Gerwyn Price gewinnt WMEin Herkules beherrscht die Darts-Welt
- Der ehemalige Rugby-Spieler Gerwyn Price besiegt im Finale der Darts-WM Gary Anderson.
- Früher wurde der Sport noch belächelt, heute verfolgen allein in Deutschland mehrere Millionen Zuschauer die Spiele vor dem Bildschirm.
- Mit dem neuen Weltmeister feiert Darts einen Helden, der aussieht und auftritt wie ein wahrer Held
London – Das ehemalige Kneipenvergnügen Darts hat dramatische Veränderungen hinter sich. Erst hat es die Pubs verlassen, dann die Grauzone eines Geschicklichkeitsspiels, dem die Anerkennung verwehrt wurde, ein Sport zu sein. Danach hat es die Wohnzimmer erreicht und schließlich das Festland, wo sich zunächst in den Niederlanden und dann in ganz Europa eine kleine, aber wachsende Gemeinde gebildet hat.
Aber noch vor wenigen Jahren, als der Sport von seinen übergewichtigen Hauptdarstellern Phil Taylor und Raymond van Barneveldt unter dem Gejohle betrunkener und verkleideter Fans dominiert wurde, hätte sich niemand vorstellen können, was zu Beginn des Jahres 2021 geschehen würde: Ein muskelbepackter Waliser stemmt in einer leeren Halle den riesigen WM-Pokal in die Höhe und wird dabei von einem Millionenpublikum an den TV-Geräten in ganz Europa bewundert. Und wie es sich für einen Star einer medial bedeutenden Sportart gehört, kassiert er dafür eine halbe Million Pfund und wäre, wenn es noch nötig gewesen wäre, dadurch zum gemachten Mann geworden.
Karrierestart auf dem Rugbyfeld
Der Sieg des 35-jährigen Gerwyn Price über den schottischen Ex-Weltmeister Gary Anderson in der menschenleeren Arena des riesigen Alexandra Palace in London markiert den Höhepunkt von zwei Erfolgsgeschichten, die sich an diesem Abend überschnitten. Zum einen die des Darts-Verbandes PDC, der vom genialen Sport-Promoter Barry Hearn in eine Geldmaschine verwandelt wurde, die mehr Profis ein Auskommen beschert als jemals zuvor. Zum anderen die des Profis Gerwyn Price, der einer Dynastie von Rugbyspielern entstammt, die es im Rugby-verrückten Wales zu etwas gebracht hatten.
Selbstverständlich schlug auch der robuste Gerwyn diese Karriere ein. Mit Mitte 20 hatte er auf der wichtigen Position des Haklers schon für mehrere Teams der Welsh Premier Division und der Rugby League gespielt. Der mächtige Brustkorb, massive Bizeps und beeindruckende Trapezmuskeln zwischen Hals und Schultern zeugen heute noch davon. 40 000 Pfund, rund 45 000 Euro verdiente der junge Sportler damals mit Rugby. Dieses Einkommen besserte er durch Jobs auf dem Bau auf. Sein Talent für die Feinmotorik mit den rund 22 Gramm leichten Dartspfeilen blühte im Verborgenen.
Bei einem Stadt-Turnier wurde er 2014 vom walisischen Darts-Profi Barry Bates entdeckt, der ihm riet, sich für die Profi-Tour zu empfehlen. Price, der sich für die Eigenheiten des Darts zuvor wenig interessiert hatte, schlug diesen Weg ein und begann einen atemberaubenden Aufstieg, der die zuvor gemütliche Sportart ein wenig verstörte.
Der gehasste „Iceman“
Inmitten der schmerbäuchigen, teiggesichtigen Schar der Darts-Antihelden wirkte Price mit seinem zum Zerreißen gespannten Shirt und dem Schriftzug „Iceman“ auf dem mächtigen Rücken wie ein Außerirdischer. Seine Präsenz auf der Bühne wirkte einschüchternd. Seine Ur-Schreie nach spektakulären 180er-Aufnahmen (drei Pfeile im Feld der dreifachen 20) waren eine Provokation. Das Publikum begann ihn zu hassen und auszubuhen.
Aber harte Gegnerschaft war Price vom Rugby gewöhnt. Für ihn war die Ablehnung nichts anderes als Anerkennung. Er begann, Turniere zu gewinnen und reich zu werden. Bereits 2016 erklärte er in einem Interview seinen neuen Lebensplan: „Ich kaufe jedes Jahr zwei Häuser, höre mit 50 Jahre auf und wandere aus.“ Als er 2018 beim Finale des Grand Slam of Darts den zweimaligen Weltmeister Gary Anderson bezwang, kam es zum Eklat. Anderson fühlte sich gemobbt, Price gab nicht nach, es kam zu einer Schubserei. Der Waliser wurde drei Monate auf Bewährung gesperrt.
Dass er den Einzug in die Ruhmeshalle des immer populärer werdenden Sports mit einem Sieg über denselben Gary Anderson perfekt machen würde, entbehrte nicht der Logik. Obwohl er elf Matchdarts vergab, siegte Gerwyn Price am Sonntagabend hoch überlegen mit 7:3 Sätzen. Allerdings hat dieses Erlebnis den aggressiven Muskelprotz in einen demütigen Sieger verwandelt, der erklärte, noch nie in seinem Leben so einen Druck verspürt zu haben. „Ich weiß jetzt, was alle vor mir da oben geleistet haben, die drei Pfeile für die Weltmeisterschaft in der Hand hatten. Es ist wirklich schwer, es ist anders als alles, was ich zuvor erlebt hatte.“
Darts ist heute ein Millionengeschäft
Mehr noch als der WM-Sieg und der Haufen Geld bedeutete dem Seiteneinsteiger Price jedoch, dass er den zuvor übermächtig scheinenden Holländer Michael van Gerwen an der Spitze der Weltrangliste abgelöst hatte, die sich aus den Turnierpreisgeldern von zwei Jahren errechnet.
Diese Summen verraten mehr über den Aufstieg der Sportart als alles andere. Price wird auf Position 1 mit einer Einnahme von 1,317 Millionen Pfund (knapp 1,5 Millionen Euro) vor van Gerwen (1,044 Millionen Pfund) und dem vom Deutschen Gabriel Clemens entthronten Ex-Weltmeister Peter Wright (1,021 Millionen Pfund) geführt. Der neue deutsche Star Clemens hat immer noch 185 000 Pfund, also knapp 200 000 Euro eingenommen und kann als 29. der Weltrangliste, Tendenz steigend, ziemlich gut davon leben. „Eine WM zu gewinnen ist fantastisch, aber die Nummer 1 ist das Resultat von zwei Jahren harter Arbeit. Das macht mich mehr stolz als alles“, sagt Price.
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Darts war die erste TV-Sportart, die im ersten europaweiten Corona-Lockdown im März 2020 mit Wettkämpfen begonnen hatte. Die Profis maßen sich vom Wohnzimmer aus in einer Home-Serie. Sie hat ihre Athleten monatelang in Bubbles durch ihren Terminplan geführt und einen TV-Rekord nach dem anderen gebrochen. Das Achtelfinale, in dem Gabriel Clemens dramatisch am Polen Rataijski scheiterte, sahen auf dem Spartensender Sport1 in Deutschland über zwei Millionen Menschen, auf dem Streamingdienst DAZN mehrere hunderttausend.
Und jetzt hat Darts auch noch einen Helden, der aussieht wie Herkules. Die Geschichte scheint noch lange nicht zu Ende.