Kürzlich schwärmte die DFL mal wieder vom Publikumsmagnet Bundesliga. Doch oft bleiben verkaufte Plätze leer. Ticketlose Fans fühlen sich verschaukelt, für die Liga ist es ein kaum lösbares Problem.
Fußball-BundesligaNo-Show - no problem? Der Kampf gegen leere Stadionplätze

Eigentlich war der Heimbereich beim Spiel Leipzig gegen Kiel ausverkauft - dennoch blieben viele Plätze leer.
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Tim Thoelke bediente sich eine Zeit lang eines legitimen Tricks. Der Stadionsprecher von RB Leipzig sprach bei der Verkündung der Zuschauerzahlen nicht etwa von anwesenden Fans, sondern von „verkauften Tickets“. Dies ist löblich, da transparent. Denn mit bloßem Auge erkannte man oft, dass die Zahl auf der Anzeigetafel recht wenig mit den belegten Sitzschalen zu tun hatte.
Und damit zu einem unliebsamen Problem der Fußball-Bundesliga: der No-Show-Rate. Das denglische Wortungetüm bezieht sich auf jene Personen, die einem Spiel trotz gekauftem Ticket fernbleiben. In den meisten Fällen handelt es sich dabei um Dauerkartenbesitzer, die andere Gegner als die Bayern oder Dortmund an kalten Wintertagen eben doch nicht von der muckeligen Couch locken. Die Gründe sind meistens natürlich deutlich vielfältiger. Offiziell liegt die relative Auslastung in der Bundesliga bei 95,9 Prozent. Dennoch klaffen auf den Tribünen manchmal gewaltige Lücken.
Darum ist die No-Show-Rate ein Problem
Dominik Schreyer nennt es „gewissermaßen ein Luxusproblem.“ Der Forscher der WHU Düsseldorf beschäftigt sich aus wissenschaftlicher Sicht weltweit nahezu als einziger mit dem Thema No-Show. „Das Problem ist auch keineswegs bundesligaspezifisch: Denn überall dort, wo Veranstaltungen an feste Termine gebunden sind, tritt das Phänomen auf“, sagt Schreyer. Vom Arzttermin bis zum Interkontinentalflug.
Für die Clubs ergeben sich aus den Fernbleibern zwei Probleme: ein ökonomisches und eines mit dem Image. Der leere Dauerkartenplatz hätte als Tagesticket auf mehreren Ebenen mehr erlöst, da dort neben dem höheren Kartenpreis in der Regel auch mehr Geld im Fanshop oder am Getränkestand ausgegeben wird. Zudem schwächen leere Plätze einerseits die Atmosphäre vor Ort, und dem TV-Zuschauer wird signalisiert, dass das Stadionerlebnis eher mäßig sein müsse. „Dies kann eine Negativspirale in Gang setzen“, sagt Schreyer.
Die Forschungen des Professors ergaben für die Bundesliga eine durchschnittliche No-Show-Rate von zehn Prozent. Zum Vergleich: Bei Arztterminen liegt sie bei 25 Prozent, bei Hochzeiten bei 20 Prozent, bei Beautyterminen und Kreuzfahrten lassen dagegen weniger als fünf Prozent ihre Buchung sausen.
Gegenmaßnahmen der Clubs
In der vergangenen Saison fragte das Magazin „11Freunde“ alle Bundesligisten nach ihrer Nicht-Erscheinens-Quote. 14 Clubs machten Angaben, neun davon nannten halbwegs konkrete Zahlen. Leipzig lag mit 13 Prozent an der Spitze der Tabelle, in dieser Spielzeit liegt man bei unter zehn Prozent. Die Sachsen wollen die Quote weiter drücken. Mehreren Tausend Fans droht der Entzug der Saisontickets, da die vor der Saison eingeführte Mindestnutzung von zehn Spielen nicht erfüllt wird.
Der Club hatte seine Dauerkarten bereits drastisch reduziert, wird dies mit Hilfe der Mindestnutzungsquote weiter tun. Ziel ist es, auf 25.000 Dauerkarten zu kommen, vor einem Jahr waren es noch 32.000. Dass die freien Plätze dann an der Tageskasse weggehen, ist nicht garantiert. Bayern München führte eine Mindestnutzung bereits 2014 ein, der BVB und Wolfsburg haben sie auch, in der nächsten Saison zieht zudem der FC St. Pauli nach.
Ein Instrument, das bei einigen Clubs auf die Mindestnutzung aufsetzt, ist der Zweitmarkt. Über eine meistens clubeigene App kann die Dauerkarte für ein Spiel dem freien Markt zur Verfügung gestellt werden, man erhält einen Anteil des Preises zurück.
Beim BVB müssen mindestens zwölf Bundesliga-Heimspiele besucht werden, der Schritt zeigt offenbar Wirkung. „Die Zutrittszahlen haben sich erhöht; der Ticketzweitmarkt wird noch stärker frequentiert“, teilte der Club mit. Ähnliches vermeldete Gladbach, wo pro Spiel über 4.000 Tickets über den Zweitmarkt neue Besitzer finden. Freiburg verkauft in den Zweitmarkt gestellte Tickets „annähernd zu 100 Prozent“.
Die eigentliche Lösung: Wachstum
Wichtig ist, dass die Weitergabe so einfach und bequem wie möglich erfolgen kann. Möglichst mit einer Aktion auf dem Smartphone. Dann wird es zwar immer noch Personen geben, die aufgrund des Wetters, von Ferien, familiären oder anderen Verpflichtungen fernbleiben. Oder wie in Wolfsburg bisweilen: Aufgrund des Schichtplans von VW. Aber man kann die No-Show-Rate zumindest drücken.
Die Kalkulation ist ohnehin für beide Seiten ein ökonomisches Dilemma: Fans kaufen Dauerkarten meistens, ohne dass der Spielplan feststeht. Der Verkäufer verkauft, weil man in kurzer Zeit hohe Einnahmen erzielen kann. Dafür muss man die Karte allerdings rabattieren. Über 50 Prozent beträgt der Anteil der Dauerkarten in der Bundesliga.
Der Hauptgrund für leere Plätze ist relativ banal: Es ist der Gegner. „Wenn man sich die Zusammensetzung der Bundesliga in den letzten Jahren anschaut, wirkt diese aus Fan-Perspektive vermeintlich etwas unattraktiver“, sagt Schreyer. „In der Liga sind zwar gut geführte Clubs aktiv, sie bringen jedoch weniger Prestige oder Historie mit.“

Manchester City führte ein flexibles Dauerkartenmodell ein.
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Die einzige Lösung ist laut Schreyer „systematisches Wachstum“. Es gehe darum, „die Nachfrage, insbesondere auch nach Tageskarten, zu stärken und hier auch neue Zielgruppen anzusprechen“, sagt der Ökonom und bringt einen Vorschlag, der bei Umsetzung für Schlagzeilen sorgen würde: „Am geringsten wäre die No-Show-Rate natürlich, wenn ausschließlich Tageskarten distribuiert würden. Dies wäre auch ökonomisch spannend.“
Neue Abo-Modelle beim FC Kopenhagen und Manchester City
Zur Abschaffung der Dauerkarten dürfte sich wohl kein Bundesligist hinreißen lassen. Man könnte sich aber vom klassischen Modell entfernen. Der FC Kopenhagen führte nach eigenen Angaben erfolgreich ein Abo-Modell mit monatlicher Kündigungsmöglichkeit ein. Fußball wie Netflix. Besonders bei 15- bis 24-Jährigen kam dies gut an.
Manchester City verfolgt mit seinem Flexi-Gold Season Ticket seit dieser Saison einen ähnlichen Ansatz: Drei Wochen vor einem Spiel muss man entscheiden, ob man sein Ticket nutzen möchte. Wenn nicht, wird es in eine Tageskarte umgewandelt. Heißt: keine Ausgabe für den Dauerkartenbesitzer, höhere Einnahmen für den Club. (dpa)