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„Wir sind fassungslos“Wie Hooligans Kölns Europa-Auftakt ins Chaos stürzten

Lesezeit 5 Minuten
FC-Hooligns in Ninzza

FC-Hooligans im Stadion von Nizza.

Nizza – Eine halbe Stunde vor Anpfiff brach das Unheil über den 1. FC Köln herein. Nach einem überwiegend friedlichen Tag verließen teils vermummte FC-Anhänger ihren Block und attackierten den Bereich, in dem sie die Fans der Heimmannschaft schon erwarteten – offenbar nicht unvorbereitet, es trafen eindeutig Gruppen aufeinander, die es darauf angelegt hatten, diesen Tag ins Chaos zu stürzen.

Es flogen Feuerwerkskörper und Flaschen. Schwer fassbare Szenen waren das. Ein Fan stürzte aus dem Mittelrang fünf Meter tief und wurde schwer verletzt, offenbar war es ein Anhänger von Paris Saint-Germain. Mit den Pariser Fans aus dem kriminellen Spektrum verbindet Teile des Kölner Anhangs eine langjährige Komplizenschaft. Offenbar waren zahlreiche PSG-Anhänger nach Südfrankreich gereist, um zu randalieren. Auch Fans von Borussia Dortmund sollen beteiligt gewesen sein.

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Polizei setzte Tränengas ein, Partie in Nizza wurde verschoben

Die Polizei setzte Tränengas ein, um die Gruppen auseinanderzutreiben. Nach einer Krisensitzung entschied die Uefa, die Partie um 19.40 Uhr beginnen zu lassen, knapp eine Stunde später als geplant. Beim nächsten Zwischenfall werde das Spiel umgehend abgebrochen. „Wir sind fassungslos, wir wollten ein friedvolles Fußballfest feiern, alles war vorbereitet“, sagte FC-Geschäftsführer Christian Keller. Er wisse nicht, ob das Wort „Chaoten“ ausreiche, um die Krawallmacher zu beschreiben, „mir fallen nur Schimpfwörter ein, sagte der aufgebrachte Geschäftsführer, die Gewaltfreaks gehörten „entsorgt“.

Krawalle 3

Traurige Szenen: Fans prügeln sich auf den Rängen von Nizza.

Über der Szenerie lag das Prickeln von Tränengas – und die donnernden Rufe aus den Tribünen an der Nordseite des Stadions: „Wir sind Kölner, und ihr nicht“, rief die gewaltige Mehrheit der mehr als 8000 in Rot gekleideten Fußballfans aus Köln – es gab sogar Attacken gemäßigter FC-Fans auf die Chaoten, mit denen sie ihre Farben teilen müssen. Wie einst beim Spiel in London hatte eine Minderheit dafür gesorgt, dass ein Fußballfest ausfällt.

Zahlreiche FC-Fans verließen vor Spielbeginn entsetzt die Arena

Gerüchte machten die Runde, Nizza-Fans aus der Ultra-Szene seien mit Messern und Holzlatten auf die Kölner losgegangen. Die Ordnungskräfte berichteten am Abend zunächst von 18 Verletzten. Zahlreiche FC-Fans verließen bereits eine halbe Stunde vor Spielbeginn entsetzt die Arena.

Dann betrat Jonas Hector mit einem Mikrofon den Rasen, baute sich vor der Kölner Tribüne auf und richtete das Wort an die Fans. „Wir als Mannschaft haben richtig Bock, dieses Spiel mit euch zu bestreiten. Wir haben uns letztes Jahr den Arsch aufgerissen, um heute hier zu sein, auch in den Playoffs. Wir würden das gern mit euch machen. Bitte: Behaltet die Nerven, bleibt ruhig.“ Jedes Wort des Kölner Kapitäns wurde mit Applaus bedacht. Nach der Ansprache verfielen die Tribünen in Stille. Ein Haufen Idioten hatte alles ruiniert.

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Half die Gemüter zu beruhigen: FC-Kapitän Jonas Hector

Dabei war der Tag grundsätzlich positiv verlaufen. Gegen 16 Uhr erlebte der Kölner Fan-Marsch einen vorläufigen Höhepunkt. Mehr als fünf Kilometer hatte der Zug da bereits zurückgelegt, von der Fontaine du Soleil im Zentrum Nizzas über die Promenade d’Anglais und immer weiter. Zehn Kilometer sind es insgesamt zum Stadion Allianz Riviera, und eigentlich hatten die Anhänger nicht vor, die Strecke zu Fuß zu absolvieren. Doch ließen die Sicherheitskräfte sie nicht in die Straßenbahnen. So war es tatsächlich ein anspruchsvoller Spaziergang geworden.

FC-Fans jubelten mit dem Trainerstab am Shareton Hotel in Nizza

Nun hatten die Fans den Flughafen erreicht, fünf Kilometer entfernt vom Stadion. Und während sie ihre Trommeln schlugen, brandete Applaus auf: Auf der Dachterrasse des Radisson-Hotels zeigte sich Steffen Baumgart mit seinem Trainerstab. Und wurde vor der Abfahrt zum Stadion noch einmal mächtig emotional aufgeladen vom Gesang Tausender Kölner am Mittelmeer.

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Ein FC-Fan zündet Bengalos auf der Apollo-Statue 

Am Mittag hatten sich die Fans in der Innenstadt getroffen, die Hitze war gewaltig, das Polizeiaufgebot sichtbar, jedoch nicht übernervös. Apollo thront in der Mitte der Fontaine du Soleil; der Gott ist in vielen Ressorts aktiv, darunter die Abteilung Dichtkunst und Gesang. Und gesungen wurde viel und ausdauernd am Donnerstagmittag, und bald wurde die riesige Statue von einem Kölner Fan bestiegen, der zwei bengalische Feuer entzündete und den Platz in dichten Rauch hüllte. Als wäre das nicht genug gewesen, prangte plötzlich ein FC-Aufkleber auf dem Hinterteil des nackten Gottes. Eine kleine Respektlosigkeit, es sollte schlimmer kommen.

Trainerstab in Nizza

FC-Fans jubeln vor den Shareton-Hotel, der FC-Trainerstab winkt vom Dach.

Der touristische Betrieb in den Gassen Nizzas musste ruhen in den Stunden vor dem Spiel, die örtlichen Geschäftsleute fluchten über Massen an Flaschen und Bierdosen – und ein paar Wildpinkler gab es auch. Die Stadtspitze war angesichts der Müllmassen empört. „Ich bedauere das unhöfliche und skandalöse Verhalten der Kölner Fans und den mangelnden Respekt vor der Stadt, die sie großzügig und brüderlich aufnimmt“, twitterte der Bürgermeister von Nizza.

Der weitere Verlauf des Tages dürfte ihn nicht amüsiert haben. Seit Dienstag waren die Fans aus ganz Europa angereist; teils auf verschlungenen Routen: Mit dem Auto, dem Motorrad; im Zug über Paris – und wer am Mittwoch am Flughafen von Mailand landete, dem konnte es passieren, dass er von Kölnern gefragt wurde, ob er auf dem Weg zum FC-Spiel war.

Kölner Vereinsvorstand zeigte sich im roten Trubel

Auch der Kölner Vereinsvorstand zeigte sich. Werner Wolf, Eckhard Sauren und Carsten Wettich blieben im Austausch auch mit den Anführern der aktiven Szene. Es war Wettich, der auch nach vielen Kilometern noch an der Spitze des Zuges marschierte, um dazu beizutragen, dass sich die Leute benahmen. Doch abgesehen von ein paar Böllerwürfen, eine absolute Unsitte, passierte zunächst nicht viel. Im Stadion änderte sich das umgehend, die Gewalt eskalierte blitzschnell.

FC-Präses in Nizza 3 (1)

Als einziger in schwarz: FC-Präsident Werner Wolf 

Eine Viertelstunde vor dem zunächst angesetzten Anpfiff tagte der Krisenstab im Pressesaal des Stadions, um zu beraten, ob die Partie überhaupt angepfiffen werden sollte – schließlich gab man den Anhängern noch eine letzte Chance. Im Innenraum herrschte eine betrübte Stimmung, die nichts mit dem Verlauf dieses sonnigen Tages an der Côte d’Azur gemein hatte.

„Da fehlen die Worte“, sagte André Pawlak, der den gesperrten Steffen Baumgart vertreten hatte. Auch der Tag des Assistenztrainers war verdorben: „Es ist skandalös, es gehört nicht in den Fußball und ist für uns sehr traurig. Wir haben der Mannschaft gesagt, dass sie für die 8950 friedlichen Zuschauer spielen soll, die hier ein Fußballfest feiern wollten. Das hat sie getan.“