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Chiefs-Trainer Andy Reid vor dem Super BowlEin Leben voller Niederlagen und Tragödien

Lesezeit 6 Minuten
Andy Reid gegen Tennessee Titans

Andy Reid feiert den Sieg im AFC-Championship-Spiel gegen die Tennessee Titans.

  1. Seit 20 Jahren ist Andy Reid mittlerweile Cheftrainer in der amerikanischen Profi-Footballliga NFL.
  2. Doch einen Titel konnte er noch nie gewinnen. Während auf dem Platz die Triumphe ausblieben, erlebte er neben dem Platz Tragödien.
  3. Die Geschichte eines Mannes, der früh seinen Sohn verlor. Und der nun im Super Bowl mit den Kansas City Chiefs endlich sein Verlierer-Image ablegen möchte.

Köln – Wenn am Sonntag die Kansas City Chiefs im Super Bowl gegen die San Francisco 49ers antreten, wird es diesen einen Moment geben. Diesen Moment, in dem die Kamera vor der Bank der Chiefs stehen bleibt und Trainer Andy Reid einfängt. 15 Jahre hat er auf diesen Moment gewartet, der Mann mit dem markanten Schnäuzer und einem Körper wie Reiner Calmund. Denn im Super Bowl kann der 61-Jährige endlich seine Lebensgeschichte umschreiben, die durchzogen ist von Niederlagen auf dem Platz und noch schlimmeren Niederlagen neben dem Platz. Und einem Tag, der sein Leben für immer verändern sollte.

Diese Geschichte beginnt im Jahr 1982. Andy Reid, damals 22 Jahre alt, weiß schon als junger Mann, dass es mit der Karriere als Football-Profi nichts wird. Doch er hat andere Talente, die er kurze Zeit später als Assistenztrainer am kleinen BYU-College zur Schau stellen kann.

Mit Fleiß und harter Arbeit macht sich Reid schnell einen Namen. Nach nur einem Jahr am College ruft die NFL: „Big Red“, wie Reid liebevoll von seinen Kollegen und Spielern genannt wird, heuert als Assistenztrainer bei den San Francisco 49ers an und geht wiederum ein Jahr später zu den Packers nach Green Bay.

Andy Reid und sein Bett auf dem Trainingsgelände

Auch bei den Profis überzeugt Reid durch harte Arbeit. In manchen Jahren arbeitet er so viel, dass er an drei bis vier Tagen in der Woche auf dem Trainingsgelände der Packers übernachtet. Und wenn er dann doch mal zuhause schläft, macht er sich um drei Uhr morgens auf den Weg zur Arbeit, fährt dann fürs Frühstück wieder zu seiner Familie, um danach wieder zur Arbeit zu fahren.

Andy Reid

Andy Reid trägt für sein Leben gerne Hawaii-Hemden. Und so erschien er auch zum offiziellen Medientag vor dem Super Bowl in einem roten Palmen-Outfit.

Der Einsatz zahlt sich aus. Im Januar 1999 unterschreibt der Mann, der für sein Leben gerne Hawaii-Hemden trägt, als Headcoach bei den Philadelphia Eagles. In kürzester Zeit krempelt er die Franchise komplett um und macht aus einer Verlierer-Truppe ein konkurrenzfähiges Team. Fünf Jahre in Folge erreichen die Eagles ab 2000 unter Big Red die Playoffs, dreimal scheitern sie im Halbfinale, 2005 verlieren sie im Super Bowl gegen die New England Patriots um Superstar Tom Brady denkbar knapp mit 24:21.

Immer häufiger heftet Reid das Image eines Verlierers an. Denn während der Mann mit dem Schnäuzer auch in den kommenden Jahren immer wieder kurz vor dem Triumph scheitert, muss er mit ansehen, wie seinen ehemaligen Assistenztrainer John Harbaugh und Doug Pederson und Weggefährten wie Jon Gruden der Reihe nach NFL-Champion werden.

Andy Reids Söhne werden drogenabhängig

Was die meisten Experten zu dieser Zeit nicht wissen: Abseits des Feldes gerät Reids Privatleben immer mehr ins Wanken. Sohn Garrett wird süchtig nach Heroin, Kokain und rezeptpflichtigen Medikamenten und fällt in ein tiefes Loch. Und als sei das nicht schon genug für Reid und dessen Frau Tammy, verletzt sich ihr zweiter Sohn Britt (die beiden haben insgesamt drei Söhne und zwei Töchter) beim Football so schwer, dass er starke Schmerzmittel nehmen muss, von denen er abhängig wird.

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Um mehr Zeit mit seinen Söhnen verbringen zu können, nimmt Vater Andy seine Jungs mit zu College-Spielen, wo sie gemeinsam Talente scouten. Er bringt sie sogar als Balljungen bei den Philadelphia Eagles unter. Doch Garrett fällt immer wieder zurück und muss letztendlich in eine Entzugsklinik.

Der Tag, der das Leben der Reids für immer verändert

Erst im Jahr 2007 wird langsam öffentlich, welche Tragödie sich im privaten Umfeld des Andy Reid abspielt. Innerhalb von sechs Stunden werden seine ältesten Söhne Garrett und Britt wegen Drogen- und Waffendelikten von der Polizei festgenommen. Andy Reid nimmt sich fünf Wochen frei, um seine Kinder zu retten. Doch auch er kann nicht verhindern, dass beide vor Gericht verurteilt werden – für knapp zwei Jahre müssen sie ins Gefängnis. Die letzten Worte des Richters bei der Verhandlung: „Diese Familie steckt in einer Krise.“

In den folgenden zwei Jahren fährt der 61-Jährige wöchentlich eine Stunde raus aus Philadelphia, um seine Söhne im Gefängnis zu besuchen. Sie gehen gemeinsam zu Therapiestunden, Garrett wird nach der Haft sogar Assistenztrainer bei den Eagles. Für eine Weile sieht es fast so aus, als würde Andy seinen Sohn aus dem Drogensumpf retten können.

Bis zum 5. August 2012. Als Team-Mitarbeiter am Morgen das Trainingsgelände betreten, finden sie Garrett auf dem Boden liegend vor – neben ihm eine Spritze, ein Löffel und Heroin. Ein Teamarzt versucht noch, ihn wiederzubeleben. Doch es ist zu spät – Garrett Reid stirbt mit nur 29 Jahren.

Einen Tag nach der Beerdigung steht Reid auf dem Platz

Andy Reid taucht ab – zumindest für zwei Tage. Als sein Sohn wenig später beerdigt wird, kommen 900 Menschen nach Philadelphia. Unter ihnen viele NFL-Stars und Promis, die den Reids beistehen wollen.

„Er hat nicht gezuckt“, erinnert sich Louis Riddick, der viele Jahre Scout bei den Eagles war, in einem Interview mit der Washington Post. „Jeder wusste, dass er innerlich zerrissen war. Aber die Stärke, die er auf der Beerdigung zeigte, war nicht von dieser Welt.“

IMAGO Andy Reid nach dem Tod seines Sohns

Das erste Spiel nach Garrett Reids Tod: Mike Tomlin, Trainer der Pittsburgh Steelers, umarmt Andy Reid.

Nur einen Tag später steht der damals 54-Jährige wieder bei den Eagles auf dem Trainingsplatz. Weil sein Sohn es so gewollt hätte, sagt Reid.

Doch an den Erfolg vergangener Tage kann er mit den Eagles nicht mehr anknüpfen. Das Team verliert in der folgenden Saison zwölf von 16 Spielen und der Cheftrainer muss seinen Hut nehmen.

Die Kansas City Chiefs erleben eine Tragödie

Es passt zur Geschichte dieses Mannes, dass sich zur gleichen Zeit auch in Kansas City eine Tragödie abspielt. Jovan Belcher, Spieler der Chiefs, erschießt seine Freundin nach einer Auseinandersetzung in ihrem Haus. Im Anschluss nimmt er sich auf dem Parkplatz vor dem Arrowhead Stadium der Chiefs selbst das Leben. Cheftrainer Romeo Crennel und Sportdirektor Scott Pioli müssen die Tat mit ansehen und können sie nicht verhindern. Das Team steht wochenlang unter Schock und verliert 14 von 16 Spielen.

Nur wenige Monate später übernimmt Andy Reid den Cheftrainer-Posten der Chiefs. Er formt in kürzester Zeit eine Einheit. Das gelingt vor allem, weil „Big Red“ Profis wie Travis Kelce eine zweite Chance gibt. Kelce, der drei Jahre zuvor wegen Cannabis-Konsums von einem College geflogen war, gilt als schwieriger Charakter. Aber Reid vertraut ihm und gibt ihm und anderen Problemprofis wie Tyreek Hill und Damien Williams und auch seinem Sohn Britt, der mittlerweile Assistenztrainer der Chiefs ist, eine zweite Chance. Vielleicht auch, um sie zu retten, weil es ihm bei seinem Sohn Garrett nicht gelang.

Im ersten Jahr unter Reid erreichen die Chiefs sofort die Playoffs. Doch dann verlieren sie trotz 28-Punkte-Führung mit 44:45 gegen die Indianapolis Colts. Von 2015 bis 2018 ziehen sie jedes Jahr in die Endrunde ein. Und jedes Mal verlieren sie die entscheidenden Spiele kurz vor dem Titel.

Jetzt, 15 Jahre nach der letzten Super-Bowl-Teilnahme, könnte sich der Kreis für Andy Reid am Sonntag endlich schließen. 221 Spiele hat er mittlerweile in seiner Karriere gewonnen – so viele wie kein titelloser NFL-Trainer zuvor. Viele Kollegen sagen, er sei im Laufe der Zeit entspannter geworden. Was sich aber nie geändert hat: Andy Reid ist nach wie vor einer der besten und kreativsten Trainer der NFL. Und seine Spieler folgen ihm auf Schritt und Tritt. Und so sagte Eric Fisher kurz nach dem Einzug in den Super Bowl gegenüber SB Nation: „Ich möchte mehr als alles andere für Coach Reid einen Super Bowl gewinnen. Dieser Mann verdient einen Super Bowl. Er hat gearbeitet und gearbeitet und sein ganzes Leben diesem Ziel gewidmet. Coach Reid braucht einen Super Bowl. Wir müssen den jetzt für ihn gewinnen."