Nach Entscheidung zu 50+1Bayer 04, Wolfsburg und Hoffenheim stehen am Pranger
Leverkusen – Der deutsche Profi-Fußball steht vor einer Zerreißprobe. Das Bundes-Kartellamt hat der Deutschen Fußball-Liga dieser Tage bestätigt, dass die 50+1-Regel, die den Einfluss fremder Investoren auf Vereine auf eine Minderheit beschränkt, unter gewissen Bedingungen zum Traditionsschutz des Volksgutes Fußball mit dem deutschen Wettbewerbsrecht vereinbar sei. Es bemängelte aber die Ausnahmen für die Werksklubs Bayer 04 Leverkusen und VfL Wolfsburg sowie die der vom Investor Dietmar Hopp überwachten TSG Hoffenheim. Ohne Modifikationen dieser Ausnahmen, so das Bundeskartellamt in seiner Einschätzung, sei die 50+1-Regel womöglich nicht haltbar. Die DFL selbst hatte die Behörde vor drei Jahren um diese Einschätzung gebeten, um ihr im Vergleich europäischer Top-Klubs einzigartiges Konstrukt vor Klagen zu schützen. Die drei Klubs, denen 50+1 eine Ausnahme gewährt, haben sich jetzt bei der DFL in einem gemeinsamen Brief zur Wehr gesetzt. Wir erklären die Situation in einem Frage-und-Antwort-Beitrag.
Worin besteht die Ausnahme für Bayer 04 Leverkusen, VfL Wolfsburg und die TSG Hoffenheim?
Diese Fußballunternehmen werden als einzige im deutschen Profi-Fußball nicht von mitgliedergeführten Vereinen kontrolliert, sondern von den Konzernen Bayer, Volkswagen und von Dietmar Hopp. In ihren Fällen macht die DFL eine Ausnahme, die in der Tradition begründet sei, weil "ein Rechtsträger seit mehr als 20 Jahren den Fußballsport des Muttervereins ununterbrochen und erheblich gefördert hat." Bayer 04 Leverkusen und der VfL Wolfsburg entstanden 1999 und 2001 durch Ausgliederung der Lizenzspieler-Abteilungen von ihren Muttervereinen TSV Bayer 04 Leverkusen e.V. und VfL Wolfsburg e.V. Investor Dietmar Hopp übernahm 2015 mit Billigung der DFL die Mehrheit an der TSG Hoffenheim. Zuvor hatte er über 300 Millionen Euro in den Bundesliga-Aufstieg des ehemaligen Kreisligisten investiert.
Was kritisiert das Kartellamt an diesen Ausnahmen?
Die Behörde schreibt: „Durch die Gewährung der Förderausnahme wird in den betroffenen Klubs der beherrschende Einfluss des Muttervereins ausgeschaltet und damit das sportliche Geschehen insoweit von der Vereinsprägung abgekoppelt. Es besteht die Gefahr, dass prägende Charakteristika wie Mitgliederpartizipation im Verein und Transparenz gegenüber den Mitgliedern hierbei verloren gehen.“ Es wird hier weniger ein finanzieller Aspekt hervorgehoben, sondern vor allem ein traditioneller.
Welche Folgen ergeben sich unmittelbar daraus?
Bei der Wortmeldung des Kartellamts handelt es sich ausdrücklich um eine „Einschätzung“. Es ergeht die Forderung, zum Schutz von 50+1 die Praxis dieser Ausnahmen anders zu gestalten. Andreas Mundt, der Chef des Kartellamtes, erklärt: „Ausnahmen von der Grundregel sind grundsätzlich möglich. Solche Ausnahmen müssen eindeutig ausgestaltet sein, und sie dürfen nicht dazu führen, dass die eigenen sportpolitischen Zielsetzungen, die die DFL mit der 50+1-Regel verfolgt, konterkariert werden.“ Dadurch ist eine Diskussion entstanden, der sich keine Seite entziehen kann. Der Status quo wird nicht mehr haltbar sein.
Wie ist die Haltung der betroffenen Klubs?
In ihrem Brief, aus dem zuerst das „Handelsblatt“ zitierte, beharren Bayer 04 Leverkusen, der VfL Wolfsburg und die TSG Hoffenheim auf ihr Existenzrecht in der aktuellen Form und wehren sich gegen eine Änderung des Status Quo zu ihren Ungunsten. „Solche Konsequenzen sind für uns verständlicherweise nicht akzeptabel“, heißt es da. Man fordert von der DFL „den Bestand der Regel“ oder mindestens eine Modifizierung unter „Beibehaltung der mit ihr verbundenen Grundideen unter Wahrung des Bestandsschutzes für unsere Klubs“. Allerdings deuten die Klubs auch Kompromissbereitschaft an mit der Formulierung, man sei daran interessiert, „diese schwierige Situation zielgerichtet und mit diplomatischem Geschick zu bewältigen“.
Wie ist die Haltung der Deutschen Fußball-Liga?
Die DFL hat sich noch nicht öffentlich geäußert, steht aber in engem Austausch mit allen Beteiligten. In einer außerordentlichen Mitgliederversammlung Mitte Juli soll das Thema ausführlich behandelt und ein weiteres Vorgehen besprochen werden. Bis dahin will sich keine Seite offiziell äußern.
Wie könnte am Beispiel von Bayer 04 Leverkusen ein Kompromiss aussehen?
Bayer 04 wird durch den Gesellschafterausschuss, dem der ehemalige Bayer-Konzernchef Werner Wenning tatkräftig vorsteht, kontrolliert. Der Klub erhält vom Werk die nicht dementierte Summe von 25 Millionen Euro jährlich. VW unterstützt den VfL Wolfsburg mit geschätzt mehr als dem Doppelten. In Leverkusen richtet man sich darauf ein, eine Kröte schlucken zu müssen, sofern sie den Klub nicht in seinen Grundfesten erschüttert. Im letzten Geschäftsjahr hat Bayer 04 eine Bilanzsumme von rund 380 Millionen Euro ausgewiesen. Nur Bayern München (rund 707 Millionen) und Borussia Dortmund (517 Millionen) bewegten mehr Geld. Zum Vergleich: Der 1. FC Köln bilanzierte gut 91 Millionen Euro. Der ehemalige DFL-Geschäftsführer Andreas Rettig, einst Jung-Manager bei Bayer 04 und heute Geschäftsführer von Viktoria Köln, kann sich Kompensationseinbußen der Ausnahme-Klubs bei der Verteilung der Fernsehgelder vorstellen, um den Wettbewerbsvorteil auszugleichen. „Die DFL muss jetzt eine konstruktive Lösung finden, denn die Mehrheit der Klubs steht hinter der 50+1-Regel“, erklär er.
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Wäre im Fall Leverkusen eine Rückführung in den Stammverein TSV Bayer 04 mit seinen rund 10.000 Mitgliedern möglich?
Das ist nicht ausgeschlossen, aber mit unabsehbaren juristischen und steuerrechtlichen Fragen behaftet. Der Bayer-Konzern wäre dann nicht mehr die Mutter und das direkte Kontrollorgan des Fußball-Unternehmens und könnte möglicherweise als normaler Sponsor auftreten. Allerdings gilt dieser Schritt als allerletzter Ausweg.
Was würde passieren, wenn es zu keiner Einigung und damit nicht zu einer Änderung des Status Quo im Sinne des Kartellamts kommt?
Dann wäre die den Traditionsgedanken des deutschen Fußballs schützende 50+1-Regel in akuter Gefahr. Die Klubs haben in ihrem Schreiben an die DFL ihr Daseinsrecht im Profifußball quasi als Rote Linie deutlich gemacht mit der Formulierung, im Zweifelsfall seien sie „dazu gezwungen, dem entgegenzutreten, denn dann steht unser Teilnahmerecht, mithin unsere Existenz, infrage.“ Das ist nichts anderes als der Hinweis darauf, dass ein Gang vor die europäische Kartellbehörde das deutsche Konstrukt zum Einsturz bringen würde. Denn das EU-Recht würde keinem deutschen Fußball-Klub verbieten, was es jedem englischen, spanischen, italienischen oder französischen erlaubt: Den Einstieg eines Sponsors, der dann die Mehrheit übernimmt. Allerdings ist daran derzeit keine Seite interessiert. Deshalb wird um Lösungen gerungen.
Was ist mit RB Leipzig? Der 2009 gegründete Klub mit inzwischen 21 stimmberechtigten Mitgliedern befindet sich de facto in der Hand des Getränkeherstellers Red Bull.
Der Fall RB Leipzig wurde vom Kartellamt indirekt benannt. In dem Schreiben an die DFL erklärte die Behörde, sie sehe Hinweise darauf, „dass in der Vergangenheit auch eine Lizenzvergabe an Klubs erfolgt ist, die nicht im Sinne des klassischen Sportvereins offen für stimmberechtigte Neumitglieder sind.“ Das Regelwerk sei hier „lückenhaft“. Auch an dieser Stelle sind Veränderungen zu erwarten.