Skisprung-Medaillen bei Olympia und WM - aber noch immer kein Triumph bei der Tournee und zuletzt immer schlechtere Ergebnisse. Bundestrainer Horngacher erlebt ungewohnt harte Tage.
Deutsche Skisprung-KriseRatlos auf dem Turm: Sprungcoach braucht „Nehmerqualitäten“
Orange Mütze, enttäuschter Blick und kaum Erklärungsansätze: Wenn Stefan Horngacher in den vergangenen Wochen vor einem TV-Mikrofon aufgetaucht ist, wirkte er meistens relativ ratlos. Der Bundestrainer der Skispringer muss seit Mitte Dezember Misserfolg um Misserfolg an den Schanzen erklären - und gerät in den Krisenwochen samt komplett verpatzter Vierschanzentournee immer mehr selbst in den Fokus.
„Natürlich ist eine gewisse Ratlosigkeit da. Das ist kein Zustand, den wir so einfach hinnehmen“, sagte Sportdirektor Horst Hüttel der Deutschen Presse-Agentur vor dem Weltcup-Heimspiel in Willingen. Die Ratlosigkeit ist Horngacher tatsächlich auch häufig auf dem Trainerturm anzusehen, wenn er seinen Athleten bei ihren meist zu kurzen Sprüngen hinterherschaut.
Hüttel: „Können nicht davonlaufen“
Ob 30 Meter Rückstand auf das Podium beim Fliegen in Oberstdorf oder eineinhalb Monate ohne Podiumsplatz im Weltcup: Es scheint fast egal, welche Statistik man derzeit heranzieht. Das deutsche Skisprung-Team um Andreas Wellinger kommt in keiner davon auch nur passabel weg. „Wir brauchen gewisse Nehmerqualitäten, wir können nicht davonlaufen“, sagte Hüttel.
Der 55 Jahre alte Horngacher muss unter hohem Zeitdruck die sportliche Wende schaffen. Bis zur WM in Norwegen sind es nur noch vier Wochen. „Wir müssen in Ruhe weiter arbeiten“, sagte der Österreicher über seine Athleten. Die Leichtigkeit aus dem November scheint bei allen Adlern verflogen. Das gilt für Olympiasieger Wellinger, aber besonders für Pius Paschke, der zum Saisonstart noch Seriensieger war und das Gelbe Trikot trug.
Nach dem stimmungsvollen Heimspiel von Willingen wird Horngacher auch entscheiden müssen, welchen Weg er vor der WM geht. Auf dem Programm stehen stressige Reisen in die USA und nach Japan. Für die kriselnden Paschke oder Wellinger könnte sich eine Pause anbieten - denn um den Sieg im Gesamtweltcup geht es durch das wochenlange Tief seit Mitte Dezember nicht mehr. Horngachers Philosophie sind solche Weltcup-Pausen eigentlich nicht.
Noch kein Bekenntnis für Olympia-Winter
An den Qualitäten und der Autorität des Langzeit-Bundestrainers hat Hüttel keine Zweifel. „Er hat definitiv nach wie vor einen Plan, er hat eine Vision. Er sieht die Fehler im Video und sieht auch die Lösungsansätze. Es ist eher ein Thema der Umsetzung“, sagte Hüttel. Horngacher hat das Amt im Sommer 2019 von Landsmann Werner Schuster übernommen und besitzt laut Hüttel einen „unbefristeten Vertrag“.
Meist sprechen Sportchef und Trainer Anfang März über die Planung, also den nächsten Winter. Die Olympischen Winterspiele 2026 in Italien gelten als gemeinsames Ziel des Duos. Auf große Bekenntnisse über diese Saison hinaus verzichtete Hüttel allerdings. „Darüber mache ich mir keine Gedanken. Wir sind in einem Prozess drin. Steff und die Mannschaft haben unseren kompletten Rückhalt verdient“, sagte der Funktionär.
Nachfolger-Debatte frühestens im Frühjahr
Deutschland droht im Weltcup eine geschichtsträchtige Podest-Flaute. Das Flug-Einzel von Oberstdorf war bereits der zehnte Wettbewerb in Serie ohne Podium. Elfmal am Stück ohne einen Deutschen unter den besten Drei - das gab es zuletzt in der Weltcup-Saison 2010/11, in der Severin Freund die Adler vor einem totalen Debakel bewahrte. Diesen Winter kommt die Misere nach dem überragenden Start umso überraschender.
Der Glaube an Horngachers Fähigkeiten ist und bleibt groß - so sagt es Hüttel als Verantwortlicher. „Steff ist eher pragmatisch und zielorientiert unterwegs. Er schaut eher weniger nach links und rechts. Er hat dem Team oft Stärke verliehen“, lobte der Sportdirektor. Denkbare Nachfolger wären der in Norwegen geschasste Alexander Stöckl oder Ex-Weltmeister Martin Schmitt. Wirklich konkret dürften Diskussionen darüber aber frühestens im März werden. (dpa)