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Interview mit Barbara Rittner„Vor leeren Rängen zu spielen, hat Angie extrem gequält“

Lesezeit 4 Minuten
Kerber Interview

Angelique Kerber

  1. Tennis-Bundestrainerin Barbara Rittner über den Erfolg von Angelique Kerber.

Frau Rittner, als Chefin des deutschen Damen-Tennis und Bundestrainerin kennen Sie Angelique Kerber seit vielen Jahren sehr gut. Erklären Sie uns doch einmal ihre sportliche Wiederauferstehung mit dem Erreichen des Halbfinales in Wimbledon.Barbara Rittner : Ich glaube, es ist eine Kombination aus vielen Dingen. Erst einmal steckt wirklich harte Arbeit dahinter. Ich weiß, dass Angie, seit sie wieder mit Torben Beltz arbeitet, wirklich Gas gibt im Training, dass sie aber einfach in vielen engen Matches, die gar nicht so schlecht waren Anfang des Jahres, nicht das nötige Glück hatte. Da kommt das Selbstvertrauen nicht zurück. Und gerade Sandplatz, der von ihr nicht geliebte Untergrund, hat dann den Rest zur Krise beigetragen in Kombination mit Corona, dem Spielen ohne Zuschauer.

Inwiefern hat das Angelique Kerber besonders betroffen?Sie ist eine Spielern, die sehr von ihrer Leidenschaft lebt und ihrem Herz und der Atmosphäre, die von außen kommt, gerade wenn es nicht so läuft. In Zeiten von Corona vor leeren Rängen zu spielen, hat Angie extrem gequält, das betont sie auch selbst immer wieder. Dann holst du nicht die extra Prozent aus dir raus, sondern lässt dich eher in eine schlechte Phase reinfallen, zweifelst an dir selbst. Und dann fehlen einem die positiven Emotionen von außen, die einen da rausholen. Angie ist extrem sensibel und empfänglich für Atmosphäre. Sie hat ein unglaubliches Kämpferherz. Aber manchmal muss das im Verlauf einer so langen und erfolgreichen Karriere wieder geweckt werden.

Offenbar ist das passiert.Ja, das ist passiert. Sie hat schon bei meinem Turnier in Berlin richtig gut gespielt und im entscheidenden Moment gegen Victoria Azarenka noch nicht so überzeugt daran geglaubt. Darüber haben wir auch geredet. Und hier habe ihr gesagt: „Jetzt gehe nach Bad Homburg zu deinem Heim-Turnier, wo du Botschafterin bist, wo dich alle lieben. Gehe da hin und gewinne das. Aber du musst mit der Einstellung da hingehen, es gewinnen zu können.“ Sie hat einfach das perfekte Spiel auf Rasen.

Wie sieht das genau aus?Flache, lange Schläge, unglaubliche Balance auf ihren durchtrainierten Beinen. Sie kippt nie um, ist immer tief, kann unglaublich kontern und Tempo mitnehmen. Die vermeintliche Schwäche, der Aufschlag, gerade auf Sand angreifbar, ist auf Rasen keine Schwäche sondern eine Stärke, weil da ihr Linkshänder-Aufschlag mehr zum Tragen kommt.

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Barbara Rittner, Chefin des deutschen Frauen-Tennis, mit ihrer Hündin Rone

Was spricht für Angelique Kerber im Duell mit Ashley Barty, der wohl komplettesten Spielerin der Welt?Für mich ist das ein 50:50-Spiel, da wird die Tagesform entscheiden. Ashley Barty ist, um es mal so zum umschreiben, der Roger Federer des Damen-Tennis, von der Art und Weise wie sie spielt. Sie kann alles. Aber Angie ist ihr in Wimbledon in punkto Erfahrung voraus, sie hat da schon ein paarmal Halbfinale gespielt. Barty noch nicht. Und sie hat eben das Spiel mit ihren langen Schlägen. Viel wird darauf ankommen, wie gut Barty aufschlägt. Und ja, am Ende entscheidet die Tagesform. Aber natürlich traue ich Angelique Kerber den Sieg zu. Ich traue ihr genauso zu, dass sie Wimbledon gewinnt.

Sehen Sie Angelique Kerber langfristig wieder in den Top 10 der Welt?Wenn sie Wimbledon gewinnen würde, käme sie wieder ganz nach an die Top 10 ran, ich glaube auf Platz elf oder zwölf. Aber auch wenn nicht: Natürlich ist sie wieder auf dem Weg dahin. Wenn man ein Halbfinale in einem Grand-Slam-Turnier spielt, nachdem man das Turnier davor gewonnen hat und jetzt wieder den Glauben an sich hat und die Entspanntheit und die Erfahrung und die körperliche Fitness durch harte Arbeit, dann ist wieder alles möglich.

Welche Rolle spielt Trainer Torben Beltz, der Angelique Kerber 2004 als Jugendspielerin entdeckt hat und nach zwei Trennungen Mitte 2020 wieder zu ihr zurückgekehrt ist?

Das ist ein Mann, der sie in- und auswendig kennt, der es auch geschafft hat, Angie in dieser schwierigen Zeit bei Laune zu halten. Ich glaube, es hätte auch sein können, dass sie sagt: »Wisst Ihr was, ich glaube, das war’s. Diese Quälerei tu ich mir nicht mehr an.« Da hat Beltz am aktuellen Erfolg einen Riesenanteil mit dem ganzen Team, das um sie herum ist, also auch Physio und Konditionstrainer. Man muss das einfach auch mal anerkennen, dass Angelique Kerber seit 15 bis 20 Jahren tagtäglich hart an sich arbeitet, die Komfortzone verlässt, schwierige Dinge in Kauf nimmt und immer hungrig ist, zurückzukommen. Dass sie dafür jetzt noch einmal belohnt wird, freut mich so sehr, denn das hat sie sich mit Leidenschaft erkämpft nach einer großen Durststrecke, die nicht spurlos an ihr vorbeiging. Sie war zwischendurch auch niedergeschlagen. Da hat Torben Beltz tolle Aufbauarbeit geleistet. Insofern sind die einfach ein homogenes Team und ernten jetzt den Lohn für ihre harte Arbeit.