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Protokoll der Krawalle von NizzaWie das Fußballfest des 1.FC Köln eskalierte

Lesezeit 17 Minuten
nizza

Prügelei im Stadion „Allianz Riviera“.

  1. Die Krawalle vor dem Conference-League-Spiel des 1. FC Köln in Nizza haben schockiert
  2. Die deutsche und französische Polizei ermittelt, der FC will die Randalierer zur Rechenschaft ziehen
  3. Wir dokumentieren die Ereignisse in Nizza und haben dazu mit Augenzeugen, Polizei und Verein gesprochen

Nizza/Köln8. September, ca. 12.30 Uhr: Mehr als 10.000 Fans des 1. FC Köln befinden sich in Nizza. Die Organisation „Südkurve 1. FC Köln e.V.“ hat zu einem Fanmarsch aufgerufen. Treffpunkt ist der Brunnen „Fontaine du Soleil“ in der Innenstadt von Nizza. Den Vormittag haben viele Kölner in Cafés und Restaurants verbracht, die Sozialen Medien laufen über mit Fotos von in Rot gekleideten FC-Fans, die in der Sonne sitzen und voller Vorfreude auf das Auftaktspiel in die Gruppenphase der Europa Conference League den Tag genießen. An der Place Masséna ist es noch ruhig. Zwar sind immer wieder Gesänge zu hören, die auf den vollbesetzten Terrassen der umliegenden Restaurants angestimmt werden. Doch an der Fontaine ist noch viel Platz. Die FC-Fans, die am Platz eintreffen, halten sich am Rand und suchen Schatten – es ist wahnsinnig heiß.

ca. 13 Uhr: Immer mehr Kölner in roten Shirts strömen nun von allen Seiten zum Platz. Manche haben noch ein Bad im Mittelmeer genommen, insgesamt sorgen die Kölner auf der Promenade des Anglais, der sieben Kilometer langen Straße entlang der Bucht, für einige Verwunderung: die örtlichen Jogger, Rennradfahrer und Sonnenanbeter bahnen sich ihren Weg durch die immer dichter werdende Menschenmenge. Ein ungewöhnlicher Tag an der Côte d’Azur.

ca. 13.15 Uhr: Der Platz hat sich innerhalb weniger Minuten gefüllt, Tausende stehen nun um den Brunnen. Ein vermummter FC-Fan erklettert die sieben Meter hohe Apollo-Statue in der Mitte des Brunnens und entzündet zwei bengalische Fackeln. Die Masse johlt, applaudiert. Hier und da werden weitere Fackeln gezündet, Rauch zieht über den Platz. Der Verkehr ist nicht umgeleitet, auf dem Boulevard Jen Jaurès staut sich der Verkehr. Auch in den umliegenden Gassen geht nichts mehr.

Unter den Bäumen am Place Masséna sind ein paar Mannschaftswagen der Polizei geparkt. Zu viert oder fünft patrouillieren Polizisten in Schutzkleidung, aber ohne Helme und Schilde durch die Menge. Man zeigt ein wenig Präsenz, greift aber nicht ein. Es wird viel getrunken, neben lokalem Bier auch Mitgebrachtes aus der Heimat. Aber auch Rum-Cola wird in großen Plastikflaschen gemischt, zudem Wodka-Mischungen. Über dem Platz liegt der Geruch von Marihuana. Fünf Stunden vor Anpfiff ist das bei 35 Grad ein ambitionierter Start in den Nachmittag.

ca. 13.30 Uhr: Direkt am Platz, der von den Kölner Fans seit Tagen als Treffpunkt beworben worden war, liegt ein Fanshop des OGC Nizza. Statt das Geschäft mit Brettern zu vernageln und für diesen Tag zu schließen, läuft der übliche Betrieb, zumindest war das der etwas naive Plan. Anhänger des 1. FC Köln liefern sich einen Kleinkrieg mit einer Mitarbeiterin: Fans pappen Aufkleber auf das Schaufenster sowie auf das an der Fassade angebrachte Klubwappen. Die Mitarbeiterin kommt mit einer Leiter, um die Sticker zu entfernen. So geht es ein paarmal hin und her, irgendwann gibt die Dame fluchend auf. Dann beschmieren Kölner die Fassade mit einem Graffito. Nun bauen sich eine Handvoll Polizisten vor der Ladenzeile auf.

Weil keine Stadtreinigung in Sicht ist, laufen Angestellte der umliegenden Geschäfte mit Tüten über den Gehsteig und sammeln Dosen und Flaschen ein. Unterschiedliche Lebenswirklichkeiten prallen aufeinander: Die Kölner feiern Karneval, während Nizza auf einen konventionellen Donnerstag eingestellt ist.

ca. 13.45 Uhr: Ein führendes Mitglied der aktiven Fanszene wird von FC-Präsident Werner Wolf herzlich begrüßt. Auch die Vizepräsidenten Carsten Wettich und Eckhard Sauren sind auf dem Platz. Weil sie darauf verzichtet haben, sich in Rot zu kleiden, fallen sie auf und sind ansprechbar. Die Präsenz des Vorstands soll offenbar die Hemmschwellen gewisser Fans in eine zivilisierte Richtung verschieben. Guter Plan.

ca. 13.50 Uhr: Ein Mann mittleren Alters, den sein Megaphon als einen der Anführer kennzeichnet, skizziert den weiteren Verlauf des Tages. Das Stadion liegt von hier ziemlich genau zehn Kilometer entfernt, was angesichts der Temperaturen und der gewählten Verpflegung eine anspruchsvolle Strecke ist. Allerdings sei mitnichten geplant, die gesamte Strecke zu Fuß zurückzulegen. An die Vertreter der Medien ergeht der Aufruf, besser zu recherchieren, kein Mensch habe vor, derart weit zu marschieren. An der Wegstrecke ändert das alles nichts: zehn Kilometer bleiben zehn Kilometer. Mal sehen, was sich der Mann überlegt hat.

ca. 14 Uhr: Der Marsch setzt sich in Bewegung, es ist tatsächlich ein Marsch, kein Spaziergang. Die FC-Fans, es mögen 4000, 5000 sein, ziehen durch die Rue Jacques Médecin hinunter auf die Promenade. Vorbei am blauen Stuhl, der berühmten Skulptur am Strand, gehen die Kölner auf den Weg nach Westen. Ganz vorn die aktive Szene, begleitet von Carsten Wettich. Seitlich versetzt marschiert die Polizei, auf der Küstenstraße fahren Mannschaftswagen mit Blaulicht. Auch hier sind keine Maßnahmen getroffen worden: Wer zufällig mit dem Auto hier durchwill, steckt in Schwierigkeiten. Es wird gehupt und geflucht.

Am Place Masséna kehrt Ruhe ein. Die Leute würden aufräumen – doch gibt es keine Mülleimer, um der Flaschen- und Dosenberge Herr zu werden. Weiterhin ist keine Stadtreinigung zu sehen. Christian Estrosi (67), Nizzas Bürgermeister, meldet sich über Twitter zu Wort: „Ich bedauere das unhöfliche und skandalöse Verhalten der Kölner Fans und den mangelnden Respekt gegenüber der Stadt, die sie großzügig und brüderlich empfängt“, schrieb der 67-Jährige mit Fotos von Müllresten: „Die Rechnungen für Schäden und die Reinigung öffentlicher Plätze werden wir an den Kölner Verein schicken“, kündigte er an. Es gehe um „zehntausende Euro“.

ca. 14.30 Uhr: Die FC-Fans kommen auf der Promenade erstaunlich schnell voran, Radfahrer und Jogger, die in der Gegenrichtung unterwegs sind, müssen improvisieren. Bereits jetzt haben sich Franzosen unter die Kölner gemischt. Darunter offenbar Anhänger des Hauptstadtklubs Paris Saint-Germain, die der seit 2010 verbotenen Gruppierung „Supras Auteuil“ nahestehen sollen.

Das Verbot resultiert aus den besonderen Verhältnissen in Paris, wo innerhalb der Fanszene tiefe Gräben bestehen: Die Kurven im Parc des Princes sind verfeindet, bei Auseinandersetzungen verfeindeter Fangruppen starb im Frühjahr 2010 ein Pariser Fan an Verletzungen, die er bei Krawallen am Stadion erlitten hatte. Die Freundschaft mehrerer Kölner Ultras besteht zu Gruppen aus der eher linksgerichteten Auteuil-Kurve.

Verboten ist seit 2010 auch die „Brigade Sud“, eine Ultragruppe des OGC Nizza. Das Zeigen der Symbole verbotener Gruppen ist verboten.

ca. 14.45 Uhr: Die Restaurants an der Promenade sind gut besetzt, viele Nizzaer beenden gerade ihre Mittagspause und machen sich auf den Weg zurück ins Büro. Die Menschen zücken ihre Mobiltelefone, als der Zug aus Tausenden rot gekleideter Menschen vorbeizieht. Viele fragen nach dem Anlass, kaum jemand weiß vom Fußballspiel am Abend in der Arena Allianz Riviera.

Die FC-Fans sind ein Kuriosum, allerdings geht auch Gefahr aus von den Deutschen: Immer wieder fliegen Böller und Bengalische Fackeln in die Palmen an der Uferstraße und darüber hinweg bis vor die Restaurants und Hotels. Doch zu Übergriffen kommt es nicht, die Polizei belässt es dabei, auf der anderen Straßenseite parallel zu marschieren. Rund 50 Polizisten begleiten den Zug aus Tausenden Fußballfans.

ca. 15.45 Uhr: Der Fanmarsch erreicht vor dem Sheraton-Hotel gegenüber dem Flughafen einen Höhepunkt. Hier residiert die Mannschaft des 1. FC Köln. Auf dem Dach des Hotels zeigt sich der Trainerstab um Steffen Baumgart. Die Fans feiern sich, ihren Verein und den Cheftrainer, der heute wegen einer Sperre das Spiel von der Tribüne aus verfolgen muss. André Pawlak wird ihn vertreten, es ist auch für den 51-jährigen Assistenten der erste internationale Auftritt als Cheftrainer. Ein großer Tag für alle, entsprechend gigantisch ist die Stimmung vor dem Hotel. So hat man sich das vorgestellt.

Manschaftshotel

Die FC-Fans feiern den Kölner Trainerstab am Mannschaftshotel.

ca. 16 Uhr: Der Marsch kommt gut voran, wird aber angesichts der Hitze immer fordernder. Erste Gruppen weichen aus auf die Parallelstraße, um dort eine Straßenbahn zu besteigen. Doch die Sicherheitskräfte an den Stationen verhindern das. Die Sonderzüge zum Stadion werden erst deutlich später eingesetzt. Im Feierabendverkehr will man nicht tausende Fußballfans in den Nahverkehr der Stadt Nizza einspeisen. Zehn Kilometer also, es bleibt dabei.

ca. 17 Uhr: Die Fanmasse wird kleiner, weil Fans zurückfallen und sich in kleineren Gruppen dazu entscheiden, die Straßenbahn zu nehmen. Das funktioniert besser, und während der harte Kern der Aktiven Fanszene weiter marschiert, um auch Materialien wie Fahnen zu transportieren, investieren mehr und mehr Kölner 1,50 Euro in ein Bahnticket. In den Straßenbahnen ist die Stimmung friedlich: Die Züge sind klimatisiert, die Fans freuen sich über eine kleine Pause vom Marschieren.

Und die Franzosen, die gerade von der Arbeit nach Hause fahren, amüsieren sich über die unbekannten Gesänge. Ob es sich um Italiener handele, fragt eine Dame, sie habe „Bologna“ verstanden. Nein, man komme aus „Cologne, Deutschland“, heißt es. Deutsche also, das klingt deutlich nachvollziehbarer. Es ist eine friedliche Fahrt der Arena entgegen, die an ein Ikea-Möbelhaus grenzt und auf ihrer Ostseite von einem großen Einkaufszentrum umschlossen ist.

Keine Personenkontrollen am Einlass

ca. 17.10 Uhr: Die Masse der Kölner Fans erreicht den Gästeblock auf der Nordseite des Stadions. Die Sicherheitskräfte sind heillos überfordert und ziehen sich nach ersten Scharmützeln zurück. Kölner Fans, die erst später das Stadion erreichen, sind verblüfft: Die Drehkreuze stehen offen, niemand will ihre Karten sehen. Taschenkontrollen gibt es nicht.

Die Polizei zeigt praktisch keine Präsenz. Die Zuschauer spazieren in ein leeres Stadion, kaum etwas deutet darauf hin, dass hier in anderthalb Stunden ein internationales Fußballspiel angepfiffen werden soll. Der Stadionsprecher wird später nicht sagen können, wie viele Menschen sich vor und während des Spiels in der Arena befunden haben. Es seien zu viele Gästefans auf einmal gekommen, lautet die Erklärung.

ca. 17.20 Uhr: An der Haltestelle „Stade“ werden Kölner Fans von Schlägern des OGC Nizza erwartet, es kommt zu Jagdszenen und bewaffneten Attacken. Steine und Feuerwerkskörper fliegen. Die Polizei in Nizza bestätigt später, dass es im Laufe des Tages auch zu einem Messerangriff eines Franzosen auf einen Deutschen gekommen ist. Die Verletzung sei aber nur oberflächlich gewesen.

Vermummte stürmen in Richtung Südkurve

ca. 18 Uhr: Die Torhüter sind bereits auf dem Rasen, die Feldspieler wollen gerade zum Aufwärmen aus den Kabinen kommen. Da stürmen vermummte Fans des 1. FC Köln vom Gästeblock aus über die Westtribüne in Richtung Südkurve, wo Gewalt-suchende Nizza-Fans sie erwarten. Fast alle tragen Sturmhauben, auch in den Farben von Borussia Dortmund und denen von Paris Saint-Germain. Die Lage ist eindeutig: Die Fanlager haben sich verabredet. Nichts ist spontan am Aufeinandertreffen. Was nun passiert, ist keine Reaktion auf Provokationen.

Krawalle-Nizza-Stadion

Auf Videos ist zu sehen, dass sich nur wenige Ordner in den Weg stellen, im Block ist zunächst keine Polizei. Es kommt zur Prügelei zwischen den beiden Gruppen, die jeweils etwa 50 bis 100 Mann zählen. Die Lager bewerfen einander mit Leuchtfackeln, die Kämpfer attackieren einander mit Flaschen, Metallpfeilern und Gürtelschnallen. Blut fließt, Ordner mischen heftig mit; setzen Fäuste und ebenfalls Gegenstände ein. Es sind abscheuliche, hochgefährliche Szenen.

Steffen Baumgarts Tochter und eine Freundin fliehen vor den Krawallmachern. Steffen Baumgart selbst steht in einer Loge oberhalb des Mittelrangs und sieht aus nächster Nähe, wie die Schläger in Kölner Farben unter ihm hindurchstürmen. Der Trainer versucht, auf die Hooligans einzuwirken – vergebens: „Da war aber nichts möglich. Die Jungs haben durch mich durchgeguckt. Was ich erlebt habe, war nackte Gewalt. Da ging es nur darum, Leuten zu schaden. Das war beängstigend.“ Er halte sich „nicht für den ängstlichsten Menschen“, beschrieb Baumgart am nächsten Morgen, noch unter den Eindrücken der Erlebnisse: „Aber das wird mich eine Weile begleiten. Ich bin Anfang der Neunziger genau wegen solcher Dinge aus der Bereitschaftspolizei ausgeschieden. Für mich ist es nicht einfach, damit umzugehen.“

Baumgar im Nizza Stadion

FC-Chaoten auf den leeren Rängen. FC-Trainer Steffen Baumgart darüber.

Dann erscheinen Polizeikräfte im Block. Mit Tränengaskanistern werden die Fangruppen auseinandergetrieben. Baumgart und seine Familie flüchten vor dem beißenden Tränengas in den VIP-Bereich. Ein Hooligan stürzt auf der Flucht vor Feuerwerk und Tränengas vom Mittelrang in die Klappstühle im Unterrang und verletzt sich dabei schwer.

Der Präfekt der Region Alpes-Maritime, Bernard Gonzalez, bestätigt, dass es sich um einen Anhänger von Paris Saint-Germain handelt, der unter dem Einfluss von Drogen stehe und Rippen- sowie Kopfverletzungen erlitten habe. Zunächst schwebt der Mann in Lebensgefahr, später wird er stabilisiert und ist bei Bewusstsein.

Schließlich flüchten die Kölner zurück in den Gästeblock, in dem ein Banner der verbotenen „Supras Auteuil“ prangt. Dort werden die Gewalttäter von FC-Fans beschimpft und teilweise angegangen. Auf einem Video ist zu sehen, wie die Fans versuchen, den Vermummten die Sturmhauben vom Kopf zu reißen – ein Akt der Zivilcourage, von dem grundsätzlich eher abzuraten ist: Denn diese Hooligans haben bei ihrem Ausflug gerade erst unter Beweis gestellt, dass sie grundsätzlich bereit sind, über Leichen zu gehen.

Jeder Versuch, Überzeugungsarbeit zu leisten, geht ins Leere. Seit Beginn der Auseinandersetzungen skandiert der mittlerweile voll besetzte Kölner Block in der Nordkurve „Wir sind Kölner, und ihr nicht.“

hector

FC-Mannschaftskapitän Jonas Hector appellierte am Donnerstagabend an die Fans.

ca. 18:15 Uhr: Auf der Osttribüne kommt es zu einem weiteren Angriff. Diesmal stürmen Nizza-Fans, mehrere zeigen Symbole der verbotenen „Brigade Sud“, den Block neben dem der FC-Fans und werfen Bengalos in Richtung der Kölner. Weil der Block an dieser Seite mit Plexiglasscheiben abgetrennt ist und die Polizei diesmal schnell einschreitet, können die Nizza-Chaoten allerdings schnell wieder zurückgedrängt werden.

Die Kölner Hooligans befinden sich zu diesem Zeitpunkt noch in der Nordwest-Ecke des Stadions und können nicht mitmischen. Bereits in diesen Momenten stellt sich die Frage, warum die Sektoren im Stadion nicht getrennt sind. Es ist ein nicht zu tolerierender baulicher Mangel des Stadions, in dem 2016 mehrere Partien der Europameisterschaft ausgetragen wurden.

In Deutschland dürften in der Allianz Riviera nicht einmal Regionalliga-Spiele ausgetragen werden, da Sektorentrennung Pflicht ist. Das Thema beschäftigt in den folgenden Tagen auch die Debatte in Nizza – die Arena gehört der Stadt, der Verein überlegt, künftig keine Auswärtsfans mehr zuzulassen.

ca. 18:20 Uhr: Jonas Hector ruft die Fans dazu auf, die Gewalt zu unterlassen: „Wir als Mannschaft haben richtig Bock, das Spiel mit euch zu bestreiten. Wir müssen sagen, dass wir sowas nicht gutheißen. Wir haben uns dafür letztes Jahr und in den Play-off-Spielen den Arsch aufgerissen. Und wir würden das sehr gerne mit euch machen, und deswegen bitte ich euch: Behaltet die Nerven, bleibt ruhig, unterstützt uns so gut es geht. Damit wir zusammenstehen und in Frieden einfach den Fußball feiern und nicht die Gewalt.“

Der Kölner Block applaudiert enthusiastisch, sie teilen jede Silbe von dem, was der Kölner Kapitän dort unten auf dem Rasen sagt. Auch Dante, Mannschaftsführer des OGC Nizza, hält eine Ansprache. Allerdings wirkt der Nizzaer Block deutlich weniger bereit zum Frieden als der Kölner. Es ist ein wildes Toben.

ca. 18.30 Uhr: Im Pressesaal des Stadions läuft die Krisensitzung. Der Anpfiff wird auf 19.40 Uhr und damit um 55 Minuten verschoben. „Die Verantwortlichen der Uefa sowie die örtlichen Behörden haben beschlossen, dass das Spiel um 19.40 Uhr angepfiffen wird. Beim nächsten Zwischenfall wird sofort abgebrochen“, teilt der Stadionsprecher mit.

ca. 19.15 Uhr: Christian Keller tritt vor die Kameras. „Wir sind fassungslos. Wir wollten ein friedvolles Fußballfest feiern, alles war vorbereitet“, sagt Kölns Geschäftsführer bei RTL+. Er wisse nicht, ob das Wort „Chaoten“ ausreiche, „mir fallen nur Schimpfwörter dazu ein, die nicht hierhergehören. Ich weiß nicht, was diese Leute hier verloren haben. Der Fußball leidet, OGC Nizza leidet und auch der 1. FC Köln.“

ca. 19.20 Uhr: Die Mannschaftsaufstellungen werden verlesen. Der Kölner Block hat die vergangenen Minuten in betroffenem Schweigen verbracht. Auf der Südtribüne toben die Fans des OGC, zünden weiterhin Feuerwerk und werfen Böller.

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ca. 19:40 Uhr: Mit mehr als einer Stunde Verspätung wird das Spiel doch noch angepfiffen.

ca. 20 Uhr: Der 1. FC Köln geht durch Steffen Tigges in Führung. Die Kölner spielen eine herausragende erste Halbzeit gegen den Favoriten. Allerdings verpassen zahlreiche FC-Fans den Auftritt ihrer Mannschaft: Sie haben entsetzt das Stadion verlassen, als die Gewalt losbrach. Hier und da leuchten zwar weitere Fackeln im Kölner Block auf. Doch die Fans reißen sich zusammen, während es auf der anderen Seite der Arena pausenlos kracht.

ca. 20.10 Uhr: Nizza zeigt eine starke zweite Hälfte, in der südfranzösischen Hitze geraten die Kölner körperlich an ihre Grenzen und können den Druck nicht hochhalten. In der 62. Minute erzielt Andy Delort per Strafstoß den Ausgleich. Weil Marvin Schwäbe im Kölner Tor überragend hält, rettet der FC den Punkt bis zum Schlusspfiff.

ca. 21.25 Uhr: Schlusspfiff. Die Partie ist auf dem Platz ohne besondere Vorkommnisse mit einem gerechten Ergebnis zu Ende gegangen. Die Mannschaften haben sie unbeeindruckt von den Geschehnissen präsentiert; tatsächlich haben nur die Torhüter am Rande erlebt, was auf den Tribünen los war. Abgesehen davon, dass sie zweimal ihr Aufwärmprogramm durchziehen mussten, waren die Fußballer nicht betroffen von den Ausschreitungen.

ca. 22.15 Uhr: Die Pressekonferenz läuft, zunächst spricht André Pawlak für die Gäste. „Es fehlen einem die Worte. Wie soll man da reagieren? Es ist skandalös und gehört nicht in den Fußball. Es macht uns traurig. Wir haben der Mannschaft gesagt, dass wir fast anderthalb Jahre so hart für diesen Moment gearbeitet haben. Wir haben uns so sehr gefreut und haben das dann auch in den Vordergrund gestellt. Wir wollten für die friedlichen Fans spielen und das haben wir denke ich dann auch eindrucksvoll getan. Wir haben über 90 Minuten eine Top-Leistung abgerufen.“

Auf die Frage eines empörten französischen Reporters, ob Vorfälle wie an diesem Abend in Deutschland üblich seien, antwortet der Trainer: „Nein, ganz klar nein. Wenn ich an unser Stadion in Köln denke: So etwas habe ich noch nicht erlebt. In Deutschland habe ich lange nicht erlebt, dass etwas im Stadion passiert.“

Favre_Nizza

Nizzas Trainer Lucien Favre zeigte sich nach dem Spiel entsetzt.

Nizzas Coach Lucien Favre sagt später etwas vorschnell: „Unsere Fans sind nicht für die Vorfälle verantwortlich. Sie haben sich einwandfrei verhalten.“ Die Bilder und Videoaufnahmen aus der Arena beweisen das Gegenteil.

ca. 23 Uhr: Christian Keller äußert sich noch einmal im kleinen Kreis der Kölner Journalisten. „Wir werden jeden aussortieren, den wir identifizieren können, unabhängig von der Schuldfrage. Die werden hier nichts mehr machen“, sagt der Geschäftsführer. Für ihn spiele es zunächst keine Rolle, welche Seite die Gewalt in den Tag getragen habe. „Am Schluss waren alle dabei, unabhängig von der Frage, wer angefangen oder weitergemacht hat“, erklärte Keller und nahm damit die Berichte auf, nach denen kriminelle Anhänger des OGC Nizza bereits außerhalb des Stadions Jagd auf Kölner Fans gemacht hatten, die mit der Straßenbahn an der Arena angekommen waren.

Gegen Mitternacht: Die letzten Fans des 1. FC Köln fahren mit der Straßenbahn zurück in die Innenstadt. Es herrscht betretenes Schweigen, was an den schlimmen Erlebnissen liegt, aber auch daran, dass der Tag extrem heiß und lang war. In der Innenstadt kommt es noch zu vereinzelten Übergriffen französischer Hooligans auf Kölner Fans. Der FC-Tross ist in diesen Momenten bereits in der Luft: Die Mannschaft reist per Charterflieger zurück nach Köln-Bonn.

ca. 2.30 Uhr: Spieler, Trainer und Stab des 1. FC Köln erreichen das Geißbockheim im Grüngürtel. Die Reise zum ersten Gruppenspiel der Conference League ist vorüber, ein Auswärtspunkt beim Gruppenfavoriten gesichert. Doch die Vorfälle werden Folgen haben. Am Freitagabend veröffentlicht die Uefa eine Liste der Verstöße, wegen derer Ermittlungen aufgenommen werden. So werden sowohl Kölnern als auch Fans des OGC Nizza das Werfen von Gegenständen sowie das Zünden von Feuerwerkskörpern vorgeworfen; außerdem die Beteiligung beider Fangruppen an Ausschreitungen.

Seitens des OGC kommen allerdings weitere schwere Vorwürfe hinzu: Mangelnde Personenkontrollen etwa sowie fehlende Sektorentrennung, das war angesichts der Erfahrungen am und im Stadion zu erwarten. Beiden Klubs drohen zunächst Geldstrafen, den Kölnern zudem das Verbot, Kartenkontingente an Auswärtsfahrer zu geben.

Eine Sperre für Auswärtsfans bei den verbleibenden Gruppenspielen in Belgrad und beim 1. FC Slovácko bedeutete für die reisefreudigen Kölner zwar ein Drama, wäre aber aus Sicht des finanziell klammen Vereins weniger hart als ein Zuschauerausschluss in Müngersdorf. Schon nach den Krawallen rund um den Gruppen-Auftakt vor fünf Jahren beim FC Arsenal in London war der 1. FC Köln zu einer Strafe verurteilt worden, die jedoch zur Bewährung ausgesetzt worden war und mittlerweile abgelaufen ist. Das bestätigte die Uefa dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.