Julian BaumgartlingerJunger Vater im Maschinenraum
Orlando – Da stand er nun in der Lobby des Omnia Hotels von Orlando: Die wilden Locken, die verschwitzte Trainingskluft, Grasflecken – eindeutig Julian Baumgartlinger, der gefürchtete Zweikämpfer aus dem Maschinenraum des Leverkusener Spiels. Am Abend zuvor hatte er das Trainingslager der Werkself erreicht, die ersten Tage des Camps hatte er entschuldigt gefehlt.
Und man musste nicht genau hinsehen, um den Grund seiner Verspätung zu erkennen. Denn in seinen Händen hielt der 29-Jährige einen Satz Babylätzchen mit lustigen Motiven darauf. Ein Geschenk, und neben einem beseelten Lächeln ein eindeutiger Hinweis, dass Lilly da ist, Baumgartlingers erstes Kind.
Nachwuchs kam am Samstag zur Welt
Mit einem Tag Verspätung war der Nachwuchs am Samstag zur Welt gekommen, der Absprache nach musste Baumgartlinger Mutter und Tochter schon am nächsten Morgen in Salzburg zurücklassen und in Richtung Vereinigte Staaten aufbrechen.
Eine Reise, die man gern tut? „Schwierige Frage“, sagte Baumgartlinger am Montagmorgen. Er sei froh, dass alles gut gegangen ist, „meinen Mädels geht es sehr gut. Ich bin aber auch froh, dass ich jetzt noch bei der Mannschaft sein kann. Mir war schon wichtig, hier im Trainingslager dabei zu sein. Ich bin überglücklich und mit sehr viel Euphorie hier angereist. Aber heute schlagen definitiv zwei Herzen in meiner Brust.“
Immerhin hatte er gut in den Schlaf gefunden nach der Anreise. Das Warten aufs Kind hatte ihm ein ausreichendes Schlafdefizit beschert, um nach der langen Anreise am Sonntagabend angemessen erschlagen ins Hotelbett zu fallen. Mit Trainer Roger Schmidt war ausgemacht, dass der Sonntag der letzte sinnvolle Anreisetag sein würde.
Lilly stand also unter einem gewissen Druck – und schaffte die Ankunft auf den Punkt. „Es ist wirklich verrückt. Es war sehr, sehr knapp. Der Trainer hat viel Verständnis gehabt und uns die Ruhe gegeben, das alles abzuwickeln – wenn man da von Abwickeln sprechen kann“, sagt Baumgartlinger, weiterhin lächelnd.
Schmidt: Mutter kümmert sich ums Kind, Vater bringt das Geld
Dass ein Vater so kurz nach der Geburt aufbrechen muss, ist wohl das Los eines Fußballprofis. Schmidt sah jedenfalls keine große Härte darin. „Die Frau kümmert sich jetzt um die Pflege des Kindes. Und der Vater bringt das Geld nach Hause“, beschrieb der Trainer, als Vater zweier Kinder bestens vertraut mit den Härten des Profigeschäfts und den Geldmengen, die es nach Hause zu tragen gibt. Baumgartlinger freut sich jedenfalls schon auf die Rückkehr. Dann wird er seine Familie nach Leverkusen holen und die Vaterrolle rasch annehmen. „Ich fühle mich der Aufgabe gewachsen“, sagt er.
Bis dahin will er seine Gedanken intensiv auf die Arbeit lenken, den Fußball. Als Kapitän des FSV Mainz 05 wechselte er im Sommer zur Werkself, um sich der Konkurrenz eines Champions-League-Teilnehmers zu stellen. Neun Liga-Einsätze in den ersten 16 Saisonspielen, zwei davon über die volle Distanz, bedeuten für ihn noch nicht das Ende aller Wünsche. „Ich will meine Einsätze weiter steigern, aber das geht nur über die Leistung“, sagt er.
Vorteil durch Karim Bellarabis Verletzung
Zuletzt profitierte er auch davon, dass Kevin Kampl wegen Karim Bellarabis Verletzung in der Offensive gebraucht wurde. Insofern könnte es in der Rückrunde mit Bellarabis Rückkehr sogar noch schwieriger werden mit den Einsatzminuten. „Mir war klar, damit umgehen zu müssen, nicht jedes Spiel zu spielen, in ein Rotationssystem zu geraten. Einmal nicht zu wissen, warum du auf der Bank sitzt. Der Druck steigt. Lieferst du nicht, musst du dir einen anderen Verein suchen. Das ist in Topligen so, das ist der Beruf“, sagte er neulich.
Nun ist Julian Baumgartlinger, Sohn einer Lehrerin und eines Elektrotechnikers sowie Zwillingsbruder einer Ärztin, kein Fußballer, der nur an sich denkt. Der Kapitän der österreichischen Nationalmannschaft hat die Teamleistung im Blick, und an der gilt es zu arbeiten. „Von der Punkteausbeute und mit unserem Auftreten waren wir nicht immer zufrieden. Das betrifft jeden einzelnen. Darum habe ich mir vorgenommen, an mir selbst zu arbeiten und der Mannschaft zu helfen.“
Trotz der EM-Teilnahme im vergangenen Sommer, trotz internationaler Auftritte mit Mainz 05, musste er sich an die Qualität in Leverkusen gewöhnen. „Allein die Champions League, nicht nur vom Erlebnis. Auch die fußballerische Komponente macht noch einmal einen riesigen Unterschied aus. Im Training ist die Konkurrenz riesengroß.“
Auf fünf Einsätze in der Champions League kam er, 90 Minuten stand er in Wembley auf den Platz, als Bayer 04 mit 1:0 gegen die Tottenham Hotspur gewann. Er hat kein schlechtes halbes Jahr gehabt. Und das neue hat schon einmal gut begonnen.