„Wer ist frei von Fehlern?“Christoph Daum über seine Biografie und den 1. FC Köln
- Christoph Daum hat als Trainer Titel geholt, aber stets auch polarisiert.
- Nun legt der frühere Coach des 1. FC Köln seine Biografie vor.
- Ein Gespräch über ein turbulentes Leben mit Affären und Erfolgen.
Herr Daum, Sie werden in wenigen Tagen 67 Jahre alt und schreiben in Ihrer Biografie, dass Sie mit dem Fußball „noch nicht fertig“ seien. Also ist sie nicht als Abschluss Ihrer Trainerkarriere zu verstehen?
Christoph Daum: Richtig. Alles, was ich mir erarbeiten konnte, habe ich dem Fußball zu verdanken. Für viele ist Fußball ein Spiel, für mich ist er mein Leben. Und von daher beschäftige mich weiter quasi rund um die Uhr mit Fußball, tausche mich mit Kollegen aus, bin viel unterwegs und bilde mich fort. Ich kann zwar heute sagen, dass ich keinen Job mehr annehmen muss. Dennoch ist die Biografie kein Abschluss meiner Karriere. Ich habe sie zwar oft vor mir hergeschoben, aber Co-Autor Nils Bastek hat mich nicht nur unterstützt, sonder fast gedrängt, sie zu verfassen. Wir haben uns gut ergänzt, hatten aber auch ein paar Auseinandersetzungen über den Duktus der Biografie. Ich wollte keine Formulierungen à la Rosamunde Pilcher. Am Ende bedeutete das Buch auch viel Arbeit.
Hat Ihnen der Streifzug durch Ihr turbulentes Leben überhaupt gut getan?
Es gab Phasen, die mich runtergezogen haben. Vor allem die, die die Kokain-Affäre thematisieren. Da kam ich mehrfach an den Punkt, an dem ich das Projekt abbrechen wollte. Denn da ist damals auch so viel Mist und Unwahres gesagt oder geschrieben worden. Natürlich hatte ich einen großen Fehler gemacht, aber wer ist frei von Fehlern?
Haben Sie Weggefährten vorab mit eingebunden?
Reiner Calmund, Uli Hoeneß, Michael Meier, Dieter Trzolek und Roland Koch konnten Teile der Biografie vorab lesen.
Sie sprachen Ihre Kokain-Affäre an. Sie haben auf Enthüllungen verzichtet, reißen keine neuen Namen mit rein.
Das ist ja kein Outing-Buch. Ich stelle nicht irgendwelche Leute an den Pranger, sondern ich berichte von meinen Erfahrungen, Gefühlen und wie ich alles auf meinen unterschiedlichen Stationen wahrgenommen habe.
Der Untertitel „Mein Aufstieg, mein Fall“ suggeriert, dass Sie noch am Boden liegen.
Ja, das ist vielleicht nicht ganz richtig formuliert. Den Titel aber um meinen „Wiederaufstieg“ zu ergänzen, das hätte zu weit geführt. Ich denke aber, beim Lesen des Buches wird schnell vieles klar. Aber auch der „Fall“ ist ja ein Teil meiner Vita, insofern entspricht das der Realität.
Sie geben oft einen Einblick in Ihre Gefühlswelt. Das passt nicht zu dem oft so selbstbewussten Trainertypen Daum.
Je älter ich werde, desto eher bemerke ich, dass ich doch recht nah am Wasser gebaut bin. Das war früher nicht so. Als Trainer gilt man ja oft nur als die starke Führungsperson. Das ist normalerweise kein Platz für Schwächen. Viele meiner Entscheidungen waren aber oft von Zweifeln geprägt, die mein ständiger Begleiter waren. Doch diese Zweifel sind für mich immer der Motor, der Antrieb, um mich zu überprüfen und zu verbessern.
Welcher der aktuellen Bundesligatrainer erinnert Sie an den jungen Christoph Daum?
Leipzigs Julian Nagelsmann. Er ist ein Fußballexperte, der bereit ist, neue Wege zu gehen und gewisse Dinge auszuprobieren. Er zeigt Mut und findet auch mal klare Worte in der Öffentlichkeit. Ein sehr guter Trainer. Ich schätze Christian Streich, der in Freiburg tolle Arbeit leistet und Hansi Flick, der exzellent das People-Management verstanden hat. Er hat ein enges Verhältnis zu den Spielern und die Stars zu einer verschworenen Einheit zusammengeschweißt.
Hat auch noch Joachim Löw diesen Zugang zu den Spielern? Wie beurteilen Sie die Arbeit des Bundestrainers?
Jogi Löw baut eine neue Mannschaft auf und muss viel ausprobieren. Im Augenblick werden alle Maßnahmen von ihm bedingt durch das schlechte Abschneiden bei der WM 2018 äußerst kritisch beäugt. Und so bekommt plötzlich ein Wettbewerb wie die Nations League, der eigentlich überflüssig ist, eine Bedeutung, die ich nicht nachvollziehen kann.
Das Interesse an der Nationalmannschaft geht allerdings dramatisch zurück.
Das hat viele Ursachen. Das liegt nicht daran, dass wir 3:3 gegen die Türkei mit einer B-Mannschaft spielen. Der Grund liegt darin, dass der gesamte DFB in den vergangenen drei, vier Jahren kein sympathisches Bild abgegeben hat. Erst die Problematik um die WM 2006, zudem ein Präsident, der sich mit Uhren nicht auskannte und zurücktreten musste. Dann gab’s ein schlechtes Krisenmanagement um Mesut Özil und Ilkay Gündogan und viele Fragen und Fehler um die WM in Russland. Der Bundestrainer belastete sich mit in meinen Augen überzogenen Selbstvorwürfen. Der Neuaufbau begann mit der merkwürdigen Verabschiedung von Boateng, Hummels und Müller. Ich hätte nicht diese Endgültigkeit an den Tag gelegt. Das ist auch nicht gut angekommen. Schließlich aktuell die Steuersache mit groß angelegter Hausdurchsuchung. Das zeichnet kein gutes Bild vom Gesamtzustand des DFB – und dazu gehört auch die Nationalmannschaft.
Wie lautet Ihre Zukunftsprognose?
Wir müssen die Planung auf die EM 2024 im eigenen Land ausrichten. Bis dahin wird es eine Durststrecke. Für diese Haltung wurde ich schon weggenagelt. Wir Deutschen sind so erfolgsverwöhnt. Für viele war das Abschneiden 2018 nur ein Ausrutscher, der beim nächsten Turnier korrigiert wird. Das stimmt aber mitnichten. Man sollte den Mut haben, sich der öffentlichen Erwartungshaltung entgegenzustellen. Der kurzfristige Erfolg ist zwar immer sehr wichtig. Aber es braucht Geduld, bis sich diese Mannschaft wieder eingespielt hat. Für mich kann im Moment nichts Homogenes dabei herauskommen. Das ist ein Entwicklungsprojekt und die Ergebnisse sind nachrangig.
Olaf Thon fordert das Ende der Ära Löw im kommenden Jahr.
Der erste fängt mit Kritik an, da muss der nächste noch einen draufsetzen. Das Bild, das der DFB und die Nationalmannschaft abgeben, ist nicht positiv. Aber man sollte mit Augenmaß und Planung reingehen. Jogis Vertrag läuft bis 2022. Wir sollten ihn unterstützen. Ich gehe davon aus, dass danach die Sache beendet ist. Daher gibt es jetzt einen Vorlauf, um einen möglichen Kandidaten zu suchen.
Wen sehen Sie als mögliche Nachfolger?
Ich weiß nicht, ob sich ein Ralf Rangnick das vorstellen könnte. Wie plant Jürgen Klopp seine weitere Karriere nach der Liverpool-Zeit? Sie stehen für Aufbruch. Diese Gespräche muss man führen. Dabei kommt es darauf an, dass man kompetente Leute beim DFB hat, die jetzt rechtzeitig die Weichen stellen.
Vor fast genau 20 Jahren platzte Ihr Traum vom Job des Bundestrainers. Wohl für immer.
Man kann die Uhr nicht zurückdrehen. Dieses Fass will ich nicht mehr aufmachen. Ich kann mir aber verschiedene Funktionen beim DFB vorstellen, wo ich meine Erfahrung und mein Wissen gewinnbringend einbringen kann. Ich möchte mich gerne an der Weiterentwicklung des Fußballs beteiligen, ob beim DFB oder in der Akademie.
Wäre für Sie auch eine dritte Rückkehr zum 1. FC Köln noch vorstellbar – zum Beispiel in den Gremien oder als Berater?
Meine Bereitschaft dazu zu signalisieren, das könnte auch leicht als Affront oder als Nestbeschmutzung aufgefasst werden. Einige würden sagen: „Der will sich nur wieder ins Gespräch bringen“. In der Tat wäre der FC aber gut beraten, weitere sportliche Kompetenz in die Vereinsführung reinzuholen. Präsident Werner Wolf meint aber, dass er diese Kompetenz mit Erich Rutemöller hat und optimal aufgestellt ist. Erich ist ein Freund von mir, ich schätze ihn sehr: Was soll ich da jetzt sagen?
Müsste denn einer aus dem Vorstands-Trio eine Vita aus dem Profi-Fußball haben?
Diese Fragen müssen Sie dem schlauen Mitgliederrat stellen. Da hat dieser eine große Verantwortung. Er ist die Stimme der Mitglieder. Und wenn dieser bei der Nominierung des Vorstandes keinen Wert darauf legt, dann ist das ein Offenbarungseid.
Wie beurteilen Sie die sportliche Situation des FC?
Der FC hat eine äußerst schwierige Saison vor sich. Er gehört zum Kreis der Abstiegskandidaten, auch wenn das keiner hören will. Die personelle Zusammenstellung ist auch der Corona-Situation und der finanziellen Lage des Klubs geschuldet. Die Investitionen im Vorjahr gingen bis an die Belastungsgrenze des Vereins und haben die Möglichkeiten in diesem Jahr äußerst eingeschränkt. Unter diesen Voraussetzungen wurden einige gute Personalentscheidungen getroffen. Das wichtige ist aber, wie dann das Trainerteam das Optimale aus diesen Spielern herausholt. Gelingt es den Verantwortlichen, eine verschworene Gemeinschaft zu formen? Im Augenblick sehe ich diesen Zusammenhalt nicht. Der FC gibt kein geschlossenes Bild nach außen ab. Der Erfolg beginnt in der Vereinsführung. Geschlossenheit dort hat Einfluss auf den gesamten Verein. Wenn wir aber mehr Gegeneinander als Miteinander haben, wirkt sich das auf dem Spielfeld aus.