verfälschte Wahrnehmung“

Zeitzeugen allerdings sind auf der Suche nach Fakten unterschiedlich hilfreich. „Ich will da niemandem zu nahe treten“, sagt Latz und lächelt, „aber Zeitzeugen haben oft eine etwas verfälschte Wahrnehmung. Da erzählen einem Spieler aus den Siebzigern oder Achtzigern, sie hätten nie gegen Leverkusen verloren. Und dann sieht man nach – und dann war es ganz anders.“

Der letzte Titel liegt in diesem Jahr 40 Jahre zurück, schwierige Zeiten für die Chronisten. Dennoch gilt es, die Geschichtsschreibung fortzuführen und in die Zukunft zu tragen. „Die Relationen haben sich ein wenig verschoben. Früher waren es Titel oder Finalteilnahmen. Jetzt sind Aufstiege die Titel der Neuzeit. Ich halte es für wichtig, auch diese Ereignisse festzuhalten und einzuordnen. Denn die Aufstiege gehören auch zur Geschichte des Klubs“, beschreibt Latz.

Es ist eine Frage des Erlebens. Die heutige Generation wird sich im Alter womöglich mehr an den Kölner Zweitliga-Rekordtorschützen Matthias Scherz erinnern oder an Lukas Podolski als an den 54er-Weltmeister Hans Schäfer, den kaum jemand mehr hat spielen sehen. Latz sieht die aktuelle Ära aus dem Blickwinkel des Historikers: „Ich würde mich freuen, wenn wir eines Tages sagen könnten, die 21 Jahre zwischen 1998 und 2019 war die dunkle Fahrstuhlzeit.“