Dortmund – Es sind für einen Fußballer höchst ungewöhnliche Worte, die André Schürrle im Interview mit dem „Spiegel“ findet, in dem er am Freitag überraschend sein Karriereende im Alter von nur 29 Jahren angekündigt hat. „Die Entscheidung ist lange in mir gereift“, sagte Schürrle, der kürzlich seinen Vertrag bei Borussia Dortmund aufgelöst hatte: „Ich brauche keinen Beifall mehr.“
Den meisten Applaus hatte Schürrle in den Tagen nach dem WM-Finale 2014 in Rio de Janeiro erhalten, als er in der Verlängerung gegen Argentinien den legendären Treffer von Mario Götze mit einem wunderschönen Lauf über den linken Flügel vorbereitet hatte. Die Wochen in Brasilien seien „die geilste Zeit meines Lebens gewesen“. Danach ging es allerdings nur noch bergab – ähnlich wie beim Torschützen Götze.
Schürrle, in Ludwigshafen geboren, wurde beim FSV Mainz 05 zum Bundesliga-Profi und gab am 8. August 2009 gegen Bayer 04 Leverkusen sein Debüt. Unter Trainer Thomas Tuchel und zusammen mit Lewis Holtby und Adam Szalai sorgte er als einer der „Bruchweg Boys“ in der Liga für Furore. 2011 folgte der erste von zahlreichen Millionen-Wechseln, Bayer 04 zahlte 8,5 Millionen Euro für den Angreifer. Bei der Werkself verlebte Schürrle eine gute Zeit, erzielte 23 Tore in 83 Pflichtspielen.
Doch spätestens nach seinem 22-Millionen-Transfer zum FC Chelsea 2013 lernte er die Schattenseiten des Geschäfts kennen, wie er dem „Spiegel“ sagte. Er sei oft einsam gewesen, berichtete Schürrle, gerade als „die Tiefen immer tiefer wurden und die Höhepunkte immer weniger“.
Die Branche habe es nicht erlaubt, Gefühle zu zeigen. „Man muss ja immer eine gewisse Rolle spielen, um in dem Business zu überleben“, sagte er. „Sonst verlierst du deinen Job und bekommst auch keinen neuen mehr.“
„Das tiefste Loch“
Die schlimmste Zeit verlebte Schürrle nach dem Triumph von Rio. Nach seiner Rückkehr nach London und in die Premier League sei er „in das tiefste Loch gefallen, das es gibt. Ich wollte nicht mehr Fußball spielen. Ich war völlig am Ende.“
Als ihn Trainer José Mourinho auf die Bank setzte, sei das einerseits die „Höchststrafe“ gewesen: „Andererseits kommst du zum Durchatmen und läufst nicht Gefahr, es wieder zu versauen.“ Viele Artikel aus der damaligen Zeit habe er sich „schwer zu Herzen genommen. Entweder ist man Depp oder Held. Dazwischen gibt es nichts.“
2015 kehrte Schürrle zurück in die Bundesliga, Wolfsburg bezahlte 32 Millionen Euro für den WM-Helden. Doch auch in der Heimat kam der schnelle und schussstarke Angreifer nicht vom Gedanken des vorzeitigen Karriereendes los. „Aber diese gesellschaftliche Erwartungshaltung hat schon gedrückt, dass man bis Mitte 30 ja eigentlich nicht aufhören kann“, sagte Schürrle.
Seine Mutter sagte dem „Spiegel“: „Ich war manchmal wie besinnungslos vor Sorge, weil ich gemerkt habe, wie er leidet.“ Die Prioritäten verschoben sich endgültig, als er 2016 seine Frau Anna kennenlernte. Seit April 2019 ist er Vater.
Ein letzter Versuch, noch einmal auf einen sportlich grünen Zweig zu kommen, war Schürrles Wechsel 2018 – für 30 Millionen Euro – zu Borussia Dortmund und seinem alten Mentor Tuchel. Doch zurück zu alter Stärke fand Schürrle nicht, es folgten glücklose Ausleihen nach Fulham und zuletzt Moskau, wo er am 8. Dezember 2019 sein letztes Profispiel absolvierte.
Als Ehemann und Vater hat sich Schürrle nun mit dem stillen Karriereende mit 29 angefreundet: „Das ist völlig okay“.