AnalyseBorussia Dortmund befindet sich in der Identitätskrise
Dortmund/Köln – Nach dem blamablen Auftritt gegen den Tabellenletzten SC Paderborn steckt Borussia Dortmund in einer Krise. Trainer Lucien Favre hat seinen Kredit verspielt, doch die Probleme liegen tiefer.
Die Spieler
Spätestens seit Saisonbeginn stecken einstige Führungsspieler in einer Formkrise. Kapitän Marco Reus gelingt – abgesehen vom Ausgleich am Freitag – seit Monaten nichts. Axel Witsel, einst Stabilisator, hat seine Ballsicherheit verloren. Manuel Akanji war als Abwehrchef schon in der Rückrunde ein Unsicherheitsfaktor. Seit Saisonbeginn glänzt er zumeist als vogelwildes Pendant zum neuen Abwehrchef Mats Hummels. Jadon Sancho, eins der größten Talente im Weltfußball, präsentiert seine Kunststücke zumeist nur noch als brotlose Kunst. Nico Schulz verstärkt die linke Abwehrseite bisher weder defensiv noch offensiv – im Gegenteil.
Der Kader
Im Sommer entschied sich die sportliche Führung des BVB bewusst gegen die Verpflichtung eines zweiten Stürmers. Paco Alcacer – einziger gelernter Mittelstürmer im Kader – verpasst verletzungsbedingt auch in dieser Saison etliche Spiele. So müssen abwechselnd Reus, Mario Götze, Thorgan Hazard, Julian Brandt und Jacob Bruun Larsen seine Rolle übernehmen – bisher hat dort niemand überzeugen können. Dennoch: Die peinlichen Auftritte bei Union Berlin, in München und gegen Paderborn mit der Stürmersituation zu erklären, greift zu kurz.
Es fehlt vor allem ein Partner für Witsel im zentralen Mittelfeld – ein Achter, der dem Offensivspiel Ideen verleiht, ohne die defensive Stabilität aufs Spiel zu setzen. Die Spieler, die dort eingesetzt wurden – Thomas Delaney, Julian Weigl, Brandt und Mahmoud Dahoud – konnten jeweils mindestens eins dieser Kriterien nicht erfüllen. Zwei nicht optimal besetzte zentrale Positionen im Kader sind für den BVB zu viel.
Der Trainer
Die große Liebe war es zwischen Borussia Dortmund und Lucien Favre trotz der über lange Zeit erfolgreichen Vorsaison nie. Die Stärken und Schwächen des Schweizers waren den Verantwortlichen zum Zeitpunkt der Verpflichtung bewusst. Favre verbessert Spieler durch Detailarbeit und legt Wert auf kontrollierten Fußball. Seine analytische Art soll bei den Spielern gut ankommen.
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Auf der anderen Seite offenbart er Defizite in der Außendarstellung, hält lange an formschwachen Spielern fest – und lässt nach außen keine Idee erkennen, was er zu verändern gedenkt, um den BVB wieder in die Spur zu bringen. Eine Euphorie kann Favre im emotionsgeladenen Umfeld des BVB auch in erfolgreichen Zeiten nicht entzünden. Während einer Schwächephase hat er nicht die Eloquenz, beruhigend auf das Umfeld einzuwirken.
Die Vereinsführung
Die Chefetage muss dem Klub eine Identität vorgeben, die zuletzt auch bei der Trainerwahl nicht zu erkennen war. Auf das pressingfokussierte Spiel von Jürgen Klopp folgte die „Pep light“-Variante unter Thomas Tuchel. Zwei Jahre später herrschte Harakiri-Fußball unter Peter Bosz. Sein Nachfolger Peter Stöger scheiterte an ungenießbarer Defensiv-Kunst.
Favre wiederum verfolgt den Ansatz der kontrollierten Offensive. Die Führungsetage um Sportdirektor Michael Zorc, die Favre zumindest für das Champions-League-Spiel beim FC Barcelona das Vertrauen ausgesprochen hat, muss die Trainerfrage auch davon abhängig machen, welcher Fußball in Dortmund – unabhängig vom Coach – gespielt werden soll. Denn die BVB-Krise ist auch eine Identitätskrise.