Traumspiel in RioEin Tagestrip zum deutschen WM-Titel 2014
- Am 13. Juli besiegte Deutschland im WM-Finale von Rio de Janeiro Argentinien mit 1:0, Mario Götzes Tor in der 113. Minute kennt fast jeder auswendig.
- Christian Löer, Sportchef des „Kölner Stadt-Anzeiger“, war damals privat in Brasilien, nur für das Finale reiste er an.
- Eine Erinnerung an den Abend im Maracana
Köln – Im Jahr 2014 hatte ich Pause vom Fußball, jedenfalls beruflich. Nach vielen Jahren in der Sportredaktion des „Kölner Stadt-Anzeiger“ arbeitete ich im Lokalen und konnte mich im Privaten daher wieder voll auf den Fußball konzentrieren, ohne Gefahr zu laufen, mich mit nichts anderem mehr zu befassen. Deutschland spielte mit einer fantastischen Mannschaft bei der WM in Brasilien, und im Freundeskreis hatten wir mehrfach thematisiert, dass „man da eigentlich hin muss“. Und nach dem 7:1 über Brasilien stand fest: Wir versuchen es.
Nun kennt jeder jemanden, und manche kennen wirklich viele Leute. Aber an Finalkarten für eine Fußball-WM zu kommen, ist nicht einfach. Wir hatten einander versprochen, nicht ohne Ticket zu fliegen, denn niemand wollte es darauf ankommen lassen, auf dem Schwarzmarkt in Konkurrenz zu argentinischen Fans zu treten, die traditionell zu allem bereit sind. Wir wollten vernünftig sein, zumindest im Rahmen unserer Möglichkeiten.
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Deutsche Fluggesellschaften boten in den Tagen vor dem Finale Tagesflüge nach Rio an. Die Flugzeuge waren jeweils innerhalb kurzer Zeit ausverkauft, aber noch hatten wir ja sowieso keine Karten. Das änderte sich, als ich einen Bekannten erreichte, mit dem ich vor vielen Jahren im Umfeld des 1. FC Köln zusammengearbeitet hatte. Der hatte zwei Tickets übrig, für die er „den Preis in Euro haben wollte, der in Dollar draufsteht“. Ein faires Angebot. Mein Freund Peter sagte sofort zu, wir buchten zwei Sitze im nächsten Tagesflieger.
Ich erinnere mich, wie ich im DFB-Trikot im Zug nach Frankfurt saß und mir etwas wahnsinnig vorkam. Im Flughafen änderte sich das, ein ganzes Terminal war für Rioflieger reserviert, deren Passagiere sich bereits tüchtig einsangen. Tausende waren da, aus den Cockpitfenstern hingen schwarz-rot-goldene Fahnen. Es war offenbar völlig normal, zum Spiel zu fliegen.
Glücklicherweise kannten wir Stadt und Land von vorherigen Aufenthalten, während andere erst einmal emotional mit der Schönheit Rios umzugehen hatten. Wir dagegen konnten uns ganz auf unsere Mission konzentrieren. Ich hatte die deutsche Nationalmannschaft als Reporter jahrelang begleitet, hatte das Aus bei der WM 2006 gegen Italien erlebt, das verlorene EM-Finale in Wien 2008, 2010 das verlorene WM-Halbfinale in Durban. Es war definitiv an der Zeit für einen Titel.
Wir verbrachten den Tag an der Copacabana, wo große Teile der männlichen Bevölkerung Argentiniens campierten, offizielle Stellen sprachen von 200.000 Fans, und nicht alle präsentierten sich in Bestzustand. Zwar standen einige Dixiklos herum. Doch die wurden nur beiläufig frequentiert. Entsprechend stank der Strand, und entsprechend unglücklich waren die Brasilianer über den Besuch der ungeliebten Nachbarn. Aber bis zu den Olympischen Spielen waren ja noch zwei Jahre Zeit. Man würde die Stadt schon irgendwie wieder hinkriegen.
Das 7:1 gegen Brasilien im Hinterkopf
Die Argentinier freuten sich sehr, Deutsche zu sehen – waren sie doch begeistert davon, dass Löws Elf dem Erzfeind im eigenen Land sieben Tore verpasst hatte. Sie schienen sich keine großen Sorgen zu machen, dass sie die nächsten Opfer der deutschen Elf sein könnten.
Wir hatten Plätze im neutralen Block des Maracana, um uns herum saßen überwiegend Touristen aus China und den Emiraten, für die es um nichts ging außer darum, einen netten Abend zu haben. Wir hatten uns gewünscht, dass Deutschland nach einer halben Stunde wieder 5:0 führt. Allerdings hatten wir uns vor der Abreise auch geschworen, demütig zu bleiben. Man fährt nicht einfach zu einem WM-Finale nach Brasilien, um den Titel abzuholen. Im Fußball geht es darum, den jeweils angemessenen Umgang mit Sieg und Niederlage zu finden. Also setzten wir uns auf unsere Schalensitze. Und litten.
Die Partie war entsetzlich ausgeglichen, was toll war für die Fußballfreunde in unserem Block. Wir dagegen wurden verrückt in der Kurve hinter dem Tor, auf das in der 113. Minute der gerade eingewechselte Mario Götze zusteuerte. Ich habe das Tor mittlerweile unendlich oft in der Wiederholung gesehen, also aus der Perspektive der Fernsehkamera auf der Geraden. Für uns kam Götze von halbrechts eingebogen, und ich erinnere mich noch, wie ich dachte: Oh, da ist Raum, jetzt muss der Schürrle nur noch den Ball dahinkriegen. Und tatsächlich: Schürrle flankte, dann Götzes historische Brustannahme – und ab mit links ins lange Eck, auch der Ball ja eher bugsiert als geknallt. Aber drin, genau vor unseren Augen.
30 Jahre Dauerkarteninhaber beim 1. FC Köln
Bis dahin hatte ich im Stadion mehr Trauer als Freude erlebt, zumindest fühlte es sich so an, 30 Jahre als Dauerkarteninhaber beim 1. FC Köln haben gewisse Spuren hinterlassen. Nun sortierten sich die Dinge neu. Die Siegerehrung, die Gedanken an zu Hause, wie sich jetzt wohl alle freuten. Alles war gut in diesen Momenten. Der Fußball war gut. Ich war unendlich dankbar.
Wir genossen unser Glück eher still. Zurück an der Copa Cabana kauften wir noch ein Bier von einem fliegenden Händler, spazierten für eine halbe Stunde durch die Nacht. Dann stiegen wir ins Taxi zum Flughafen – und hoben keine 24 Stunden nach unserer Ankunft wieder ab.