Köln – Der Ball rollt schnell, Jannes Horn kann ihn nur für Sekundenbruchteile sehen. Wie in der Diskothek, wenn das Stroboskoplicht die Bewegungen in Scheiben schneidet. Eine spezielle Sonnenbrille verdeckt seine Augen, nur eine Seite öffnet sich immer wieder, zuckend bisschen wie die Blende einer Kamera, gibt den Blick wieder kurz frei, setzt den Spieler unter Stress. Horn stoppt den Ball trotzdem sauber – zumindest wenn er flach über den Boden saust. Bei hohen Bällen wird die Sache schon schwieriger. Manchmal fliegen sie einfach am Bein vorbei. Die Übung dauert nur sechzig Sekunden. Und ist doch Schwerstarbeit für Gehirn und Körper.
Der FC-Profi absolviert sein Neuro-Athletik-Training bei Niko Romm. Horn muss auf der Stelle joggen und dabei Buchstaben in schnellem Wechsel von verschiedenen Tafeln ablesen, er muss erraten, welche Formen Romm ihm mit den Fingern auf den Oberschenkel zeichnet, er muss allein von einem Tonsignal geleitet einen Tennisball fangen. Hier geht es nicht um läuferische Schnelligkeit, nicht um Passgenauigkeit, auch Gewichte kommen nicht Einsatz. Und doch machen die Einheiten bei Romm den Linksverteidiger zu einem besseren Fußballspieler, davon ist Horn überzeugt. „Man kann sich das nicht vorstellen, aber es funktioniert.“
Niko Romm ist Neuro-Athletik-Trainer in der Bundesliga. Und damit ein Mann, dessen Ziel es ist, das Training auf eine neue Ebene zu heben. Für ihn ist beim Profifußball nicht mehr nur Kondition, Schweiß und Muskelkater ein Gradmesser für Leistungssteigerung. Auch der Kopf muss mitspielen. Neuro-Athletik macht es mit Hilfe von sensorischen Reizen, die alle Sinnesorgane umfassen, möglich, jene Areale im Gehirn anzusteuern, die für die Muskelbewegungen zuständig sind. Bei Romm hört sich das dann so an: „Je besser der Sensorische Input im Gehirn ist, desto optimaler der motorische Output.“ Anders gesagt: Läufts im Gehirn gut, laufen auch die Beine schneller.
Drei Mal pro Woche bietet der 42 Jahre alte studierte Betriebswirt beim FC seine Dienste an. Eingerichtet hat er sich am Ende der kleinen Kunstrasenhalle im Keller des Geißbockheims, Treppe runter, geradeaus am Kraftraum vorbei. Sein Whiteboard an der Wand hat Romm längst mit Edding vollgeschrieben, Memos zu Trainingsfortschritt und Übungen.
Vielleicht ist schon das besonders: Das Training bei Romm ist keine Pflicht. Es kann kommen, wer will. Gerade am Anfang sei es schwierig gewesen, die Spieler zu überzeugen. „Klar war da auch Skepsis. Da kommt einer und macht Dinge, die neu sind und deren Bezug zum Fußball und Spitzensport vielleicht nicht sofort einleuchten“, sagt Romm. Viele Spieler hätten das Angebot das erste Mal während einer Verletzungspause in Anspruch genommen. Man geht mal hin, kann ja nicht schaden. So war es auch bei Jannes Horn. Als im Relegationsspiel gegen Kiel das Labrum an der Hüfte riss, folgte erstmal eine OP, dann die Reha. Normales Training war für ihn lange nicht drin. Also stiefelte Horn zu Romm. Denn Romm, so hieß es, schärft die Sinne.
Kölner Spieler Jonas Hector erfolgreich behandelt
Dass der ehemalige Hockey-Bundesligaspieler inzwischen fester Bestandteil des Betreuerstabes beim 1. FC Köln ist, habe er vor allem Jonas Hector zu verdanken, wie er sagt. Der Verteidiger laborierte lange an einer Halswirbelverletzung. Der Schmerz wollte einfach nicht weichen, keine der gängigen Maßnahmen anschlagen. Hector hatte über andere Spieler von Romms Künsten gehört und ließ sich selbst von ihm behandeln. Mit Erfolg: Nach ein paar Einheiten war er schmerzfrei. Danach, so geht die Geschichte, sei er zum damaligen Geschäftsführer Horst Heldt gegangen und habe empfohlen, Romm zu verpflichten.
Heldt hörte auf seinen Kapitän. Seit Januar 2021 gehört Romm nun zum Ensemble der Athletik-Trainer. Als Ergänzung, wie er betont. Denn niemand könne allein einen Spieler besser machen oder Verletzungen heilen, so etwas sei immer Teamarbeit.
Dass manche ihn noch belächeln, macht Romm nichts aus. Ihn erinnert das an damals, als Jürgen Klinsmann 2004 Bundestrainer wurde. Der Schwabe brachte aus seiner Wahlheimat USA neue Methoden mit und den Trainer gleich dazu. Fitnessguru Mark Verstegen ließ die Spieler mit Thera-Bändern um die Knie wie Enten über das Grün watscheln. Blödsinn, fauchten die Anhänger rustikaler Trainingsvarianten.
Was nicht weh tut, kann nichts bringen. Niko Romm fand Verstegens Ansatz schon damals interessant. Er hat bei ihm gelernt und anschließend viele Jahre für ihn gearbeitet. „Irgendwann bin ich an den Punkt gekommen, an dem ich mich mit dem klassischen Reha-Training limitiert gefühlt habe. Immer wieder die gleichen muskulären Probleme – also habe ich mich auf die Suche nach einem neuen Ansatz gemacht.“ Und so geriet er in Phoenix, Arizona, an den Humanbiologen Eric Cobb. Und die Begegnung ließ die Erkenntnis reifen, dass das Gehirn einen entscheidenden Anteil an vielen Bewegungsproblemen sowie der Schmerzwahrnehmung trägt. Und gleichzeitig auch die Leistung von Spitzensportlern steigern kann. Romm empfand das als kleine Revolution.
Und überzeugt davon heute auch andere. Wer einmal da war, kommt immer wieder. Auch das gehört zu Romms Kalkül. Im Boulevard würde man ihn vielleicht einen Magier nennen. Da liest einer wie beim Optiker nach unten kleiner werdende Buchstabenreihen von der Wand und muss dabei im Wechsel die Beine heben. Das Erstaunliche: Nach ein paar Wiederholungen dieser Art kommt Horn mit den Händen bis auf den Boden. Ohne Dehnübung. Was ein paar Minuten zuvor noch nicht geklappt hat. Aber es gibt auch langfristige Effekte. In wenigen Wochen wurden bei Horn so aus 60 Blicksprüngen 80. Das heißt, seine Wahrnehmung hat sich messbar verbessert.
Wahrnehmung und Konzentration verbessern
Im Spiel kann so etwas entscheidend sein. Romm erklärt es so: Ein Spieler muss sich ständig neu im Raum orientieren, seine Augen bewegen sich mit hoher Konzentration in alle Richtungen. Wie ein GPS muss das Gehirn sämtliche Positionen in Echtzeit immer wieder neu verorten: Ball, Gegner, Mitspieler, sich selbst. Die Schwierigkeit: Die Objekte bewegen sich, teils in Hochgeschwindigkeit. „Wenn ein Spieler bei der Annahme einen Ball verstolpert, fragen sich Fans häufig: Wie kann einem Profi so etwas passieren?“, sagt Romm. „Oft ist es eine Ungenauigkeit der Wahrnehmung, die auf eine inkorrekte Informationsübertragung zurückzuführen ist. Das Auge reagiert eine Millisekunde zu spät, der Ball rollt über den Spann. Wir arbeiten daran, Wahrnehmung zu verbessern und Konzentrationsphasen zu verlängern.“
Gerade für Torhüter scheint Romms Methodik wie gemacht. Bei der Zusammenarbeit mit einem Torhüter aus der Premier League sei ihm auf einem Mannschaftsfoto aufgefallen, dass ein Auge des Torwarts nicht gerade stand. Tatsächlich, erzählt Romm, ließ der Keeper auffällig viele Bälle klatschen, auch solche, die man eigentlich hätte fangen können. Romms Neuro-Training schlug an, die Fehlerquote wurde verbessert.Noch sind Leute wie Romm eine Rarität im Spitzensport. In zehn Jahren, glaubt er, wird die Neuro-Athletik zu den Standard-Methoden in jeder Profimannschaft gehören. Dass das heute noch nicht so ist, findet er verwunderlich. Zumal in einem Milliardengeschäft, in dem die Spieleroptimierung zum Business Case gehört. Blutwerte, Laufleistung, Sprints, Passpräzision, Fehlerquoten, Reaktionsschnelligkeit. Die Neuro-Athletik, glaubt Romm, kann helfen, gute Werte noch besser zu machen. Bei Jannes Horn zumindest ist das schon gelungen.