Leverkusen. – Es wäre falsch, über den Abschied der Bender-Zwillinge vom Profi-Fußball zu schreiben, ohne sentimental zu werden. Ein Brüder-Paar wie dieses wird es in der Bundesliga so schnell nicht mehr geben. Ohne Corona wären sie am Samstag nach dem letzten Heimspiel von Bayer 04 Leverkusen gegen Union Berlin von 30 200 Zuschauern mit donnerndem Applaus und Liebesgesängen verabschiedet worden. Und eine Woche später beim Saison-Finale noch einmal von 80 000 Dortmunder Fans, die auch eine ganz spezielle Bender-Beziehung haben.
Nichts davon wird geschehen. Die Tribünen werden leer sein. Wie viele Minuten Sven Bender noch spielen kann, ist ungewiss. Bei Lars steht es dagegen fest. Keine mehr. Die Knieverletzung verhindert einen letzten Auftritt im Trikot von Bayer 04 Leverkusen, das er seit 2009 in offiziellen 341 Profi-Spielen getragen hat.
„Was wir gerade erleben, wird der Geschichte nicht gerecht“, sagt Lars Bender (32), der langjährige Leverkusener Kapitän, bei seiner letzten Medienrunde der Brüder am Dienstag. Er hatte noch einmal alles versucht, sich einen finalen Auftritt zu erkämpfen. Aber das Knie hat nicht mitgemacht. „Das war genau noch einmal das Extra-Ding darauf, das ich nicht gebraucht hätte“, erklärt er. Er hätte diesen Hinweis seines in vielen grenzwertigen Einsätzen malträtierten Körpers darauf, wie richtig die Rücktrittsentscheidung im Alter von 32 Jahre war, nicht mehr gebraucht. „Ich hatte einfach keinen Bock mehr, in der Reha zu sitzen, während die anderen kicken und nachher den Klaps der Aufmunterung zu bekommen“, sagt er.
Ihre wundersame Reise führte die aufrechten, für ihren Einsatz und ihre Ehrlichkeit geschätzten Zwillinge vom beschaulichen Rosenheim zu 1860 München in den Profi-Fußball. „Uns gab es früher eigentlich immer nur im Doppelpack“, sagte Lars. Bis sich die beiden hoch eingeschätzten, aber auch fußballerisch fast identischen jungen Männer 2009 für den Schritt in die Bundesliga entscheiden mussten. Bei Sven war die Sache schnell klar. Jürgen Klopp von Borussia Dortmund rief an. „Es hat genau eine Minute gedauert, dann war ich überzeugt: Ich muss da hin“, erzählt der jüngere Bender. Bei Lars hat es etwas länger gedauert, bis Rudi Völler und der damalige Manager Michael Reschke das Werben erfolgreich abgeschlossen hatten. „Es war gut, dass so hartnäckig waren. Es war die richtige Entscheidung. Ich habe sie bis heute nicht bereut.“
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Im Alter von 20 Jahren wurden die Brüder zum ersten Mal getrennt. „Das war ein Einschnitt. Es war nicht einfach, plötzlich allein zu sein ohne den geliebten Menschen, aber für unsere Persönlichkeitsentwicklung war es die wichtigste Entscheidung“, blickt Lars zurück. In den acht Jahren danach sind beide Benders zu Idolen ihrer Vereine geworden, ehe es 2017 die Chance zur Wiedervereinigung gab und Sven nach Leverkusen wechselte. „Da habe ich erst gemerkt, wie unterschiedlich wir uns als Fußballer entwickelt haben“, sagt Lars, „ich hatte ihn ja nie beim Training beobachtet und war beeindruckt, was für eine anderer Spieler er geworden war.“
Allerdings gab es zwischen beiden einen grundlegenden Unterschied, der für alle Zeiten bestehen wird: Sven Bender hat mit Borussia Dortmund vier Titel gewonnen: Zwei Deutsche Meisterschaften, zweimal den DFB-Pokal. Lars, der große Anführer bei Bayer 04, hat nie einen Titel gewonnen. Dennoch ist er mit sich im Reinen: „Man kann so eine Karriere nicht allein an Titeln messen. Ich habe in geilen Mannschaften gespielt, tolle Charaktere als Mitspieler und viele geile Momente gehabt. Das ist es, was für mich am meisten zählt. Ich würde sagen, dass ich eine überragende Karriere gehabt habe.“
Auch den emotionalen Höhepunkt ihres Lebens als Fußballer haben beide gemeinsam erlebt, obwohl sie damals noch für verschiedene Vereine gespielt haben. Es war die Teilnahme an den Olympischen Spielen 2016 in Rio des Janeiro mit dem Erreichen des Endspiels, das Deutschland unter Trainer Horst Hrubesch erst im Elfmeterschießen gegen die Gastgeber verlor. „Das war das Wichtigste, das wir als Spieler erleben durften“, sagt Lars Bender, „denn hier ging es nicht um Geld, sondern um den sportlichen Wettstreit. Da haben wir gemerkt, dass Olympia das Größte ist, was es im Sport gibt.“
Wie es sich anfühlen wird, wenn sie nach dem 34. Spieltag ihre Sachen packen, um nach Hause zu fahren, wissen die Bender-Zwillinge noch nicht. „Das wird man dann sehen“, sagt Sven, „aber es geht zurück. Jeder weiß, wo unsere Wurzeln sind. Da gehören wir hin.“ Was das Leben nach dem Profi-Leben bringen wird, ist noch nicht entschieden. Über ihre privaten Pläne sprechen die Benders nicht. Und die beruflichen sind noch nicht entschieden.
Am Ende der letzten Presserunde ergreift Lars Bender noch einmal das Wort und richtet es virtuell an die Journalisten, die er auch nur von den offiziellen Kontakten des Profi-Alltags kennt. „Ich wollte mich noch einmal dafür bedanken, dass Sie immer so fair zu uns waren, obwohl wir es der Presse ja nicht immer einfach gemacht habe“, erklärte er. Man hätte eigentlich widersprechen müssen: „Doch, es war sehr einfach.“ Aber das letzte Wort gehörte in dieser melancholischen Stunde den Benders.