Kölner Olympia-Kletterer Jan Hojer„Das sind abgefahrene Bewegungen“
- Klettern feiert bei den Spielen 2020 in Tokio seine Olympia-Premiere.
- Der Kölner Jan Hojer ist einer von zwei Deutschen Startern.
- Im Interview erklärt er seinen Sport und spricht über Kritik von Reinhold Messner.
Köln – Herr Hojer, Sie werden im Sommer in Tokio bei der Olympia-Premiere der Kletterer dabei sein, als einer von zwei Deutschen. Bedeutet das Freude pur für Sie? Oder könnten Sie weiterhin ganz gut ohne Olympia auskommen?
Für mich persönlich stand zunächst vor allem Erleichterung im Vordergrund. Da nur zwei Athleten pro Nation in Tokio dabei sein können und Alexander Megos sich schon bei der WM qualifiziert hatte, war das echt stressig für mich.
Es gab nur noch einen Platz und den wollten Sie unbedingt haben.
Genauso wie Yannick Flohé (WM-Dritter im Bouldern 2019, 20 Jahre alt, aus Essen, d. Red.). Wir haben in den letzten Monaten viel zusammen trainiert und waren beide wirklich fit. Ich wusste vor dem Wettkampf in Toulouse, dass ich nicht nur unter die besten Sechs kommen, sondern auch bester Deutscher werden musste. Die erste, und für mich sehr wahrscheinlich auch letzte Chance, an Olympischen Spielen teilzunehmen, wollte ich auf jeden Fall wahrnehmen. Deshalb habe ich einen ziemlichen Druck verspürt und war danach erst mal vor allem erleichtert, dass es vorbei war. Mittlerweile kann ich mich richtig freuen.
Sie sind in einer Sportart groß geworden, in der Olympia all die Jahre kein Thema war. Als fest stand, dass Klettern olympisch wird, stand da für Sie auch direkt fest, dass Sie dahin wollen?
Zunächst stand fest, dass Klettern olympisch wird. Aber mit welcher Disziplin, wie das Format genau aussieht, das war lange noch unklar. Insofern hatte ich dann schon den Traum von Olympia, aber wäre die Entscheidung auf nur Lead- oder Speedklettern gefallen, wäre es für mich sehr schwierig geworden. Als fest stand, dass in Tokio eine Kombination geklettert wird, war mir sofort klar, dass ich versuchen würde, dabei zu sein.
Zur Person
Jan Hojer, geboren am 9. Februar 1992 in Köln, Profi-Kletterer. Erfolge: WM-Dritter im Bouldern und Gesamtweltcup-Sieger 2014, Europameister im Bouldern 2015 und 2017, Europameister in der Kombination, dem so genannten „Olympic Combined“ 2017, WM-Dritter in der Kombination 2018. Diese Disziplin ist ein Dreikampf aus Lead (Schwierigkeitsklettern mit Sicherung), Bouldern (ohne Sicherung) und Speed (Schnelligkeitsklettern), extra geschaffen für die Olympia-Premiere der Kletterer bei den Spielen 2020 in Tokio. Hojer holte sich Ende November nach Alexander Megos (26/Erlangen) das einzig verbliebene zweite Olympia-Ticket für einen deutschen Kletterer. 2016 war Hojer Kandidat bei der Premiere der RTL-Show „Ninja Warriors Germany“. (sro)
Ja? Sie haben dieses Olympia, das so lange nicht zum Klettern gehörte, direkt zu ihrem Traum gemacht?
Vor Olympia waren alle Kletterer gleichermaßen Wettkampf- und Felskletterer, das war alles, was uns interessiert hat. Mit Olympia wurde eine ganz große Bühne für das Wettkampfklettern geschaffen, und alle Wettkampfkletterer waren sich sofort einig, dass sie, egal wie das Format aussehen würde, versuchen wollten, sich zu qualifizieren. Das Leadklettern wird von einigen kritisch gesehen, klar, aber das war für niemanden ein Grund, es nicht zu versuchen. Jeder, der eine realistische Chance hatte, hat in den letzten drei Jahren alles auf Olympia ausgerichtet. Allein die Tatsache, dass uns diese Bühne geboten wird, hat mir schon neue Sponsoren gebracht.
Sie waren immer Boulder-Spezialist. Jetzt müssen sie in Tokio auch in den Disziplinen Lead und Speed überzeugen. Erklären Sie dem Laien doch bitte mal die Unterschiede.
Beim Bouldern wird in Absprunghöhe geklettert, die Wände sind zwischen vier und fünf Meter hoch, und es geht darum, innerhalb von fünf Minuten das Boulder-Problem zu lösen, also die Wand hoch zu kommen. Beim Bouldern ist am meisten Athletik gefragt, aber auch Koordination, da werden einem die abgefahrensten Bewegungen abverlangt. Beim Lead sind die Wände zwischen 16 und 18 Meter hoch und es wird mit Seilsicherung geklettert. Die Strecken sind sehr schwer geschraubt, viel mit Überhängen, da geht es darum, so weit wie möglich nach oben zu kommen. Da ist die Ausdauer entscheidend, man fällt aus der Route, weil man einfach platt ist und sich nicht mehr fest halten kann und die Hände auf gehen.
Fehlt noch das Speed-Klettern.
Da geht es, wie der Name schon sagt, um die Geschwindigkeit. Es gibt eine immer gleiche Route, die ist seit ungefähr zehn Jahren unverändert. Da muss man in der Qualifikation eine möglichst gute Zeit laufen und sich dann in den folgenden Runden im K.o.-System durchsetzen.
Und bei Olympia müssen alle drei Disziplinen an einem Tag absolviert werden?
Genau. 20 Athleten treten in der Qualifikation an, erst Speed, dann Bouldern, dann Lead. Und die besten acht dürfen zwei Tage später im Finale noch mal ran.
Führen Sie aktuell das typische Doppelleben eines Kletterers zwischen Fels- und Plastikwand noch? Oder ist jetzt alles Olympia und dem Plastik untergeordnet?
Vor Olympia dauerte meine Wettkampf-Saison etwa vier Monate, von April bis August, dann hatte ich viel Zeit zum Felsklettern. Dieses Jahr musste ich von April bis November Weltcup-Punkte sammeln, davor hatte ich eine lange Vorbereitung. Seit Februar war ich nicht mehr am Fels. Das ist der Preis, den wir dieses Jahr alle für Olympia zahlen mussten. Jetzt steht das Ziel fest, da werde ich nur noch ein paar Vorbereitungs-Weltcups machen und habe dadurch wieder Zeit, regelmäßiger an den Fels zu gehen.
Das ist erlaubt in der Olympiavorbereitung?
Nicht nur erlaubt, sondern auch förderlich. Es gibt gewisse technische Aspekte, die sich am Fels sehr gut trainieren lassen. Reines Plastik-Klettern ist ich vonnöten.
Heißt: Klettern am Fels ist doch noch schöner?
Für mich hat beides ganz unterschiedliche Reize und mir macht beides gleich viel Spaß. Würde ich mich auf eins konzentrieren müssen, würde mir das andere fehlen.
Es gibt diesen Satz von Bergsteiger Reinhold Messner, der sagt: „Klettern an einer Plastikwand mit Plastikgriffen? Was soll das? Jeder Affe ist schneller da oben.“ Ist das noch eine gängige Meinung in der Szene?
Man kann sicher noch Leute finden, die das genau so sehen. Ich habe schon immer beides gemacht und man muss das mittlerweile auch etwas differenzierter betrachten: Die meisten Wettkampfkletterer sind auch am Fels sehr aktiv und gleichzeitig die besten Felskletterer der Welt. Andersherum: Die besten Felskletterer am Seil, die wir zurzeit haben, sind allesamt auch bei Olympia vertreten. Das zeigt, dass sich die Disziplinen nicht so sehr unterscheiden. Zum anderen hat sich das Klettern in der Halle in den letzten Jahren als Breitensport rasant entwickelt. Viele haben das als Alternative zum Fitnessstudio entdeckt. Wenn man ein echter Felskletterer ist, kann man sich nicht vorstellen, dass Leute freiwillig auf die Natur und die Erlebnisse am Fels verzichten. Aber das Gute am Klettern ist, dass man es auf verschiedene Art betreiben kann. Jeder kann für sich heraussuchen, was ihm gefällt – und von anderen halten, was er will.