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Biathlon-WeltcupWenn der Boden bebt: Grotians Rückkehr nach Oberhof

Lesezeit 4 Minuten
Vanessa Voigt (l) und Selina Grotian: Die Freundinnen freuen sich auf das erste Heimrennen in Oberhof.

Vanessa Voigt (l) und Selina Grotian: Die Freundinnen freuen sich auf das erste Heimrennen in Oberhof.

Selina Grotian ist eine der größten deutschen Biathlon-Hoffnungen. Bei ihrem ersten Weltcupsieg ist sie sogar jünger als Laura Dahlmeier. Nun geht es zum stimmungsvollen Heimspiel nach Oberhof.

Nach den letzten Schüssen auf die Trainingsscheiben flachste Selina Grotian mit ihrer Freundin Vanessa Voigt, ehe beide bestens gelaunt zum Auslaufen im Thüringer Wald verschwanden. Keinen Gedanken verschwendete Grotian dabei an die negativen Erlebnisse aus dem Vorjahr mit Schießdebakel und anschließender Degradierung. „Das ist für mich abgehakt. Das Einzige, was mir noch ein bissel Bammel macht, ist die Abfahrt“, sagte die Biathlon-Aufsteigerin lachend vor dem Auftakt des Heim-Weltcups in Oberhof. 

Ihre Vorfreude vor dem ersten Rennen des neuen Jahres sei vielmehr riesig. „Ich bin sehr aufgeregt, denn ich weiß noch, wie die Stimmung hier ist und wie krass es ist, da hoch zu laufen“, sagte Grotian. Letztes Jahr hatte sie angesichts der lauten und mitreißenden Fans das Gefühl, als ob „der Boden unter mir beben würde“.

Das könnte schon im Sprint am Donnerstag (14.20 Uhr/ZDF und Eurosport) erneut so sein, wenn die 20-Jährige erstmals nach ihrem ersten Weltcupsieg wieder antritt. Zu Beginn des Jahres 2024 hatte sie noch geweint, nachdem es in der Verfolgung in Oberhof nach sieben Strafrunden nur zu Platz 45 gereicht hatte. Anschließend verlor die Bayerin ihren Platz im Team und musste vorübergehend im zweitklassigen IBU-Cup antreten. Es sei ein Schlag ins Gesicht gewesen, erklärte sie.

Beim ersten Sieg jünger als Dahlmeier

Nun ist ihr Selbstbewusstsein ein ganz anderes. „In den letzten zwei Wochen konnte ich mich richtig gut erholen. Das Wetter und die Bedingungen daheim waren einfach perfekt“, sagte Grotian zur kurzen Pause über den Jahreswechsel. „Diese Zeit habe ich optimal genutzt.“

Kurz vor Weihnachten hatte sich Grotian im Massenstart von Le Grand-Bornand vor der Weltcup-Gesamtführenden Franziska Preuß, die weiter in herausragender Form ist, einen ihrer Träume erfüllt. Bei ihrem ersten Einzelsieg im Weltcup war sie sogar neun Monate jünger als die wie sie in Garmisch-Partenkirchen geborene Doppel-Olympiasiegerin Laura Dahlmeier. 

„Ich konnte es zwar immer noch nicht fassen, aber ich mache nichts anders, nur weil ich einen Sieg in der Tasche habe“, sagte Grotian. Ihr Motto: Keine großen Erwartungen haben, „da kommt immer das Beste raus“.

Die Thüringerin Voigt (27), mit der Grotian nach der Vorsaison zwei Wochen im Camper in Portugal Urlaub machte, nennt ihre enge Freundin eine „Inspiration“. Laut Sportdirektor Felix Bitterling ist Grotian wie die 19-jährige Julia Tannheimer ein Versprechen für die Zukunft.

WM-Medaille nach Degradierung

Ein Versprechen, das Grotian einlösen will, die Voraussetzungen hat sie allemal. Mit viermal Gold bei der Junioren-WM 2023 kam sie in der Vorsaison in den Weltcup. Doch da geht es anders zur Sache, wie sie erfahren musste. Fehler werden nicht verziehen. Was folgte, war eine Berg- und Talfahrt, inklusive der Versetzung in die zweite Liga des Biathlons.

Doch Grotian setzt auf ihre Gelassenheit und Bodenständigkeit. Die Perfektionistin, die „für wirklich alles einen Plan“ haben muss, bezeichnet sich selbst als „kleine Tiefstaplerin“. Sie setze sich keine zu großen Ziele, lasse eher alles auf sich zukommen. Schlechte Rennen hakt sie relativ schnell ab. „Ich denke mir, es gibt viel schlimmere Dinge im Leben, die passieren können“, sagte Grotian der dpa. 

Umgesetzt hat sie ihre Strategie in der Vorsaison. Den kurzen Rückschritt in die B-Liga nahm sie als Herausforderung an. Er bringt sie sogar, anders als von ihr erwartet, weiter in ihrer Entwicklung. Der Lohn: Bei der WM in Nove Mesto wird Grotian in ihrem ersten WM-Rennen überhaupt Vierte im Einzel, schießt erstmals viermal fehlerfrei. Die Krönung folgt mit Staffelbronze.

Private Tiefschläge vor Saisonstart

Auch jetzt musste Grotian einige Rückschläge hin- und Herausforderungen annehmen. Der Einstieg in die neue Saison fiel ihr schwerer als gedacht. „Ich habe gemerkt, dass mein Körper, sei es mental oder physisch, noch viel verarbeiten musste“, schrieb Grotian auf Instagram. Sie konnte schwer entspannen, gar Selbstzweifel kamen auf.

Auch dieser Winter ist bis jetzt „ein kleines holpriges Auf und Ab“. Während der letzten Vorbereitung in Vuokatti lag ihre Oma daheim im Sterben. Und sie musste sich von ihrer geliebten Hündin Nika verabschieden. Nach einer Erkältung startete Grotian mit den enttäuschenden Plätzen 50 und 48 in Kontiolahti in die Saison. Doch sie kämpfte sich zurück.

Jetzt muss und will sie vor allem Konstanz in ihre Schießleistungen bringen, „um nicht mehr solche Ausreißer zu haben“. Sie sei auf einem guten Weg, sagt ihr Bruder Tim, der sie auch trainiert. Und der muss, wie sie dem ZDF erzählte, so einiges aushalten. Denn die sonst eher ruhig daherkommende Grotian kann, wenn es nicht wie geplant läuft, auch schon mal laut und ungehalten werden. „Er tut mir manchmal leid, da gibt es auf die Kappe“, sagte Grotian, die ihrem Bruder aber „unendlich dankbar“ ist. (dpa)