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75 Jahre 1. FC KölnFC-Ikone Heinz Flohe – Meister der kleinen Dinge

Lesezeit 6 Minuten
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Szene aus dem Pokalfinale 1973 gegen Borussia Mönchengladbach, in der Heinz Flohe „Terrier“ Berti Vogts abschüttelt. 

Köln – Heinz Flohe starb an einem Samstag, fast genau 35 Jahre nach seiner größten Stunde, dem Gewinn des Doubles mit dem 1. FC Köln. Mehr als drei Jahre hatte Flohe im Wachkoma gelegen. Als er am 15. Juni 2013 starb, war er der erste tote Weltmeister von 1974. Ja, er war Weltmeister 1974, obwohl er im Finale keine Minute zum Einsatz kam, was allein deswegen für immer verwunderlich bleiben wird, da die Deutschen beim Stand von 2:1 keinmal wechselten. Doch Flohes Verhältnis zu Bundestrainer Helmut Schön war ein kompliziertes, und als der Rheinländer Jupp Derwall übernahm, bei dem Flohe eine bessere Lobby gehabt hätte als unter Bayern-Freund Schön, war Flohe bereits aus der Nationalelf zurückgeten.

Die WM 1974 gilt aus Kölner Sicht als das Turnier Wolfgang Overaths, und tatsächlich war der Kölner damals der größte Regisseur des Planeten. Wie er das Spiel aufbaute; wie er Entscheidungen traf und wie er es schaffte, das Geschehen zu dominieren, setzte Maßstäbe. Doch war es Flohe, der Dinge mit Ball und Gegner anstellte, die kein Mensch je gesehen hatte. Sein Repertoire war so unerschöpflich wie sein Improvisationstalent. Und obwohl er wahnsinnig torgefährlich war, lag ihm stets viel daran, den Mitspieler einzusetzen. Sein Passspiel war kürzer als Overaths. Aber oft tödlich.

Doch nicht nur wegen seiner spielerischen Qualität gilt er vielen bis heute als der größte Mittelfeldspieler in der an großen Mittelfeldspielern nicht armen Geschichte des 1. FC Köln. Flohe war zudem ein emphatischer Mann, ein Künstler und Melancholiker. Einer, der zwar gern in Gesellschaft war, jedoch ungern im Mittelpunkt stand. Kameras waren ihm ein Grauen; selten gab er Interviews. Einladungen ins „sportstudio“ des ZDF schlug er aus; nur einmal nahm er an, als die gesamte Doublemannschaft eingeladen war.

Flohe war ein Meister der kleinen Dinge; ein Kreativspieler, der aus jeder Situation einen Ausweg fand. Und er hatte ein unerschütterliches Gemüt: In 14 Jahren als Profi verschoss er nie einen Elfmeter. Selbst im EM-Finale 1976 traf er vom Punkt, in Erinnerung jedoch blieb Hoeneß’ Fehlschuss in den Himmel von Belgrad.

In Euskirchen, da spielte ein Genie

Geboren 1948 in der Kölner Uniklinik, wuchs Flohe in Euskirchen auf, wo sein Großvater ein Abschleppunternehmen mit angeschlossener Autowerkstatt betrieb, die von einem verwilderten Gelände umgeben war, wo Flohe seine frühe Kindheit bei freiem Spiel verbrachte. Womöglich entwickelte er schon in diesen Zeiten seinen Hang zum Ungezähmten.

Schon als Achtjähriger spielte er beim Euskirchener TSV mit den großen Jungs. Was er tat, war zirkusreif, schon bald sprach sich herum: In Euskirchen, da spielte ein Genie. Ex-Nationalspieler Jupp Röhrig schickte 1965 eine Nachricht an Franz Kremer. Er hatte Flohe in einem Spiel der Westdeutschen Jugendauswahl gesehen und berichtete nach Köln: „Von Flohe aus Euskirchen glaube ich sagen zu dürfen, dass er ein großes Talent ist.“ Flohe sei „ein hervorragender Dribbler. Manchmal übertreibt er es etwas. Alles in allem glaube ich, dass Flohe für unsere Lizenzspielerabteilung eine wertvolle Verstärkung wäre“.

Dass Flohe tatsächlich nach Köln wechselte, hatte er einer Wette seines Vaters Peter zu verdanken. Der saß nach einem Spiel mit den Alten Herren des ETSV gegen den 1. FC Köln mit seinen Kameraden bei Getränken im Geißbockheim, an der Theke stand FC-Präsident Franz Kremer. Flohes Mannschaftskollegen lobten zehn Schnaps aus, würde es Flohe gelingen, seinen Sohn noch am Abend beim FC unterzubringen. Flohe sen. begab sich also zum Tresen, stellte sich vor und wollte gerade von seinem Sohn berichten, als Franz Kremer erwiderte: „Ihr Sohn ist uns bekannt. Wir hätten ihn gern beim 1. FC Köln.“ Die Angelegenheit war damit geklärt, im März 1966 war das.

Zur Saison 1971/72 wechselten die Kölner in die Radrennbahn, da die Hauptkampfbahn abgerissen wurde, um Platz zu schaffen für das neue Müngersdorfer Stadion. Aus zwei Jahren im Provisorium wurden vier, womit die Stadt Köln die 1974er WM souverän verpasste. Doch Flohe kam die enge Atmosphäre entgegen. Er wurde zum König der Flutlichtnächte.

Der FC war in diesen Zeiten nicht auszurechnen. Overath und Flohe – das bedeutete, dass die Kölner zwei Offensivkonzepte gleichzeitig spielten. Overath war damals schon Geschäftsmann; war ständig auf dem Sprung zu Terminen. Flohe dagegen suchte die Gemütlichkeit. Legendär Flohes Engagement im „FC Johnny“, der Fußballtruppe des Kölner Milieus. Als Boxfan verkehrte er regelmäßig im „Klein Köln“ auf der Friesenstraße. Als großer Trinker galt er nicht, ihm ging es vielmehr um das gesellige Miteinander – und er konnte nicht ablehnen, als er in die Thekenmannschaft „FC Johnny“ berufen wurde.

Einer der besten Spieler seiner Zeit auf einem Acker mit einem Haufen Hobbykicker aus der Kölner Halbwelt. Unvorstellbar, doch für Heinz Flohe einfach nur ein schöner Nachmittag mit Leuten, die er mochte.

Kapitän zur Saison 1977/78

Zur Saison 1977/78 wurde Flohe von seinen Mitspielern zum Kapitän gewählt, er war damit in jeder Hinsicht Wolfgang Overaths Nachfolger, den Hennes Weisweiler demontiert hatte. Flohe war auf dem Höhepunkt seines Schaffens. In allen Spielen in Liga und Pokal war er Kapitän, erzielte 14 Saisontore. Am Ende stand das Double.

Die folgende Spielzeit verlief weit weniger erfolgreich. Es gab schwere Niederlagen, eine davon beim Hamburger SV: 0:6 verlor Köln, und wegen eines Revanchefouls sah Heinz Flohe die Rote Karte. Auf der Rückfahrt nach Köln entschieden Präsident Peter Weiand und Trainer Weisweiler, Flohe abzugeben. In den vier verbleibenden Saisonspielen stand Flohe nicht mehr im Kader.

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Am 1. Dezember 1979 erlitt Heinz Flohe im Spiel gegen den MSV Duisburg einen Schien- und Wadenbeinbruch.

Es folgte der Abschied, 1860 München sicherte sich die Dienste des Superstars aus Köln. Am 1. Dezember 1979 spielte 1860 gegen den MSV Duisburg, und Paul Steiner, ein junger Verteidiger, trat Flohe das Schien- und Wadenbein durch. Karriere-Ende, mit 31 Jahren. Flohe hat Steiner Zeit seines Lebens Absicht unterstellt und deswegen sogar einen Prozess gegen Steiner geführt. Doch das Gericht verneinte einen Vorsatz. Die Geschichte nahm einen absurden Verlauf: Anderthalb Jahre nach dem Schicksalsspiel verpflichtete der 1. FC Köln Steiner, der anschließend eine lange Karriere in Köln verlebte, obwohl ihm viele FC-Fans nie verzeihen konnten, dass er den Doublekapitän zum Invaliden getreten hatte.

Zehn Jahre lang trainierte Flohe anschließend den ETSC in Euskirchen, 1991 ging er zurück zum 1. FC Köln, wo er Co-Trainer von Stephan Engels bei den Amateuren der U23 wurde. 1995/96 übernahmen Engels und Flohe zwischenzeitlich die Profis. Doch die Ergebnisse blieben durchwachsen, am Ende musste Peter Neururer die Rettung besorgen.

Flohe hatte genug. Er musste seit seiner Verletzung Medikamente nehmen, hatte oft Schmerzen und schwere Herzprobleme. Er zog sich ins Private zurück. Nach einem seiner wenigen öffentlichen Auftritte erlitt er im Mai 2010 einen Zusammenbruch, von dem er sich nicht mehr erholte.