Fußballer und ihre TattoosBemalte Krieger, so weit das Auge reicht
Ein zartes Lächeln huscht Dieter Zalisz über sein sonst meist ernstes Gesicht. „Elbisch?“, fragt der Tätowierer etwas ungläubig, als er über die Runen auf dem rechten Unterarm des argentinischen Star-Fußballers Sergio Agüero aufgeklärt wird. So etwas habe er in seinen 36 Jahren im Studio Elektrische Tätowierungen in Köln-Mülheim selbst noch nicht gestochen. „Aber klar“, sagt Zalisz, der Chiles Starspieler Arturo Vidal einst eines seiner Rennpferde tätowierte, „Fußballer greifen Ideen natürlich auch aus Filmen auf, das sind ganz normale Jungs.“
Zur Person
Dieter Zalisz, geboren in Duisburg und Fan des MSV, betreibt seit 1982 das Studio Elektrische Tätowierungen in Köln-Mülheim.
Bei der Fußball-WM in Russland werden diese normalen Jungs ihre Körperkunst wieder Milliarden TV-Zuschauern präsentieren dürfen: Auf Armen, Beinen, im Nacken, auf den Fingern oder beim trikotlosen Torjubel auf dem Rücken. Von Jahr zu Jahr wächst die Zahl der tätowierten Profis, ein Ende ist nicht in Sicht – so lange noch Hautfläche zur Verfügung steht. „Tabus wie Tattoos auf den Fingern, die zu Problemen bei der Jobsuche geführt haben, gibt es heute nicht mehr. Tätowieren eignet sich nicht mehr zur Anpassungsverweigerung, wie es in meiner Jugend war, es ist auch keine Subkultur mehr.“ Heute unternehmen Fußballer, die auf Tattoos verzichten, fast eine eigene Art der Anpassungsverweigerung. Studio-Chef Zalisz unterstützt das: „Deswegen finde ich Jonas Hector cool.“
Agüero, der sich seinen Namen auf elbisch – einer Fantasiesprache aus dem „Herr der Ringe“-Universum – stechen ließ, ist mit seinem Motiv immerhin ein Außenseiter unter den tätowierten Fußballern. „Die Taschenuhr mit römischen Ziffern ist eines der beliebtesten Motive. Die kam aus dem Nichts – warum und weshalb, das weiß keiner“, erklärt Zalisz. Der Kolumbianer James Rodriguez trägt sie auf dem linken Arm, Lionel Messi auf dem rechten, Toni Kroos in der linken Armbeuge und Leroy Sané groß auf dem Rücken. Ebenfalls im Trend sind Löwen. „Die stehen bei den türkischen Jungs hoch im Kurs“, so Zalisz. Mesut Özil hat einen auf der linken Schulter. „Es steht für Stärke und Aggressivität.“
Vorbild in Sachen Fußballer-Tätowierung, so die einhellige Meinung, ist David Beckham. „Die meisten Fußballer orientieren sich irgendwie an ihm“, sagt Zalisz über den Engländer. „Er hat Charisma, obwohl da ein bisschen Glück bei war. Denn ich weiß aus erster Quelle, der Tätowierer in Hollywood ist ein enger Freund von mir, dass sich seine Frau Victoria die Tattoos ausgesucht oder die Motive zumindest abgenickt hat.“ Beckhams Kreuze, Engel und Rosen finden sich mittlerweile auf unzähligen Körpern. Die Wolken-Motive, gerne als Füller auf großen Flächen wie Armen und Beinen benutzt, heißen in der Szene „Beckham-Wolken“. Zalisz sagt: „Heute ist es fast unmöglich, noch einen eigenen Stil zu erfinden. Diese Zeit ist vorbei.“
Niklas Süle hat sich Inspiration aus dem Südpazifik geholt. Die rechte Schulter des deutschen Nationalspielers ziert eine Maori-Bemalung. „Es ist eine Krieger-Tätowierung, die die Krieger von Samoa früher bekommen haben, um gefährlicher auszusehen. Das ist bei einem Verteidiger vielleicht gar nicht so schlecht“, sagt Zalisz. Der Spanier Sergio Ramos hat einen Mix aus christlichen und indianischen Symbolen auf dem Körper, mit einem Schwung Heimatverbundenheit. „Bei Deutschen sind Flaggen oder Landkarten nur sehr schwer vorstellbar, bei Ramos dagegen wird es als Patriotismus ausgelegt“, meint Zalisz. Der Öffentlichkeit wenig Angriffsfläche zu bieten, ist für die Sportler ein großer Aspekt bei der Tattoo-Auswahl, sagt der Experte: „Mit Familien-Tattoos musst du dich nicht erklären. Wenn du dich mit deinen Kindern verewigst, machst du dich nicht angreifbar.“
Missgeschick auf Leroy Sanés Rücken
Häme gibt es schon mal, wenn Tattoos nicht gelingen – wie etwa Leroy Sanés gigantisches Selbstporträt auf dem Rücken, das ihn beim Torjubel zeigen soll. Beim Blick ins Gesicht lässt sich allerdings nur eine rudimentäre Ähnlichkeit zwischen Vorlage und Abbild erkennen. „Ein großes Selbstporträt als Tattoo – das macht eigentlich niemand“, sagt Zalisz. Zwar wird das Motiv nicht zu Sanés WM-Aus geführt haben, doch das übergroße Ego des Angreifers ist Teil einer Attitüde, die bei Bundestrainer Joachim Löw nicht gut ankommt.
Bei Lionel Messis Tattoo am linken Bein ist ebenfalls etwas schiefgegangen. Erst waren nur die Babyhände seines Sohnes Thiago zu sehen, doch Jahr für Jahr wurde die Stelle mit neuen Motiven ergänzt – worunter die Qualität des Gesamtkunstwerks litt. Der Argentinier entschied sich für eine drastische Lösung: ein „Cover-Up“, eine großflächige schwarze Übermalung. Das Ergebnis erinnert an einen Permanent-Stutzen. „Damit konnte er bestimmt eine Woche nicht spielen, das Bein war sicher geschwollen“, meint Zalisz.
Ohnehin gibt es Diskussionen um die gesundheitlichen Folgen von Tätowierungen. Laut Professor Ingo Froböse von der Deutschen Sporthochschule Köln belegen Studien, dass die Profis in der ersten Zeit nach einer Tätowierung Leistungseinbußen von drei bis fünf Prozent erleiden würden. „Die Haut ist das größte Organ, das wir haben. Und wir vergiften es“, so Froböse. Weitere Untersuchungen hätten demnach ergeben, dass 60 bis 70 Prozent der Tinte nicht in der Haut bleiben, sondern in die Blutbahn gelangen und Schäden verursachen könnten – schlechte Nachrichten für viele Fußballer, selbst auf elbisch.