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Handball-WMDas sind die neuen Stärken der der DHB-Auswahl

Lesezeit 4 Minuten
Lukas Mertens hebt ab, fliegt durch den Kreis und trifft für Deutschland gegen Serbien.

Lukas Mertens hebt ab, fliegt durch den Kreis und trifft für Deutschland gegen Serbien.

Die deutsche Handball-Nationalmannschaft überzeugt bei der WM mit einem harmonischen Auftreten und vielen Erfolgsfaktoren.

Emotionalität kann ein magischer Verstärker einer Stimmung sein, wenn sich auf einmal alles fügt und ein Torhüter, mit dem niemand rechnete, eine Parade nach der anderen zeigt und jede einzelne von ihnen feiert wie einen Lotto-Hauptgewinn. Und damit seine Gegner entnervt und die eigenen Spieler pusht. Es war ein Kuriosum des deutschen WM-Spiels gegen Serbien am Sonntag, dass die starke Angriffsleistung beim 34:33-Erfolg gegen Serbien beinahe nicht ausgereicht hätte, weil die Abwehr in vielen Situationen zu offen stand.

Doch da war ja auf einmal Joel Birlehm im Tor, fast zwei Meter groß, beweglich wie ein Balletttänzer, aufmerksam wie ein Habicht auf der Jagd und zuverlässig wie eine Atomuhr. Und obwohl Linksaußen Lukas Mertens gleich sieben Tore warf und obwohl Juri Knorr erneut glänzend Regie führte, war eine Lehre des WM-Abends von Kattowitz, dass die zweite Garde der DHB-Auswahl eine große Qualität besitzt. Weitere Erkenntnisse der bisherigen Vorrunde im Überblick.

Faktor Joel Birlehm

Vor der WM war ersichtlich, dass der deutsche Top-Torwart Andreas Wolff sich in einer herausragenden Verfassung befindet. Was er im ersten deutschen Gruppenspiel gegen Katar auch bewies, wobei eine seiner Spagatparaden – der rechte Fuß wehrte neben dem rechten Ohr einen Wurf ab – eine unglaubliche Tat war. Doch bald darauf zwickte es in der Wade, so sehr, dass Wolff gegen Serbien am Sonntag kein Faktor war. Für ihn kam Joel Birlehm, die Nummer eins der Rhein-Neckar Löwen, auf die Platte – und brillierte in nicht erwartbarer Manier.

Und dennoch blieb der von allen als Matchwinner anerkannte 25-Jährige weiter bescheiden, weil er um seine Position im Team weiß: „Ich kenne meine Rolle und versuche der Mannschaft zu helfen. Ich bin kein Traumtänzer und versuche es beim nächsten Mal, wenn ich gebraucht werde, wieder so zu machen.“ Wolff, weiter die Nummer eins im Team, sagte: „Ich freue mich für Joel, dass er so eine tolle Partie gespielt hat. Er hat seine Klasse gezeigt.“

Faktor Lukas Mertens

Der Linksaußen von Meister SC Magdeburg zeigte überzeugende Wurfbilder und -varianten, traf sieben Mal und war immer anspielbar. Ein herausragendes Spiel des starken 26 Jahre alten Topwerfers, der diesmal deutlich auffälliger war als Patrick Groetzki auf der anderen Seite.

Faktor Rückraum

Es gab Jahre und Titelkämpfe, da war die Kraft aus der zweiten Reihe eher nicht vorhanden im deutschen Team. Doch nun ziehen Youngster wie Julian Köster (drei Tore gegen Serbien, zwei zuvor gegen Katar) und Juri Knorr (vier und acht) Routiniers wie Kai Häfner (fünf und vier) mit. Die Varianz und Beweglichkeit von Knorr ist außergewöhnlich, die Handball-Welt hat ihn längst als eines ihrer Jahrhundert-Talente ausgemacht. Das sieht auch Gislason so: „Juri kann ein ganz Großer werden.“

Knorr erhält alle Freiheiten von Gislason, was bedingt, „dass er auch Fehler machen darf“, wobei Knorrs große Stärke laut Gislason eben darin liegt, „aus diesen Fehlern zu lernen, das ist außergewöhnlich“. Gegen Serbien bediente Knorr vor allem die Kreisläufer Johannes Golla (sechs Tore) und Jannick Kohlbacher, seinen Teamkollegen bei den Rhein-Neckar Löwen, exzellent (vier Tore). Das sind Stärken und Qualitäten, die Knorrs mehrfache Abspielfehler in der Schlussphase aufheben.

Problemzone

Nicht zu übersehen war trotz erstaunlicher Verbesserungen in der Offensive, Treffsicherheit und dem erfolgreichen Element der schnellen Mitte eine erstaunliche Offenheit im Deckungsverbund. Als Gislason es mit Köster als anlaufendem Spieler versuchte, war der Erfolg durchaus spürbar, doch dieses Element benutzten die Deutschen gegen Ende der Partie nicht mehr. Die Serben kamen immer wieder ungehindert zum Wurf – weshalb Joel Birlehm so in den Blickpunkt rückte. Diesen Malus hat Gislason am Sonntag stets angesprochen – und daran wird er im weiteren Verlauf des Turniers noch arbeiten müssen.

Die nächsten Gegner

Algerien wartet im dritten und letzten Vorrundenspiel. Selbst wenn die deutsche Mannschaft verlieren sollte, würde sie mit 4:0-Punkten in die Hauptrunde einziehen. Das gälte auch bei einem Sieg. Und dennoch sagt Gislason: „Wir möchten die Partie genauso angehen wie die ersten zwei Spiele und natürlich gewinnen.“ Gislason hat angekündigt, nicht wild durchwechseln zu wollen. Es geht ja auch darum, sich für die nächsten Gegner der Hauptrunde, die Niederlande und WM-Mitfavorit Norwegen um den Superstar Sander Sagosen, einzuspielen. Der dritte Kontrahent wird zwischen Mazedonien und Argentinien ermittelt. Das Viertelfinale erreichen der Erste und Zweite einer jeden Hauptrunden-Gruppe.

Zuspruch

Den Sieg gegen Serbien verfolgten durchschnittlich 6,27 Millionen Menschen am Sonntagabend in der ARD. Das entspricht einer Quote von 25,5 Prozent. Zum Auftakt gegen Katar hatten 4,85 Millionen Zuschauer vor den TV-Geräten zugesehen.