Nach Jahren der Ambitionslosigkeit scheint der junge Bundestrainer im DFB-Team eine neue Leistungskultur zu etablieren.
Kommentar zum LänderspielNagelsmann beschert der DFB-Elf ein Erweckungserlebnis
Julian Nagelsmann hat nach dem Sieg über die USA darauf hingewiesen, dass man nun auch ganz gern das zweite Spiel dieser US-Tournee gewinnen wolle. Nagelsmann hat das mit dem Charme vorgetragen, den man kennt vom noch immer erst 36-Jährigen. Nagelsmann mag es leicht ironisierend gemeint haben, stammt er doch aus einer Kultur, in der es immer nur um den nächsten Sieg geht.
Auch die Welt der deutschen Nationalelf drehte sich über Jahrzehnte ausschließlich ums Gewinnen, beinahe jede Niederlage war historisch. Doch zuletzt hatte Deutschland kaum mehr ein relevantes Spiel gewonnen. Das 1:1 gegen Spanien bei der WM in Katar galt als größter Erfolg des neuen Jahrzehnts – immerhin hatte man nicht wie im November 2020 ein 0:6 kassiert.
Drei deutsche Siege nacheinander – lang ist’s her
Jetzt sollen es also drei Siege in Folge werden. Für Nagelsmann ein natürliches Ziel. Doch der DFB-Auswahl, man glaubt es kaum, gelang das zuletzt vor zwei Jahren.
Ein wenig sind die Folgen der deutschen Ambitionslosigkeit in der Fifa-Weltrangliste abzulesen. Am Samstag spielte Deutschland als nur noch 15.-beste Mannschaft der Welt beim Weltranglisten-Elften. Einer Mannschaft, deren Spieler bereits die WM 2026 im eigenen Land am Horizont ausmachen und die einen enormen Sprung gemacht hat. Kein leichter Gegner.
Deutschland geriet sogar in Rückstand, doch kollabierte die Mannschaft nicht, sondern wurde immer stärker. Weil Abläufe griffen, weil Nagelsmann offenbar nicht nur innerhalb kürzester Zeit ein System ersonnen, sondern dieses auch überzeugend vermittelt hat. Wahrscheinlich eine Fingerübung für den neuen Bundestrainer, dessen Qualitäten als Fußball-Taktiker und -Lehrer nie infrage standen.
Doch ist die Aufgabe als Bundestrainer eine besondere, denn es gibt keinen Alltag. Dass der deutsche Kader zu mehr in der Lage ist, als in WM-Gruppenphasen zu scheitern, galt als ausgemacht, hat jedoch nie zu Konsequenzen geführt. Selbst Joachim Löw durch Hansi Flick zu ersetzen, war ja nicht die Reform, die die Nationalmannschaft so dringend benötigt hätte.
Nun hat Julian Nagelsmann dem deutschen Fußball ein Erweckungserlebnis verschafft und ein Eindruck einer Leistungskultur geschaffen, die dazu geführt hat, dass zum Beispiel İlkay Gündoğan am Samstag plötzlich so überragend Fußball spielte, wie er eigentlich immer spielt – außer eben im DFB-Trikot. Nagelsmann hat nicht nur in Gündoğans Fall Qualität aktiviert. Exakt das hat der DFB gebraucht.
Die Kultur des Nicht-Leistens, die jahrelang über der deutschen Mannschaft lag und jeden fußballerischen Strategiewechsel zum Frühstück verspeiste – sie ist einer spielerischen Frische gewichen, die nur mit Julian Nagelsmanns Wirken zu erklären ist. Der Start ist somit geglückt; die weitere Zielsetzung hat Nagelsmann ja bereits formuliert, sie ist deckungsgleich mit dem Selbstverständnis, das der Bundestrainer von sich und der deutschen Elf hat. Sie lautet so einfach wie einleuchtend: Spiele gewinnen.