Youssef Mokhtari war früher Bundesliga-Profi, 2005 bis 2006 stand der Mittelfeldspieler beim 1. FC Köln unter Vertrag. Der heute 43-Jährige absolvierte aber auch 24 Länderspiele für sein Geburtsland Marokko und spielte viele Jahre zusammen mit dem heutigen Nationaltrainer Walid Regragui. Im Interview spricht er über die WM-Sensation Marokko, die Chancen im Halbfinale gegen Frankreich (Mittwoch, 20 Uhr) und blickt auf seine Karriere zurück.
Mokhtari über WM-Sensation Marokko„Die Spieler lassen immer ihr Herz auf dem Platz"

Experten für das ZDF beim WM-Viertelfinale Marokko gegen Portugal (v.l.): die früheren und aktuellen deutschen Nationalspieler Per Mertesacker, Florian Neuhaus und Christoph Kramer sowie Marokkos Ex-Nationalspieler Youssef Mokhtari mit seinem Bruder Omar.
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Herr Mokhtari, hat sich vor der WM irgendwie angedeutet, dass die marokkanische Nationalmannschaft zu dieser Leistung imstande ist und jetzt um den Einzug ins WM-Endspiel kämpft?
Youssef Mokhtari: Erst einmal musste unsere Mannschaft die Hammer-Vorgruppe mit Vizeweltmeister Kroatien und dem WM-Dritten Belgien überstehen. Dass wir das geschafft haben, war schon stark. Denn das sind Teams, die mit Stars nur so gespickt sind. Wir haben mittlerweile auch vier, fünf Spieler, die bei absoluten Top-Klubs unter Vertrag stehen, aber es sind bei weitem nicht alle. In den ersten beiden Spielen gegen Kroatien und Belgien waren wir der Außenseiter und hatten nicht viel zu verlieren. Darum hatte ich etwas Bammel vor dem letzten Gruppenspiel gegen Kanada, in dem wir favorisiert waren. Aber auch das hat die Mannschaft super gelöst. Das Selbstvertrauen wurde nach dem Überstehen dieser Todesgruppe noch einmal größer. Das Team ist dann über sich hinausgewachsen.
Was sind die Gründe für die Turnier-Sensation?
In erster Linie ist da Trainer Walid Regragui zu nennen. Walid hat es geschafft, eine zuvor spielerisch gute Mannschaft auch zu disziplinieren und taktisch perfekt einzustellen. Er hat europäische Tugenden einfließen lassen und kann die Spieler unglaublich gut motivieren. Unser Team hat früher zu oft nur für die Galerie gespielt. Jetzt hat er eine echte Mannschaft geformt, in der auch die Stars zu Arbeitern werden und sich in den Dienst der Gemeinschaft stellen. Auch internationale Topspieler wie En-Nesyri oder Ziyech oder Mittelfeldmotor Amrabat sind sich nicht für Defensivarbeit zu schade. Hinten sind wir mit Torhüter Bono, Hakimi, Mazraoui, Saiss oder Aguerd ohnehin gut besetzt. Wir haben mittlerweile ein Abwehr-Bollwerk. In den letzten acht Spielen haben wir nur einen Gegentreffer kassiert – und das war ein Eigentor. Alle Spieler folgen dem Trainer, alle machen mit. Dazu kommt, dass die Jungs bis zum Umfallen laufen und ihr Herz wirklich immer auf dem Platz lassen.
Sie haben selbst mehrere Jahre mit Regragui in der Nationalmannschaft gespielt, standen zusammen 2004 im Finale des Afrika-Cups und sind mit ihm befreundet. Erst im August übernahm er nach der Trennung von Vahid Halihodzic das Traineramt. Wie hat Regragui das in der Kürze der Zeit geschafft?
Nach der Trennung von Halihodzic hatten die marokkanischen Fans und die Öffentlichkeit einen marokkanischen Trainer gefordert und ihn mit Walid auch bekommen. Er war vielleicht in Europa für viele kein Begriff, aber bei seiner Station zuvor hatte er für Aufsehen gesorgt und mit Wydad Casablanca nicht nur den nationalen Titel geholt, sondern auch die afrikanische Champions League gewonnen. Walid konnte eigentlich nur gewinnen. Denn als er begann, fand er bereits ein gutes Fundament vor: eine gute Mannschaft, ein gutes Trainerteam und Umfeld. Aber das Klima im Team war nicht so gut, da es ein paar Probleme zwischen den Spielern, die in Marokko geboren wurden und denen, die nicht in Marokko auf die Welt kamen. Halohodzic hatte zudem auf Ziyech und Mazraoui freiwillig verzichtet hatte, weil diese angeblich disziplinlos gewesen seien. Walid hat beide zurückgeholt und die Mannschaft geeint. Ich kenne und schätze ihn seit Jahren. Ich bin mir sicher, dass eine große Trainerkarriere begonnen hat.
14 der 26 Spieler im WM-Kader sind nicht in Marokko geboren, sondern in Frankreich, Belgien, in den Niederlanden oder wie Torwart Bono sogar in Kanada. War das eine besondere Herausforderung?
Eher nicht. Denn in Marokko liegen ja die Wurzeln aller Spieler. Sie sind stolz darauf, für Marokko zu spielen und das Land zu repräsentieren. Auch Walid wurde nahe Paris geboren und verbrachte seine Karriere als Abwehrspieler in Frankreich und Spanien. Erst als Trainer ging er nach Marokko. Die Mannschaft profitiert davon, dass der Trainer und so viele Spieler in Europa aufgewachsen sind und fußballerisch ausgebildet wurden. In Marokko haben sich die Strukturen und die Infrastruktur zwar verbessert, aber im Vergleich zu Europa sind da immer noch große Unterschiede.
Jetzt ist im Halbfinale Frankreich der Gegner. Einige Spieler sind dort geboren, Französisch ist zweite Amts- und Verkehrssprache. Steckt im Duell zu viel Brisanz, hätten sie lieber gegen England gespielt?
Nein, Frankreich war mein Wunschgegner. Ich denke auch, dass uns die Franzosen besser liegen als England. Natürlich sind sie weiterhin der Favorit. Wenn wir ihnen zu viele Räume haben, dann werden wir auch zwei, drei Gegentore kassieren. Aber wenn wir weiterhin so kompakt, diszipliniert und leidenschaftlich spielen und lange die Null halten können, dann sehe ich für uns ganz gute Chancen, ins Endspiel zu kommen. Ich hoffe, dass bis zum Anpfiff einige angeschlagene Spieler wieder im Vollbesitz ihrer Kräfte sind.
Während in Deutschland die marokkanischen Fans überwiegend friedlich feierten, kam es in Belgien oder Frankreich auch zu Ausschreitungen. Haben Sie eine Erklärung dafür?
Die Fans sollen ausgelassen feiern, aber ich finde es traurig, dass es dort so weit gekommen ist. Warum muss man sich an Geschäften und Autos auslassen, sie demolieren, abfackeln? Es gibt sicherlich Ursachen dafür, in Frankreich sollen auch andere Nordafrikaner mitgemischt haben. Aber am Ende ist es irrelevant, was die Gründe für diese Ausschreitungen sein könnten. Echte marokkanische Fußballfans distanzieren sich von Gewalt. Und hier in Deutschland klappt das ja auch, hier halten sich die marokkanischen Fans überwiegend an die Regeln.
1994, 1998, 2006, 2010, 2026 – Marokko hat sich schon fünf Mal vergeblich für die WM beworben. Haben Sie Hoffnung, dass Ihr Land in Zukunft doch noch mal den Zuschlag erhält?
Marokko hätte es verdient. 2010 wäre es ja fast soweit gewesen. Doch dann erhielt unter merkwürdigen Umständen doch noch Südafrika den WM-Zuschlag. Marokko ist nicht nur ein wunderschönes, fußballverrücktes Land, sondern es macht in vielen Bereichen Fortschritte. Die Infrastruktur wird immer besser, das Land moderner und offener. Eine Vergabe der WM nach Marokko könnte zudem in der ganzen Region die Wirtschaft enorm ankurbeln. Ich bin mir sicher, dass das Land eine WM gut organisieren könnte.

Youssef Mokhtari in der Saison 2005/2006 als Profi des 1. FC Köln im Gespräch mit dem damaligen FC-Trainer Uwe Rapolder
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Man kennt Sie noch von früher als Profi des 1. FC Köln, von Energie Cottbus oder des MSV Duisburg. Was machen Sie heute?
Mein Bruder Oualid und ich haben die „Moki Fußballakademie“ in Raunheim gegründet. Wir bieten Fußballcamps, Fußballschule, Talentförderung, individuelles Training an. Ich bin gerade dabei meine weiteren Trainer-Scheine zu erwerben: erst den A-Schein, dann die Fußballlehrer-Lizenz. Da habe ich noch einiges vor.
Werden Sie als Trainer ihre Spieler auch Aufsätze über Altruismus und Egoismus schreiben lassen? Ihr früherer Trainer beim FC, Uwe Rapolder, soll das 2005 nach einer vergebenen Großchance im Spiel gegen Schalke von Ihnen gefordert haben.
Die Geschichte werde ich wohl nicht los (lacht). Aber ich kann das ja mal klarstellen: Uwe Rapolder hat das nie von mir gefordert, er hatte vor der TV-Kamera nur einen Scherz gemacht. Danach standen dann Unwahrheiten in den Medien, die Geschichte verselbständigte sich dann. Ich hätte auch niemals einen Aufsatz geschrieben, denn wer mich kennt, der weiß, dass ich kein Egoist bin. Und mit Uwe Rapolder habe ich seitdem auch keine Probleme. Wir haben uns noch öfters gesehen.
Trotzdem wurde damals wenige Monate später Ihr Vertrag in Köln in „gegenseitigem Einvernehmen“ aufgelöst, wie es hieß.
Man wollte mich damals aus Köln weghaben, ich war ein guter Sündenbock. Es waren unruhige Zeiten beim FC, am Ende ist die Mannschaft auch abgestiegen. Fast alles drehte sich nur um Lukas Podolski. Ich bin dann zum MSV Duisburg gewechselt, und wir gewannen in der Hinrunde 3:1 in Köln. FC-Trainer Christoph Daum wurde danach gefragt, warum der Verein mich hat ziehen lassen.
Haben Sie Fehler gemacht? War in Ihrer Karriere nicht mehr drin, da Sie als richtig guter Fußballer galten?
Natürlich habe ich Fehler gemacht. Wer hat das nicht? Mein größter Fehler war sicherlich mein Wechsel im besten Fußballer-Alter mit 28 Jahren nach Katar. Und natürlich wäre bei meinen Anlagen auch mehr drin gewesen. Ich habe aber noch bis Ende 30 gespielt und bin mit meiner Karriere im Reinen.