Deutsche NationalmannschaftOliver Bierhoff in der Kritik – Zukunft beim DFB offen
Frankfurt – Ehe der Bundestrainer in einer schwarzen Limousine den Frankfurter Flughafen verlassen hatte, war er nicht umhingekommen, den Knockout von Kasan noch einmal angemessen selbstkritisch Revue passieren zu lassen.
Joachim Löw kündigte eine Aufarbeitung ohne Wenn und Aber an: „Es braucht tiefgreifende Maßnahmen, es braucht klare Veränderungen, und das müssen wir jetzt besprechen, wie wir das tun.“ Dazu gehöre es auch, sich „als Trainer zu hinterfragen“. Er räumte ein: „Wir sind am Boden.“
„Fans erwarten tiefgreifende Veränderungen“
Das Aufstehen, der dringende Verdacht liegt nahe, dürfte schwerfallen. „Die Fans erwarten tiefgreifende Veränderungen“, befand DFB-Präsident Reinhard Grindel mit dem Mienenspiel eines Trauerredners. Oliver Bierhoff, der Manager, kündigte „tägliche Kontakte“ der beteiligten Verantwortlichen an, schloss überstürzte, aus der Enttäuschung möglicherweise übereilig motivierte Entscheidungen aber aus.
Das ist ein guter Ansatz zur Krisenbewältigung. Es ist nicht angeraten, sich von einer aufgewühlten Atmosphäre in Aktionismus treiben zu lassen. Erst gegen Ende der nächsten Woche werde man auch physisch wieder zusammenkommen „und dann knallhart intern weiter diskutieren“, so Bierhoff. Das kann angesichts des sportlichen und atmosphärischen Desasters nun umso konsequenter stattfinden.
Kritik an Bierhoff nimmt zu
Dabei sollte auch die Personalie Bierhoff auf den Tisch kommen. Der 50-Jährige firmiert nicht mehr nur als Manager der Nationalmannschaft, sondern auch als für den gesamten Elitebereich sowie den Aufbau der neuen Akademie an der Frankfurter Galopprennbahn verantwortlicher DFB-Direktor mit 120 Mitarbeitern in der Verbandszentrale.
Es bleibt schleierhaft, wie er diese Aufgaben selbst bei perfektem Zeitmanagement in der notwendigen Seriosität, noch dazu mit erstem Wohnsitz am Starnberger See und entsprechend unvollständiger Anwesenheit, bewältigen kann. Aber hat Generalsekretär Friedrich Curtius als direkter Vorgesetzter von Bierhoff den Mut, dieses Thema zielorientiert anzusprechen? Oder sieht es Bierhoff von sich aus ein, dass es so nicht funktionieren kann? Bei der Nationalmannschaft haben sie für jedes Fitnessgerät einen eigenen Athletiktrainer, während der Manager seinen Job nur in Teilzeitfunktionen im persönlichen Jobsharing absolvieren kann.
Zusammenarbeit auf den Prüfstand stellen
Auch Bierhoff und Löw sollten im persönlichen Gespräch in die Tiefe gehen und sich fragen, ob sie ihre Zusammenarbeit, die dem Vernehmen nach zuletzt gelitten hat, wieder auf ein vollends vertrauensvolles Verhältnis hochgepäppelt bekommen. Wenn denn Bierhoff überhaupt so nah an der Mannschaft bleiben sollte. Löw hat im Rückblick auf die verkorkste WM von „Selbstherrlichkeit“ gesprochen und allen Anlass, diese richtige Analyse auch auf sich selbst zu beziehen.
Gemeint haben dürfte er aber in ganz besonderem Maße auch Toni Kroos, der als vierfacher Champions-League-Sieger mit dem Habitus eines Weltstars auftrat, statt mit der dafür notwendigen Empathie und Demut Führungsaufgaben zu übernehmen. Egal ob Löw Trainer bleibt oder ein Nachfolger gefunden wird – es ist ein sehr ernstes Gespräch vor allem mit Kroos notwendig. Sein Können wird gebraucht, aber nur verbunden mit einer Ausstrahlung, die nicht negativ auf Teamkollegen und Öffentlichkeit wirkt. Dass diese Mannschaft als Gruppe lange überhaupt funktioniert hatte, ist in erster Linie in der Verantwortung der etablierten Spieler zu suchen.
Auf den Prüfstand gehören auch die immer umfangreicheren Marketingmaßnahmen, die in den internen Abläufen von vielen Spielern als zunehmend störend empfunden werden. Auch der gewaltige Betreuerstab kann kritisch hinterfragt werden. Die gesamte Richtung müsste neu justiert werden vor der EM 2020. Sieht man sie als Übergangsturnier für die WM 2022 in Katar, wenn ein großer Teil der Weltmeister von 2014 in Rente gegangen sein wird, oder nicht? Die Aufgabe für Joachim Löw oder seinen Nachfolger wird kompliziert.