Jonas Wendt (38) lebt mit seiner Familie in Rösrath.
Er galt um die Jahrtausendwende als der Hoffnungsträger des 1. FC Köln.
Im Interview spricht der frühere Stürmer über sein Talent, seine Jugend, seine Laster und seine Liebe zu Axl Rose.
Rösrath – Herr Wendt, Friedhelm Funkel ist neuer Trainer des 1. FC Köln. Werden da Erinnerungen wach?
Das letzte Mal, als Funkel FC-Trainer wurde, war das nicht gut für mich. Deshalb habe ich jetzt bei der Verpflichtung auch gespaltene Gefühle. 2001/2002 durfte ich als Nachwuchsspieler unter Ewald Lienen immer bei den Profis mittrainieren. Dann kam Funkel – und er wollte von dieser Vereinbarung nichts mehr wissen. Insgesamt hatte man das Gefühl, dass er von jungen Spielern nichts wissen wollte. Lukas Podolski und Lukas Sinkiewicz hatten später Glück mit Marcel Koller. Der hat vor dem Trainingslager gefragt: Wer sind die besten aus dem Nachwuchs? Dann sind die beiden mitgefahren und haben geliefert. Mein Herz hängt natürlich noch am FC – aber jetzt mit Funkel? Das wird schwierig. Ich mochte ihn noch nie. Er guckt immer so von oben herab: „Ich weiß alles, ich kenne alles.“ Und das war schon damals mein Eindruck. Ich drücke ihm aber trotzdem die Daumen. Und hoffe, dass es ab Sommer dann Steffen Baumgart macht. Der bringt eine Portion Emotion mit.
Sie galten um die Jahrtausendwende herum als der Hoffnungsträger des 1. FC Köln, trafen in den Nachwuchsligen nach Belieben und waren Junioren-Nationalspieler. Sie haben aber nie ein Pflichtspiel für die Profis absolviert.
Ich habe in der Jugendzeit nie richtig darüber nachgedacht, dass es nicht klappen könnte. Alles lief so selbstverständlich in der C- oder B-Jugend. Es stand für mich fest, dass ich Profi werde, weil ich wirklich talentiert war. Die ersten Risse kamen dann in der A-Jugend, zusammen mit den ersten lukrativen Verträgen.
Bis dahin haben Jugendspieler beim FC eine Aufwandsentschädigung von 500 Mark bekommen. Sie verdienten im ersten A-Jugend-Jahr 3000 Euro pro Monat und hatten dazu einen persönlichen Ausrüstervertrag mit Nike.
Es war natürlich unglücklich, als öffentlich bekannt wurde, dass ich zehnmal so viel verdient habe, wie Spieler XY. Ich war halt auch nie ein Typ wie zum Beispiel Guido Burgstaller von Schalke. Der kämpft und grätscht und wirft sich überall rein. Das mag ich total – so war ich aber nicht. Ich habe ein Spiel gelesen, hatte ein gutes Spielverständnis. Kilometer gefressen habe ich aber nicht. Dann kann es auch mal schnell Ärger geben in der Mannschaft: „Der läuft nur die Hälfte, verdient aber das Zehnfache.“ Gerade, wenn es sportlich nicht läuft. Und in meinem ersten A-Jugend-Jahr wären wir fast abgestiegen, auch wenn meine Torquote immer gut war.
Zur Person
Jonas Wendt (38), geboren in Leipzig, lebt mit seiner Lebensgefährtin Elin, Sohn Bennet Axl und Tochter Toni Rose sowie seinen Eltern in Rösrath. Wendt ist Inhaber des Stehcafés „Kiosk Wendt“ in Köln-Nippes. Der frühere Stürmer trainiert den Landesligisten SpVg Porz, der wegen der Pandemie aktuell mit dem Spielbetrieb pausiert. Wendt arbeitet aktuell an seiner B-Trainer-Lizenz. (ckr)
Das Geld war also schuld?
Nein, das ist zu einfach. Ich hab es alleine zu verantworten. Ich habe mir mit 18 das neuste Mercedes-Coupé gekauft und bin dann zum Training damit gefahren. Das war nicht meine cleverste Entscheidung. Sowas kann man machen, wenn man Mitte 20 ist und 200 Bundesliga-Spiele gemacht hat.
Und es gab niemanden, der Sie auf den Boden zurückgeholt hat?
Ich wurde unglaublich von meinen Eltern unterstützt, werde ich heute noch. Vielleicht hätten sie mir in der einen oder anderen Situation mal mehr Druck machen sollen, mich etwas bremsen sollen. Aber dafür hatte ich ja auch einen Berater, der mich zurück auf die Erde holt und mir klar die Leviten liest. Dies ist sein Job. Und nicht, 20 Jahre später mein Elternhaus dafür zu kritisieren. Aber nochmal: Letztlich ist es meine Schuld, dass ich es nicht zu den Profis geschafft habe.
Vor dem nicht so erfolgreichen ersten Jahr in der U19 haben Sie 2000 den FC bei den B-Junioren ins Viertelfinale der Deutschen Meisterschaft geführt, sind dann am FC Bayern um Philipp Lahm gescheitert.
Im Elfmeterschießen. Und ich kann ganz selbstbewusst sagen: Ich war der beste Mann auf dem Platz, aber mit Abstand. Da hat niemand von Philipp Lahm gesprochen oder von diesen anderen Kaspern. Es war eine gute Zeit.
Stand Ihnen ab und zu ein zu großes Selbstbewusstsein im Weg?
Mir wurde immer eine gewisse Arroganz und Überheblichkeit nachgesagt. Aber die hatte ich nicht. Eigentlich bin ich ein nachdenklicher und sensibler Mann. Diese Arroganz war vielleicht ein Schutzschild nach außen. In der FC-Jugend hatte ich enormen Halt bei den Trainern und im gesamten Umfeld. Aber der A-Jugend war das nicht mehr der Fall, da habe ich ein Misstrauen gespürt. Das war das Schlimmste für mich. Das habe ich dann versucht, mit meinem großen Selbstbewusstsein zu übertünchen – aber das Selbstbewusstsein war eigentlich weg. Und dann habe ich kein Bein mehr vor das andere bekommen.
Dann sind Sie zu den FC-Amateuren gewechselt.
Ja, dort hatte ich als A-Jugendlicher schon am Saisonende einige Einsätze. Dann sind wir aufgestiegen in die Regionalliga, damals die Dritte Liga. Und kurz vor dem ersten Saisonspiel gegen Erzgebirge Aue hat Trainer Christoph John uns ehemaligen Jugendspielern gesagt, dass die Arrivierten noch Kredit haben und erstmal spielen. Mein Konkurrent war Marcus Steegmann, heute Sportlicher Leiter bei Viktoria. Wir hatten ein Super-Verhältnis. Er hat sich sehr viel erarbeitet, er war bei Weitem nicht so talentiert wie ich. Und ich hatte die viel bessere Sommer-Vorbereitung gespielt, saß dann aber trotzdem auf der Bank. Das war ein Knick für mich, dann kam noch eine Verletzung. Dann bin ich nicht mehr in Tritt gekommen. Das Vertrauen war weg. Und ohne Vertrauen hatte ich nicht die Klasse zusagen: „Ich bin Jonas Wendt und ich habe hier in der Dritten Liga zu spielen.“ Dann ging der Fokus auch irgendwann weg vom Fußball…
… hin zu Axl Rose und Guns n‘ Roses.
Es ist fantastische Musik. Episch und emotional, für jede Gefühlslage findet man etwas. In Axl Rose habe ich mich ein Stück weit wiedererkannt. Rebellisch und unverstanden. Trotzdem brutal sensibel.
Und brutal talentiert.
Sehr, sehr talentiert – er hat daraus vielleicht ein bisschen mehr gemacht als ich (lacht). Ich war mal bei ihm an seinem Haus in Los Angeles. Wie er da auf den Pazifik runterguckt, das ist einfach unfassbar. Aber mit meinem Ausblick auf meinen Garten bin ich auch sehr zufrieden.
Zum Buch
In seinem Buch „Woran hat’s gelegen? Der verpasste Traum vom Fußball-Profi in 13 Porträts“ widmet sich Autor Olaf Jansen mehr oder weniger gescheiterten Talenten, die sich den Profi-Traum nicht erfüllen konnten – unter anderem Jonas Wendt beim 1. FC Köln. „Woran hat’s gelegen?“ ist im Handel erhältlich. (ckr)
Sie haben dann auch irgendwann selbst gelebt wie ein Rockstar.
Meine Mutter hat 2002 in Bonn einen Rockladen aufgemacht, mit 60er, 70er und 80er-Musik. Ein Monster-Laden, eine Goldgrube. Er war rappelvoll, jeden Abend. Da habe ich auch selbst aufgelegt. Ein Bekannter unserer Familie hat mir in den Laden dann noch zwei Schlafzimmer reingebaut – das war tödlich (lacht). 2010 ist der uns leider abgebrannt, das hat meiner Mutter das Herz gebrochen. Da steckte so viel Liebe drin.
Den FC hatten Sie dann bereits verlassen.
Genau, 2003 bin ich zur Fortuna gewechselt. Aber schon nach zwei oder drei Monaten haben wir keinen einzigen Cent mehr bekommen. Der Fußball wurde irgendwann dann nebensächlich, alles drumherum dafür exzessiver – auch mit den Fortuna-Jungs. Wir sind dann regelmäßig um 9 Uhr morgens aus dem Waschsalon oder aus Örtlichkeiten des horizontalen Gewerbes rausgestolpert. Um 10 Uhr war Training.
Sie haben einfach von Tag zu Tag gelebt.
Komplett, ich konnte drei Jahre lang jeden Tag machen, was ich wollte. Ich habe Fußball gespielt, ein bisschen in unserem Laden in Bonn gearbeitet und bin von meinen Eltern unterstützt worden. Das ging bis 2005, als ich das Stehcafé in Nippes übernommen habe, was ich bis heute habe. Das hat mir wieder etwas Rhythmus gegeben.
Fußball gespielt haben Sie dann bei Yurdumspor und in Junkersdorf...
… aber gerade in Junkersdorf bin ich überhaupt nicht zurechtgekommen, mit Jörg Merfeld als Trainer. Das war ein eingeschworener Haufen, da habe ich nicht so reingepasst und hatte darum auch schnell keine Lust mehr. Mein letztes Spiel war in Solingen. Es stand 0:0 und der Merfeld nimmt mich nach 70 Minuten vom Feld. Ein absolutes No-Go für mich. Ich bin ein Typ Stürmer, den lässt du drauf. Ich brauche einen Moment, um ein Spiel zu entscheiden. Er wechselt mich aus und dann hab ich ihm den Ballsack gegen den Kopf geschossen. Das war es dann.
2006 ging es weiter zu Viktoria Köln, da hatten Sie wieder Spaß.
Ihr Trainer Daniel Janssen hatte mich angerufen. Und bei ihm konnte ich machen, was ich wollte. Er hat gesagt: „Jonny, komm wann du willst, mach was du willst.“ Genau das habe ich gebraucht. Zum ersten Spiel bin ich mit einem Döner in der Hand in die Kabine gekommen. Das hab ich dann so durchgezogen – aber ich habe auch jedes Spiel getroffen. Diese Freiheit habe ich gebraucht. Da habe ich mich geborgen gefühlt.
In der Verbandsliga.
Ja, körperlich war mein Zustand okay. Und fußballerisch war ich der Liga überlegen. Darum hat das auch mit meinem Lebenswandel funktioniert. Während der Saison bin ich dann auch zum Trainer gegangen und habe gesagt: „Ich bin jetzt zehn Tage in den USA, da sind Konzerte.“ Ich bin Guns n‘ Roses ja immer hinterhergeflogen. Das musste der Trainer akzeptieren. Wenn Axl Rose im Madison Square Garden auftritt und Viktoria spielt gegen Arnoldsweiler – da muss ich nicht lange überlegen (lacht). Aber abzüglich der Konzertreisen war ich immer gerne beim Training, auch wenn ich für‘n Appel und 'n Ei gespielt habe, 400 Euro oder so. Für mich war es ein guter Mix aus Verantwortung tragen und dem Diva-Dasein.
Um ein Haar wären Sie trotzdem wieder bei Fortuna gelandet.
Ja, wir hatten 2006 eine beschissene Hinrunde mit sechs Punkten oder so gespielt. Eigentlich war klar, dass wir absteigen und die Lichter ausgehen. Dann kam die Anfrage von Fortuna und ich habe zugesagt. Ab in der Rückrunde haben wir alles platt gemacht – auch weil ich den Trainer bestimmt habe (lacht). Thomas Klimmeck war Assistent von Wolfgang Homberg. Das war dann vor der Rückrunde das erste Training, wir hatten seit sechs Monaten keinen Cent gesehen. Auf dem Asche-Trainingsplatz hab ich mir dann einen Ball geschnappt und Homberg meinte: „Die Bälle bleiben im Sack, wir laufen jetzt.“ Ich hab geantwortet: „Wie bitte? Ich laufe nirgendwo hin!“ Dann bin ich nach Hause gefahren und habe Winni Pütz angerufen, den Präsidenten: „Entweder Du feuerst den Homberg oder ich komme nicht mehr.“ Dann war der Trainer weg. Ich meinte: „Mach den Klimmeck zum Cheftrainer“. So ist es gekommen und wir haben alles rasiert.
Nein (lacht). Dann bin ich mit Mama und Papa zu Klaus Ulonska nach Hause gefahren, um das zu klären. 10.000 Euro wollte der haben! Ich sagte: „Klaus, das kannst Du nicht machen, ich hatte an 200 Euro oder so gedacht.“ Letztlich haben die Viktoria-Fans dann 5000 Euro gesammelt und 5000 Euro hat der Verein bezahlt. Dann konnte ich bleiben und hatte wohl meine schönste Zeit im Senioren-Bereich. Ich war 2009 nochmal ein halbes Jahr in Dattenfeld, bei Viktoria hatte es mal wieder kein Geld mehr gegeben. Zu dem Gehalt in Dattenfeld konnte ich nicht Nein sagen, das wäre meinem Alkoholkonsum gegenüber unverantwortlich gewesen (lacht).
Mittlerweile sind Sie Trainer in der Landesliga von der SpVg Porz. Wie würde der Trainer Jonas Wendt mit dem Spieler Jonas Wendt umgehen?
Grundsätzlich komme ich gut mit schwierigen Spielern klar, ich krieg die hin, ich bin da ja selbst chemisch gereinigt. Ich habe als Spieler immer Trainer gebraucht, die für einen da sind, die man nachts um 3 Uhr anrufen kann. Das vermittele ich jetzt auch immer meinen Spielern. Wir tun unter der Woche alles für euch, damit ihr am Sonntagnachmittag alles für uns geben könnt. Und es ist wichtig, dass es in der Kabine stimmt, dass da eine Selbstreinigung stattfindet. Die gab es mit mir, gerade bei Viktoria. Da hab ich sogar mal Nachwuchsspielern aus eigener Tasche das Gehalt bezahlt, wenn der Verein das nicht machen wollte. Ich habe dafür gesorgt, dass die Mannschaft funktioniert. Diesen Teil von mir hätte ich sehr gerne als Spieler in meinem Team.
Und die andere Seite?
Das ist etwas anderes. Ich sage meinen Jungs immer: „Ich kenne jeden Türsteher in Köln, jeden. Wenn ich rauskriege, dass ihr undercover feiern wart, ohne mir eine Info zu geben, dann haben wir ein Problem.“ Dann schicke ich die Jungs sechs Wochen in die Reserve in die Kreisliga D, da bin ich rigoros. Wenn sie mir vorher Bescheid geben, dass sie auf einem Geburtstag sind, dann kann ich am Sonntag entscheiden, ob sie spielen. Da hätte ich mich selbst dann aber nicht gerne als Spieler. Weil ich war nicht nur ein bisschen feiern. Ich war bis 9 Uhr morgens im Bootshaus. Mit allem. Und wenn einer meiner Spieler mit einem Döner in der Hand zum Spiel kommen würde – der ernährt sich dann sechs Wochen von Suppe!
Wie haben Sie die Kurve hin zum Familienvater bekommen?
Als ich meiner jetzigen Lebensgefährtin zusammengekommen bin. Sie ist Lehrerin, sie hat mich sofort geerdet, das habe ich gebraucht. Ich hatte dann auch plötzlich gar keine Lust mehr auf diese ganzen Eskapaden. Nach zehn, zwölf Jahren war es dann auch gut. Nur vom Heiraten halte ich nicht so viel, meine Schwestern sind alle geschieden, das ist Warnung genug. Mein Papa hat immer gesagt: „Drum prüfe wer sich ewig bindet, ob sich nicht was Besseres findet.“ Da halte ich mir mal alle Toren und Türen offen (lacht).
Würden Sie Ihrem Sohn eine Fußballkarriere empfehlen?
Das soll er selbst entscheiden. Klar, wäre es schön, als Vater so eine Karriere zu begleiten. Ich würde ihm dann auch sagen, worauf er achten muss und was bei mir, gerade in der Jugend, dann nicht funktioniert hat. Ein paar Sachen kann er aber auch sicher lieber lassen, wie die ganzen Ibiza-Touren mit lustigen Bonbons.
Wann und wo wollen Sie das nächste Mal Guns n‘ Roses sehen?
2022, wenn es die Pandemie zulässt. In Lissabon wäre das Konzert Open Air, direkt am Strand. Und in Mailand, im San Siro. Das hat auch Flair.