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Kommentar zu Englands Final-Einzug
Wie aus schnurrenden Miezekätzchen doch noch brüllende Löwen wurden

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Lesezeit 2 Minuten
Englands Trainer Gareth Southgate jubelt nach dem 2:1-Sieg im EM-Halbfinale gegen die Niederlande über den Final-Einzug seines Teams.

Englands Trainer Gareth Southgate brüllt die Freude über den Final-Einzug seiner „Löwen“ nach dem 2:1-Sieg im EM-Halbfinale gegen die Niederlande heraus.

England spielt kein gutes Turnier, hat aber einzigartige Comeback- und Killer-Qualitäten. Im Finale gegen Favorit Spanien ist mit der neuen Euphorie jetzt alles möglich.

„Fußball ist ein einfaches Spiel: 22 Männer jagen 90 Minuten lang einem Ball nach, und am Ende gewinnen die Deutschen.“ Jahrelang hatte Gary Linekers legendärer Spruch das Image der deutschen Nationalmannschaft untermalt. Jetzt könnte ihn der Altstar auf seine Engländer ummünzen, die nach dem Halbfinal-Sieg über die Niederlande den großen EM-Coup fest im Blick haben und ein Drama beenden wollen, das mit dem Selbstverständnis der einst so stolzen (Fußball-) Nation nichts mehr zu tun hatte: Sie wollen eine mittlerweile 58-jährige Titellosigkeit beenden und den ersten Triumph außerhalb der Insel feiern.

England spielt nicht gut, zeigt aber einzigartige Comeback-Qualitäten

Dafür hat das Team nun die volle Unterstützung und Hingabe seiner leidenschaftlichen Fans. Was für ein Stimmungswandel: Es ist erst elf Tage her, da wollte die Öffentlichkeit die hochdekorierten Stars und insbesondere Trainer Gareth Southgate fast schon teeren und federn. Die Kritik, die bereits nach einer schwachen, seltsam uninspirierten Vorrunde groß bis vernichtend war, kumulierte dann während eines sagenhaft schlechten Auftritts im Achtelfinale gegen die Slowakei. England war praktisch schon wieder daheim, der Fußball-Brexit nahm Gestalt an.

Doch der Schiedsrichter gab den „Three Lions“ gegen den krassen Außenseiter Slowakei noch satte sechs Minuten Nachspielzeit, die Anführer Jude Bellingham im praktisch letzten Moment mit einem Fallrückzieher nutzte. Bellinghams Geniestreich rettete England in die Verlängerung. Auch danach gegen die Schweiz und die Niederlande holte das Team mit Glück und Geschick einen Rückstand auf. Und gegen Oranje zeigte es in einer starken ersten Halbzeit erstmals sein großes Potenzial. Insbesondere Southgate zeigte es seinen vielen Kritikern. Er bewies ein Goldenes Händchen. Der Coach hatte Torschütze Watkins und Vorlagengeber Palmer eingewechselt – für die Superstars Kane und Foden.

Nichts ist vergleichbar mit der Euphorie von späten Siegen

Keine Frage: Die Engländer haben ausgeprägte Comeback-Qualitäten und einen Killer-Instinkt. Das unterscheidet sie von fast allen anderen Mannschaften des Turniers. Auch von der deutschen. Die – da sind wir wieder bei Lineker – hat diese so lange gefürchteten Qualitäten im Prinzip seit dem WM-Triumph 2014 verloren.

Was ist nun im Finale möglich? Alles! Die spielerisch starken Spanier gehen sicherlich als Favorit ins Endspiel. Doch im Fußball auf seiner allerhöchsten Ebene ist nichts vergleichbar mit der Euphorie von Comebacks und späten Siegen, zudem wird England in Berlin sicherlich ein Heimspiel haben. Aus den schnurrenden Miezekätzchen sind auf einmal doch noch brüllende Löwen geworden, deren Erfolgshunger noch nicht gestillt ist.