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Stéphanie FrappartDie Pionierin, die beim Deutschland-Spiel Geschichte schreiben wird

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Stéphanie Frappart

Stéphanie Frappart

Stéphanie Frappart pfeift die Partie Deutschland gegen Costa Rica – als erste Frau bei einer Männer-WM.

Seit Dienstagabend weiß Stéphanie Frappart, dass sie am Donnerstag ab 20 Uhr mitteleuropäischer Zeit Geschichte schreiben und für mindestens 90 Minuten im Blickpunkt der fußballinteressierten Weltöffentlichkeit stehen wird. Frappart ist Schiedsrichterin, eine der besten der Welt, ihre Spielleitung ist progressiv, ihre Autorität auf dem Platz anerkannt, und ihre Weltklasse als Unparteiische in vielen Spielen erwiesen. Die Folge: Sogar der eigentlich ja sehr reaktionäre Verein namens Fifa konnte keine Bedenken mehr Madame Frappart gegenüber vorschieben, und voilà: Stéphanie Frappart, 38 Jahre alt, 1,64 Meter groß, Französin aus dem Département Val d’Oise im Norden des Landes, pfeift die für Deutschland so wichtige Partie gegen Costa Rica am Donnerstag um 20 Uhr im 60 000 Zuschauer fassenden Al-Bayt-Stadion.

Als erste Frau in einem WM-Spiel der Männer. Als sie die Nachricht erhielt, blieb für Frappart für ein paar Sekunden die Zeit stehen, die Emotionen, das Glück, die Aufgabe, die Verantwortung, die weltweite Beachtung. Später sagte sie: „Ich fühle mich geehrt, ausgewählt worden zu sein. Denn die WM ist die wichtigste Sportveranstaltung der Welt.“ Zweimal wurde sie bei diesem Turnier bereits als vierte Offizielle am Spielfeldrand eingesetzt, zunächst bei der Partie Mexiko gegen Polen (0:0, 22. November) und dann beim Match zwischen Portugal und Ghana (3:2, 24. November). Die professionelle Schiedsrichterin Frappart ist also bereits bestens vertraut mit den infrastrukturellen Gegebenheiten im WM-Ausrichterland Katar.

Frappart legte die volle Konzentration auf das Schiedsrichter-Wesen

Und eine große Prise Verantwortung hatte sie als vierte Schiedsrichterin auch bereits. Für Frappart ist die Aufgabe, ein Fußballspiel zu leiten, „eine große Leidenschaft“. Sie hat einst selbst aktiv gespielt, bei AS Herblay, angefangen hat sie mit neun Jahren. Und nebenbei hat sie Spiele der Bambini geleitet, weil sie „schnell die Regeln des Spiels erlernen“ wollte. Lange Zeit hat sie beides gemacht – gespielt und gepfiffen. Im Alter von 18 Jahren, auf dem Sportgymnasium, hat sie gemerkt, dass zwei zeitaufwendige Hobbys eine Sache zu viel sind. Die Lösung: Volle Konzentration auf das Schiedsrichter-Wesen.

Stück für Stück legte Frappart die für die Welt des französischen Fußballs notwendigen Examina ab, wurde bei Spielen beobachtet und immer wieder in eine höhere Kategorie befördert, bis in die höchsten Frauen- und Männerligen. Bei zwei Weltmeisterschaften, zwei Olympischen Spielen und zwei Europameisterschaften hat sie bereits Spiele der Frauen geleitet. Doch Frapparts Vita als Unparteiische ist voll von ersten Schritten auf bis dahin von Frauen im Männerfußball nicht begangenem Terrain: Erste Schiedsrichterin bei einer Partie der Ligue 1, Amiens gegen Straßburg am 28. April 2019 (0:0). Erste Leiterin eines Uefa-Supercup-Finales, Liverpool gegen Chelsea (7:6 nach Elfmeterschießen, 14. August 2019). Erste Frau, die ein Nations League-Spiel pfiff, Malta gegen Lettland (1:1, 6. September 2020). Erste Unparteiische einer Champions-League-Partie: Juventus gegen Dynamo Kiew (3:0, 2. Dezember 2020).

Bei der Männer-Euro 2021 war sie vierte Schiedsrichterin und Ersatzfrau auf der Liste der Referees. Und am 7. Mai 2022 leitete sie das französische Pokalfinale, das Nantes mit 1:0 gegen Nizza gewann. Das Tor entsprang einem Elfmeter, den Frappart gepfiffen hatte. Am Donnerstag klettert sie nun noch eine Stufe auf der Karriereleiter für Schiri-Pionierinnen nach oben, ihr Debüt bei der Männer-WM ist für sie eine Besonderheit: „Ich bin sehr bewegt.“ Die Fifa nominierte neben Frappart zudem noch zwei weitere Schiedsrichterinnen für das Turnier in Katar: Salima Mukansanga aus Ruanda und Yamashita Yoshimi aus Japan, doch diese beiden müssen sich zunächst mit dem Status einer vierten Schiedsrichterin begnügen.

Mein Eindruck ist, dass die Männer sich vor mir sehr zurücknehmen
Stéphanie Frappart über das Pfeifen im Männerfußball

Erwartet hätte Frappart ihren Aufstieg allerdings nicht: „Zu Beginn war es schlicht eine Leidenschaft, die ich für mich entdeckt habe. Ich habe es gar nicht darauf angelegt, Stufe für Stufe nach oben zu kommen. Ich hatte es bestimmt nicht auf dem Schirm, eines Tages ein internationales Männerspiel zu leiten.“ Gegen Deutschland assistieren Frappart zwei Linienrichterinnen: Neuza Back (Brasilien) und Karen Diaz (Mexiko). Im Laufe ihrer Karriere hat Frappart auf Männerplätzen „stets Respekt erfahren“. Die Spieler seien ihr gegenüber zurückhaltend, „natürlich schimpfen sie auch, aber sie wählen andere Worte als Männern gegenüber. Mein Eindruck ist, dass die Männer sich vor mir sehr zurücknehmen.“

Das Verhalten testosterongetränkter Profis inmitten einer wogenden Partie müsse sie ohnehin ausblenden, denn für sie komme es darauf an, ruhig zu bleiben und „die richtige Entscheidung zu treffen. Daran werde ich gemessen.“ Und sie weiß auch um ihre Rolle: „Es geht um die Spieler, nicht um mich. Ich beobachte nur und schreite nur dann ein, wenn es nötig ist.“ Eine weitere Stufe gäbe es noch für die Schiedsrichter-Karriere der Stephanie Frappart – die K.o.-Phase in Katar, und, warum nicht, das Finale.

Ein WM-Finale hat sie im Übrigen bereits gepfiffen, USA gegen Niederlande (2:0, 2019). Auch das war, diesmal aber nur für sie, eine Premiere. Die Leistung zählt.