Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft hat beim 2:3 gegen Belgien in Köln viel Schwung verloren. Immerhin entging Hansi Flicks Mannschaft einem Debakel.
Beinahe-Blamage gegen BelgienHansi Flick bedauert schweren Systemfehler und lobt Emre Can
Es ging gegen Mitternacht, als der Bundestrainer im Pressesaal des Kölner Stadions zum Gespräch erschien. Die deutsche Elf war beim 2:3 (1:2) gegen Belgien gerade noch mit dem Schrecken davongekommen, deshalb konnte Hansi Flick halbwegs gelassen mit der Analyse jener ersten halben Stunde beginnen, von der er sagte, eine solche Phase müsse „einmalig“ bleiben in der Geschichte der DFB-Elf.
Nach neun Minuten und Toren von Yannick Carrasco (6.) und Romelu Lukaku (9.) drohte der deutschen Elf in Müngersdorf ein Debakel. Doch nach zwei Wechseln und einer Systemanpassung um die 30. Minute hatte Flicks Elf einen Fuß in die Tür bekommen, noch vor der Pause durch Füllkrugs Handelfmeter (44.) den Anschluss geschafft und nach de Bruynes 3:1 nach 78 Minuten noch durch Serge Gnabry das 2:3 erzielt.
In der K.o.-Phase eines Turniers hätte ein solches Resultat selbstverständlich dennoch das Aus bedeutet, insofern ist eine Niederlage nichts, worüber sich eine deutsche Nationalmannschaft freuen sollte. Doch angesichts der Startphase durfte Flick mit dem Ausgang zufrieden sein. Es hätte übel enden können.
Die erste Bilanz des Bundestrainers fiel ruhig, aber durchaus drastisch aus. „Wir wollten sie mit Mittelfeld- und Angriffspressing unter Druck setzen. Das haben wir sehr passiv gestaltet. Dann haben die Belgier ihre Qualität ausgespielt“, erklärte der 58-Jährige. „Passives Pressing“ – das klingt nach einem schweren Systemfehler. Klarer hätte Flick die Defizite der deutschen Mannschaft kaum darstellen können.
Nach einer halben Stunde war Florian Wirtz vom Platz gegangen. Der 19-Jährige wurde im Stadion jenes Klubs, bei dem er ausgebildet worden war, keine zehn Kilometer von seinem Elternhaus entfernt Opfer der taktischen Umstellung. Flick demonstrierte in diesem Moment seinen Leistungsanspruch, was nicht schaden konnte angesichts des wehrlosen Vortrags seiner Mannschaft. Mitleid mit dem Leverkusener Teenager hatte der Bundestrainer auch später nicht. „Florian hatte nicht den besten Tag. Da muss er durch. Er ist so gut, das spornt ihn eher noch an“, kommentierte Flick ohne erkennbare Gewissensbisse.
Für Wirtz kam Felix Nmecha, der einige gute Aktionen hatte. Die Statik des Spiels veränderte allerdings Emre Can, der für den angeschlagenen Leon Goretzka kam und der das anstehende Duell seines BVB mit Goretzkas FC Bayern offenbar deutlich weniger im Kopf hatte als ein Kollege. Can, ein Mann fürs Grobe, wurde innerhalb eines Spiels zu einem Faktor der deutschen Elf, der mittelfristig nicht mehr zu ersetzen sein wird: Der Dortmunder gab den defensiven Mittelfeldspieler alter Schule. Rempelte, schubste, zerrte und grätschte und stellte sich dem Gegner in den Weg. Und half so, dem Spiel eine Wende zu geben. „Er war der Aggressive Leader, den man in solchen Spielen braucht. Er hat uns auch als Mannschaft ein bisschen wachgerüttelt“, befand Flick.
Flicks Veränderungen griffen dank Emre Can schnell
Dank Can griffen die Veränderungen verblüffend schnell. Die Partie war auf einen Schlag eine andere. „Nach der Systemumstellung und den Auswechslungen wurde es besser. In der zweiten Halbzeit waren wir sehr engagiert, die Leidenschaft hat uns noch einmal zurückgebracht. 60, 65 Minuten war es von uns ein gutes Spiel“, beschrieb Flick. Nach dem 2:0 über Peru blieb die Partie gegen den Weltranglisten-Vierten dennoch eine Enttäuschung. „Wenn ich jetzt sagte, dass wir super happy sind, alles wunderbar, dann wäre das der falsche Ansatz“, sagte Flick 15 Monate vor der EM im eigenen Land. „Wir haben viel Arbeit, das wissen wir.“
Selbstverständlich war es nicht Can allein, der die deutsche Elf wegführte vom direkten Weg ins Debakel. Doch war es der 29-Jährige, der seinen Mitspielern und den 42 000 im angesichts des Zwischenstands bemerkenswert stimmungsvollen Stadion das Signal gab, sich zu beteiligen. Mit einem Spieler wie Can auf dem Platz stieg die Hemmschwelle, den Gegner einfach machen zu lassen. Plötzlich engagierten sich alle, um neben dem hart arbeitenden Kollegen nicht auszusehen, als interessiere sie das alles nicht. Can demonstrierte, was es bedeutet, wenn auf einem Fußballplatz plötzlich einer auftaucht, der Verantwortung übernimmt. „Es ist ja nicht nur die Viererkette. Es ist komplett die defensive Arbeit. Gerade in der Anfangsphase haben wir das nicht auf den Platz bekommen“, sagte Flick.
Von Köln aus verstreuten sich die deutschen Auswahlspieler, in ihren Vereinen stehen nun die entscheidenden Monate an. Erst nach der Saison wird Flick die Mannschaft wieder zusammenrufen, dann ohne viele der U-21-Akteure, die diesmal dabei waren, im Juni aber an der EM in Georgien und Rumänien teilnehmen, wo Deutschland einen Titel zu verteidigen hat.
Trotz des schwachen Starts gegen Belgien zog Flick eine positive Bilanz der Tage mit den Auswahlspielern. „Wir haben auch neben dem Platz eine gute Energie gespürt, auch die Trainingseinheiten waren mit hoher Intensität. Auch wenn das Ergebnis heute nicht gepasst hat, waren wir mit unseren Erkenntnissen sehr zufrieden“, schloss der Bundestrainer.