Die französische Nationalmannschaft ist von einem außergewöhnlichen Pech verfolgt: Verletzungen ergeben sich quasi im Tagesrhythmus. Ist der Weltmeister Opfer eines biblischen Fluchs?
WM-Kolumne „Wir schauen hin“Frankreich und die pechreichen Sieben
Zunächst einmal eine kleine Definition von Glück. Der aktuelle Lotto-Jackpot beläuft sich auf 15 Millionen Euro. Die Gewinnchance jedoch beträgt 1:140 Millionen. Dieser Eine zu sein, das hat also sehr viel mit Glück zu tun.
Und dann gibt es Pech. Zum Beispiel in der Form, wie es Roy Sulivan erleben musste, ein Park-Ranger aus den USA. Er wurde gleich sieben Mal vom Blitz getroffen, und zusätzlich noch von einem Hai sowie einer Klapperschlange gebissen. Sulivan hat all dies überlebt, wurde aber seines Lebens nicht mehr froh.
Seines Lebens nicht mehr froh werden – dieses Ende sollte die Geschichte des Trainers Didier Deschamps nun wirklich nicht nehmen, dessen offensichtlich verwunschener Kader derzeit von Plagen biblischen Ausmaßes mit dröhnendem Donner und zuckenden Blitzeinschlägen auf unglaubliche Art und Weise heimgesucht wird.
Drei Weltmeister haben sich verletzt
Gar nicht erst hinein schafften es der Langzeitverletzte Paul Pogba, Deschamps Schlüsselspieler im Mittelfeld, sein Innenverteidiger Presnel Kimpembé und der ersehnte Defensivstratege N’golo Kanté, alle drei Weltmeister von 2018. Auch wegen einer Blessur nicht dabei: Mike Maignan, der Ersatztorwart. Doch es ging noch weiter.
Denn der Leipziger Christopher Nkunku musste, kaum angekommen, wieder aus dem Kreis des Nationalteams abreisen – Außenbandriss im linken Knie. Gefolgt von Karim Benzema, dem gesetzten Mittelstürmer von Real Madrid – Muskelverletzung im linken Oberschenkel.
Deschamps nahm es stoisch hin und verzichtete nach einer Nachnominierung für Nkunku sogar auf eine weitere für Benzema. Weil der Fluch sich ansonsten nur ausgewachsen hätte? Wie auch immer: Großmut oder Fehler, das Turnier würde es weisen.
Der Kreuzbandriss bei Bayern-Star Hernández
Am Dienstagabend ereilte Frankreich dann im Spiel gegen Australien – analog zu Ranger Sulivans Blitzerfahrungen – das siebte große Kader-Pech. Vor dem 0:1 sackte Lucas Hernandez nach einer Landung zusammen – Kreuzbandriss.
Die Frage ist: Was passiert mit einem Kader, der derart offensichtlich unter einem ungünstigen Stern steht? Geht es Deschamps wie Sisyphos aus der griechischen Mythologie, der gerade eine schwere Aufgabe bewältigt hatte (einen Felsen auf einen Gipfel hinaufwälzen), ehe seine Beruhigung dem Entsetzen wich, weil plötzlich alles von vorne begann? Denn der Felsen rollte wieder den Berg herab. Und Sisyphos war dazu verdammt, ihn wieder nach oben zu hieven, Tag für Tag.
Frankreich also zieht nun ohne die pechreichen Sieben weiter in Richtung des zweiten Spiels. Die Frage ist: Was passiert mit einem Kader, der derart offensichtlich unter einem nun wirklich ungünstigen Stern steht?
Der französische Philosoph Albert Camus kommt zu dem Ergebnis, dass Sisyphos’ Kampf gegen den Gipfel ein Menschenherz auszufüllen vermöge, und daher: „Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.“ Vielleicht gilt das ja trotz allem auch für Didier Deschamps. Das Auftaktspiel immerhin haben die Franzosen nach dem erneuten Blitzschlag des frühen Rückstands 4:1 gewonnen. Was für ein Glück.