Der 106. Giro d'Italia beginnt am Samstag an der Adria. Der deutsche Radprofi will sich dabei als Klassementfahrer etablieren.
Start des Giro d'Italia 2023Viele Zeitfahren, viele Alpenpässe – Kämna ist bereit
Seit Mittwoch befindet sich die Delegation des deutschen Teams Bora-hansgrohe in Italien, dem Land, in dem ihm im Vorjahr der große Durchbruch gelungen ist. Die frühe Anreise vor dem Start am Samstag an der Costa dei Trabocchi lässt sogar Zeit für letzte Inspektionen des Parcours der aktuellen Ausgabe des Giro d’Italia. 2022 glückte die angekündigte Umwandlung der Auswahl hin zu einer Einheit für Rundfahrten auf überzeugende Weise mit dem Giro-Gesamtsieg des Australiers Jai Hindley.
Seinen Erfolg wird Hindley allerdings nicht verteidigen können, weil er von seinen Sportdirektoren für die Tour de France im Juli gebucht ist. Stattdessen startet Bora-hansgrohe bei dem extrem schweren Rennen mit einer Doppelspitze, zu der neben dem Russen Alexander Wlassow erstmals auch Lennard Kämna zählt.
Giro d'Italia: Lennard Kämnas Herausforderung
Der Norddeutsche Kämna, 26 Jahre alt inzwischen, lebte zu Beginn seiner Karriere auch mal in Hürth, wegen der „guten Trainingsbedingungen“, erzählt Kämna im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Mittlerweile hat er sich im österreichischen Vorarlberg niedergelassen, die Berge sind für harte Trainingseinheiten sehr nah und ein klarer Standortvorteil.
Kämna betont, dass seine Form stimme, dass er sich dem Druck gewachsen fühle, und dass er nun bereit sei, sich in einer großen, dreiwöchigen Rundfahrt als Klassementfahrer zu versuchen. Der Abstand zur absoluten Rundfahrer-Elite sei durch intensives Training und Arbeit am Gewicht kleiner geworden. Eine Top-Ten-Platzierung ist sein Ziel. Wlassow wiederum wird wegen der größeren Erfahrung noch stärker eingeschätzt. Eine Doppelspitze wie diese dürfte grundsätzlich zu beachten sein – auch wenn die Gegner Remco Evenepoel, Primoz Roglic, Joao Almeida oder Tao Gheoghean Hart heißen.
Giro d'Italia 2023: Die Favoriten
Der belgische Weltmeister Evenepoel reist nach seinem überzeugenden Sieg bei Lüttich-Bastogne-Lüttich Ende April mit dem Anspruch an die Adria, die 106. Giro-Auflage gewinnen zu wollen. Seine Vorbereitung bestand aus wenigen Rennen, dafür aber viel Training in der Höhe des Teide auf Teneriffa. Sein erfolgreicher Abstecher nach Lüttich legt nahe, dass die Planung aufzugehen scheint. Gegen Roglic ist Evenepoel in dieser Saison einmal direkt gefahren. Bei der Katalonien-Rundfahrt duellierten sich beide bei dem sieben-Etappen-Rennen täglich. Das Ergebnis: Zwei Etappensiege für Evenepoel, zwei für Roglic plus der Erfolg in der Gesamtwertung – vor Evenepoel.
Dem Portugiesen Almeida, stark in den Bergen, sagt der alpine Streckenverlauf dieses Giro zu. Der Engländer Hart hingegen, jüngst Sieger der Tour of the Alps, weiß, wie er sich in der extrem fordernden letzten Giro-Woche zu verhalten hat. Denn ein solches Setting hat er bereits 2020 erfolgreich gemeistert, damals sicherte er sich im Finale das Rosa Trikot vor Hindley.
Giro d'Italia 2023: Die Strecke
Kämna und seine sportliche Leitung haben sich für dessen Premiere als Klassementfahrer den Giro ausgesucht, weil er diesmal deutlich mehr Zeitfahr-Kilometer aufweist als die Tour. 73 Kilometer werden im Kampf gegen die Uhr gefordert, verteilt auf drei Etappen. Die erste Prüfung zwischen Fossacesia Marina und Ortona in den Abruzzen führt zum Auftakt am Samstag knapp 20 Kilometer an der Küste entlang – eine Eröffnung wie bestellt für die Zeitfahrspezialisten Evenepoel, Roglic, Hart oder auch Kämna.
Das gilt auch für den zweiten Solokampf gegen den Sekundenzeiger im Rahmen der neunten Etappe nach Cesena – 35 Kilometer stehen auf dem Programm. Das finale Zeitfahren am vorletzten Tag kann wegen seinem ins Skurrile gesteigerten Schreis nach Aufmerksamkeit alle vermeintlichen Gewissheiten noch einmal durcheinanderwirbeln. Knapp 19,6 Kilometer geht es von Tarvisio hoch auf den Monte Lussari, gelegen im Dreiländereck Italien-Österreich-Slowenien. Sieben Kilometer führen steil bergauf, 15 Prozent sind es im Schnitt, maximal sogar 22.
Giro d'Italia: Das Finale
Dieses Bergzeitfahren bildet das Finale einer brutalen Höhenmeter-Herausforderung. Die Etappen 16, 18 und 19 sind Bergankünfte. Vor allem die 19. Etappe von Longarone hinauf auf die Passstraße der Drei Zinnen in den Sextner Dolomiten ist eine Qual. Vor dem Finale müssen die Fahrer vier Hochgebirgspässe passieren. „Das wird ein hartes Stück Arbeit“, sagt Evenepoel. Aber er scheint sich darauf zu freuen: „Ein Feuerwerk am Ende.“ Es ist sehr offen, für wen im Anschluss an die 21. und letzte Etappe am 28. Mai in Rom gezündet wird.