Harte Kritik bei EMEngland bietet Fußball zum Wegschauen - Becherwürfe auf Southgate

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Englands Jude Bellingham reagiert am Ende eines Spiels der Gruppe C gegen Slowenien bei der Fußball-Europameisterschaft 2024 in Köln.

Englands Jude Bellingham reagiert am Ende eines Spiels der Gruppe C gegen Slowenien bei der Fußball-Europameisterschaft 2024 in Köln.

Das EM-Debütspiel in Köln war enttäuschend für die turnierfavorisierten Engländer mit Spielern wie Harry Kane und Jude Bellingham, die gegen Slowenien ein lahmendes 0:0 hervorbrachten.

Die Schweiz und Ungarn hatten zum EM-Auftakt in Köln ein unterhaltsames Spiel mit vier Toren geboten (3:1). Das Duell der in Köln so liebgewonnenen Schotten gegen die Schweiz (1:1) war von der Stimmung her ein absoluter Höhepunkt und zudem spannend. Die Partie der Belgier gegen die Rumänen (2:0) war grundsolide, zwei große Fanlager sorgten für eine tolle Atmosphäre. Das ermüdende Duell zwischen England und Slowenien (0:0) am Dienstagabend war dagegen das bisher schwächste EM-Spiel in Köln.

Wer als neutraler Beobachter dem Spiel im Stadion beiwohnte, der musste sich sicherlich nicht groß umgewöhnen. Der Spielverlauf ähnelte doch so manchem Heimspiel des 1. FC Köln in der vergangenen Saison, der äußerst selten für Spektakel gesorgt hatte. Doch die Erwartungen der großen englischen Fangemeinde sind andere. Und der Anspruch des Starensembles von der Insel ebenfalls. Als der vielleicht größte Turnierfavorit waren die „Three Lions“ vor dem Turnier auserkoren worden.

Die Ansammlung an exponierten Einzelkönnern wie Jude Bellingham, Harry Kane, Phil Foden, Declan Rice oder Bukayo Saka, allesamt Schlüsselspieler in ihren Vereinen, ist immens. „Team England“ wurde oktroyiert, endlich den ersten EM-Titel auf die Insel zu bringen: „Bring it home.“ Es wäre der erste Titel für die immer noch stolze Fußballnation seit dem WM-Triumph vor 58 Jahren im eigenen Land, dem bisher einzigen Coup. Das lange Warten sollte also endlich ein Ende haben. Und die Voraussetzungen dafür schienen so gut wie lange nicht mehr, vielleicht sogar wie nie zuvor.

Kraftverlust durch rund 60 Spiele?

Und darum schmerzt und verärgert es die englische Öffentlichkeit so sehr, was sie in Deutschland bisher von ihrer Mannschaft geboten bekam. Es waren seltsam uninspirierte, behäbige, mut- und tempolose Auftritte eines Teams, das bisher sehr weit hinter den Erwartungen zurückbleibt. Hat die strapaziöse Saison, in der einige Spieler an die 60 Pflichtspiele absolvierten, doch mehr Kraft gekostet als vermutet? Natürlich, Nationaltrainer Gareth Southgate kann für sich reklamieren, den Gruppensieg geholt zu haben. Der gelang indes mit fünf Punkten und mickrigen zwei Toren.

Nach dem Abpfiff in Köln erreichte der Unmut gegen Southgate, der für seine destruktive Spielweise und einige Personalentscheidungen in der Kritik steht, sogar eine neue Stufe. Englische „Fans“ warfen sogar Becher in Richtung des 53-Jährigen. Bereits während der Partie war es merklich still bei den englischen Anhängern geworden, ab Mitte der zweiten Halbzeit gaben sie stimmungstechnisch zwar noch einmal Gas, als auch ihre Mannschaft endlich auf das Tempo gedrückt hatte. Doch alles wirkte irgendwie halbgar – auf dem Platz, auf den Rängen. Einigen Fans schwant wohl schon, dass es erneut nichts werden könnte mit dem großen Triumph. Geschrei und Gezeter auf der Insel sind groß.

Die Experten zerlegen Mannschaft und Trainer, die Medien verteilen Breitseiten. Es war aber ausgerechnet die Boulevardzeitung Sun, die allgemeinhin eher für ihre Grobschlächtigkeit berüchtigt ist, die mit der feinen Klinge zustach und schrieb, dass Southgate ein „Umkehralchemist“ sei, „der Gold in unedle Metalle„ verwandle. Der Coach stellte sich der Kritik, was anderes blieb ihm auch nicht übrig. „Ich verstehe das Narrativ über mich und es ist besser, wenn ich das abkriege als das Team. Aber es sorgt für eine unübliche Umgebung, in der wir arbeiten müssen. Ich habe kein anderes Team gesehen, das sich qualifiziert hat und ähnlich viel Kritik erhalten hat“, sagte Southgate und bat um mehr Rückhalt: „Wir kommen nur weiter, wenn wir alle zusammenhalten. Diese Energie der Fans ist für uns von entscheidender Bedeutung.“

Das Gute für England ist: Die Mannschaft hat genug Potenzial, dass eine Steigerung möglich erscheint. Vielleicht gelingt die im Achtelfinale am Sonntag (18 Uhr) in Gelsenkirchen gegen einen Gruppendritten, in einem K.o.-Spiel, in dem für Taktiererei fast kein Platz mehr ist. Doch bleibt die Steigerung aus, dann könnte England mal wieder schnell die Heimreise antreten.

Slowenien im Hoch der Gefühle

Bei den Slowenen wiederum war die Gefühlslage eine komplett andere. Zwar hatte das Team nichts für das Offensivspiel beigetragen, doch mit viel Leidenschaft und Kampf verteidigte sie das 0:0. Und feierte das Weiterkommen euphorisch. „Ich bin echt stolz auf die Mannschaft. Ich bin sicher, dass das erst der Anfang einer schönen Ära für den slowenischen Fußball ist“, sagte Trainer Matjaz Kek nach dem erstmaligen Erreichen einer K.-o.-Runde bei einer Europameisterschaft.

Für Slowenien könnte es ein großer Sportsommer werden. Basketball-Superstar Luka Doncic erreichte in der NBA mit den Dallas Mavericks das Finale und soll das Nationalteam nun zu Olympia nach Paris führen. Radprofi Tadej Pogacar gilt bei der am Samstag beginnenden Tour de France als Topfavorit. Und jetzt hatte das so sportbegeisterte, aber mit nur zwei Millionen Einwohnern kleine Land auch die großen englischen Löwen in Schach gehalten, die sich aber bislang träge, zahm- und bisslos präsentiert haben.

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