Jonathan TahEin Fußball-Profi solidarisiert sich mit den Leidenden in der Krise
- Der Nationalspieler aus Leverkusen sucht auch in der neuen Abgeschiedenheit sein Glück
- Training für den Tag X mit der Hilfe eines Personaltrainers
- Mitgefühl mit den Menschen, die gerade alles zu verlieren drohen
Köln – Jonathan Tah (24) ist Fußball-Profi. Bis zum 12. März war er einer der am meisten beschäftigten Spieler dieser Berufsgruppe. Am Abend dieses Tages hat er vor knapp 50 000 Zuschauern im Ibrox Stadium von Glasgow mit Bayer 04 Leverkusen das Achtelfinal-Hinspiel der Europa League gegen die Rangers 3:1 gewonnen. Dann hat sich sein Leben über Nacht verändert.
An einem normalen Tag ist Jonathan Tah von seinem Zuhause in Düsseldorf etwa 20 Minuten an die Bay-Arena gefahren und mit seinem Auto in die Tiefgarage gerollt. Danach hat er sich auf das Training vorbereitet, unter der Anleitung seines Trainers Peter Bosz und dessen Assistenten an der Seite seiner Kollegen mit dem Ball gearbeitet, ist physiotherapeutisch und medizinisch behandelt worden, wieder nach Hause gefahren, und das nächste Spiel war keine drei Tage entfernt.
Das gewohnte Leben gibt es nicht mehr
Dieses Leben gibt es nicht mehr. Jonathan Tah sitzt zu Hause und versucht, seinen Körper mit Hilfe von Trainingsplänen in einem Zustand zu halten, der ihm am Tag X die Ausübung seines Berufs erlauben wird. Dieses Schicksal teilt er mit allen professionellen Fußballern und Hochleistungsathleten in unserem Land, auf unserem Kontinent und im größten Teil der Welt. Bizarre Ausnahmen wie Weißrussland, wo eine nicht existierende Normalität simuliert werden soll, ausgenommen.
„Du hast nichts, woran du dich festhalten kannst“, sagt Tah in einem Skype-Interview mit ausgewählten Medien, zu denen auch der „Kölner Stadt-Anzeiger“ gehörte. Ihn hat die Pandemie auf dem vorläufigen Höhepunkt seiner Karriere getroffen. Mit dem Werksklub stand Tah zum Zeitpunkt der Saisonunterbrechung aussichtsreich in drei Wettbewerben – Meisterschaft, DFB-Pokal, Europa League. Als Teil der Nationalmannschaft hatte er berechtigte Hoffnungen auf das Ticket zur EM, die von der Uefa mittlerweile auf den Sommer 2021 verschoben wurde.
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Letzten Mittwoch hat sich Tah von den Kollegen verabschiedet, ohne zu wissen, wann er sie wiedersehen wird. Nachdenklich sei man auseinander gegangen. „Du kannst die Situation null einschätzen. Keiner kann sie gerade einschätzen. Wenn es jemand dürfte, sind das Ärzte und Virologen, die am Ende aber auch nicht sagen können, wie sich die Gesamtsituation entwickeln wird. Das ist ein komisches Gefühl.“
Der Fußball ist aus dem Leben des Fußballers fast ganz verschwunden. Das, was er schon als Kind gemacht hat, Teil einer Gruppe zu sein, die gegen eine andere Gruppe um den Besitz des schwer zu kontrollierenden kugelförmigen Spielgerätes kämpft, ist nicht mehr möglich.
Bälle gibt es noch, aber Gruppen und Plätze, auf denen sie spielen könnten, sind verschwunden. Alles gesperrt, alles verboten. „Ich habe einen kleinen Ball hier zu Hause“, erklärt Tah. Den kann er in der Luft halten oder von der Wand abprallen lassen. Mit seinem Beruf hat das nichts mehr zu tun. Sein Beruf ist jetzt, „den Puls hoch zu halten“, die Muskelspannung und die Elastizität des Körpers nicht zu verlieren. Das bestimmt Jonathan Tahs Tagesablauf. Läufe, Stabilisationsübungen, Krafttraining, Gymnastik.
Es wird sehr wahrscheinlich ein Langzeitexperiment, ein wenig so wie die Marsreise-Simulationen der Nasa. Der 24-Jährige erklärt: „Wenn man sich solche Ziele setzt, ist es sehr schwierig, glücklich zu sein. Deswegen sollte man sich das Ziel setzen, glücklich zu sein. Und sich fragen: Wie komme ich da hin? Wenn es gerade so ist, sollte man alles dafür tun, um fit zu bleiben, damit ich bereit bin, wenn es wieder losgeht. Dafür trainiere ich jeden Tag. Dann kann ich jeden Tag sagen, ich bin glücklich, weil ich alles dafür getan habe.“
Erstklassige Fußball-Profis wie Jonathan Tah gehören nicht zu den Berufsgruppen, um die man sich Sorgen machen muss. Sie können schon in jungen Jahren ausgesorgt haben und wären auch bei Gehaltsverzicht oder zeitweisem Job-Verlust in ihrer Existenz auf materiell hohen Niveau nicht bedroht. Dennoch sind sie Menschen, die in eine psychologisch sehr herausfordernde Lage geraten sind. Tah arbeitet deshalb mit einem Personal-Coach. „Ich habe jemanden, der mich begleitet, der mich unterstützt, die körperlichen Ziele zu erreichen, die ich mir gesetzt habe. Ich werde von ihm gepusht, motiviert. Ich brauche ihn auf jeden Fall in dieser Zeit. Denn ganz alleine ist es wirklich zäh. Gerade wenn du nicht weißt, wie lange es so geht. Da brauchst du jemanden, der dich unterstützt. Den habe ich.“ Die Identität seines Begleiters bleibt Privatsache. Für Tah ist wichtig, dass es ihn gibt.
Jonathan Tah hat im Alter von 24 Jahren 217 Profi-Spiele absolviert, 174 für Bayer 04 Leverkusen, 23 für Fortuna Düsseldorf und 20 für den Hamburger SV, dazu neun Spiele für die deutsche A-Nationalmannschaft. Niemand weiß, wann das nächste Spiel dazukommt. Der gläubige Christ Jonathan Tah ist sich im klaren darüber, dass dieses Schicksal eines der viel besseren in dieser Zeit ist. „Ich bekomme mit, wie die Leute leiden. Sie wissen nicht, wann sie ihren Laden wieder aufmachen dürfen. Kann ich ihn überhaupt wieder aufmachen? Ist meine Existenz gefährdet? Das sind Fragen, die sich Menschen stellen. Wie viele Menschen weinen zuhause? Vielleicht hilft es denen, diese Nachricht zu lesen und sie sagen: Da ist jemand, der denkt an mich, das muntert mich auf. Und das kann jeder. Da kann man als Mensch der wirtschaftlich gut aufgestellt ist, einfach da sein.“