Moritz Müller, Kapitän des Nationalteams, über die Gründe für den Erfolg bei der Eishockey-WM.
„Damit kann ich mich mehr identifizieren“Moritz Müller sieht Entfremdung des Fußballs als Chance fürs Eishockey
Herr Müller, gut eine Woche nach dem Finale der Eishockey-WM gegen Kanada in Tampere, das 2:5 endete – haben Sie alles verarbeitet, was dort geschehen ist? Es war der größte Erfolg der deutschen Eishockey-Nationalmannschaft seit 1930.
Moritz Müller Ja, das hatte ich währenddessen schon. Es war mir schon klar, was abgeht, was passiert ist. Spätestens, als wir im Viertelfinale die Schweiz geschlagen haben, haben wir gespürt, dass die Aufmerksamkeit groß war. Auf meinem Handy war sehr viel los, man hat gemerkt, dass immer mehr Menschen zugeschaut und unsere Spiele verfolgt haben.
Aufgefallen ist, dass Sie und Ihre Teamkollegen bei dieser WM den großen Gegnern auch spielerisch auf Augenhöhe waren. Wie kommt es zu diesem Fortschritt?
Wir hatten mit Toni Söderholm (Bundestrainer von 2018 bis 2022, Anm. d. Red) schon Phasen, in denen wir gegen die Großen sehr gut gespielt haben. Und das haben wir jetzt mit Harold Kreis fortgeführt. Und es ist uns besonders gut gelungen: Mit Scheibenbesitz und kontrolliertem Aufbau den Gegner wirklich zu bespielen. Es war für mich das Großartige an dieser WM-Silbermedaille. Wir haben gezeigt, dass wir gegen die Topteams nicht nur mitkämpfen, sondern auch mitspielen können.
Kreis musste die Mannschaft tatsächlich, wie er sagte, einfach nur spielen lassen?
Da ist er sehr bescheiden. Harry hat mit seiner angenehmen Art schon dafür gesorgt, dass alles läuft. Wir waren sehr gut vorbereitet auf die WM-Spiele, daran hat er auch großen Anteil.
Sie haben das olympische Finale gegen Russland 2018 erlebt, das 3:4 nach Verlängerung. Wie ordnen sie es im Vergleich zum WM-Endspiel gegen Kanada ein?
Ich glaube, dass wir über die Jahre gereift sind, vom Kopf her waren wir jetzt ein Stück weiter als vor fünf Jahren. Wir konnten es diesmal alle richtig einschätzen, bei Olympia mussten wir erst nach Hause kommen, erst danach hat man es richtig begreifen können, was man erreicht hat. Diesmal wussten wir, wo wir sind, was wir wollen und schaffen können.
Allerdings waren Sie 2018 näher am Sieg.
Ja, aber wir waren gegen Kanada auch nicht so weit weg. Ausschlaggebend waren kleine Fehler, die Kanada bestraft hat. Am Ende mussten wir aufmachen, das Spiel war aber lange offen. Nach dem zweiten Drittel stand es 2:2.
Die Nationalmannschaft hat in Finnland auch als Team ohne Starallüren Sympathiepunkte gesammelt, als ein Team, das nahbarer wirkt als die Fußball-Nationalelf. Ist das auch Ihre Wahrnehmung?
Ich finde, dass wir eine gute Truppe sind, dass alle mit Herz und Leidenschaft gespielt haben, dass der Sport im Vordergrund stand. Ich will keinen Vergleich zum Fußball ziehen, das sollten andere machen. Ich kann nur sagen: Da sich der Fußball etwas von der Gesellschaft entfernt hat, ist es vielleicht eine Chance für unseren Sport. Vielleicht sagen die Leute: Ich schaue mir lieber Eishockey an, damit kann ich mich mehr identifizieren.
Was bedeutet der Erfolg für Ihren Sport in Deutschland?
Man hat wieder bestätigt gesehen, was wir auch in der Spielergewerkschaft schon lange wissen: Die Speerspitze eines Sports ist die Nationalmannschaft. Wenn sie erfolgreich ist, dann gibt es überregionales Interesse, und das ist gut für den Sport. Um die Nationalmannschaft mittel- und langfristig Erfolge feiern zu lassen, muss aber mehr Nachwuchs ausgebildet und besser in die Profiligen integriert werden.
Zurzeit sind elf ausländische Profis pro DEL-Team erlaubt. Sollte das begrenzt werden?
Ich habe es schon gleich nach der WM gesagt: Man muss den deutschen Spielern in den Vereinen vor allem mehr Vertrauen geben, damit sie in Rollen hineinwachsen können. Oft holt man sich lieber noch vermeintliche Sicherheit mit einem erfahrenen Nordamerikaner, anstatt den eigenen Kräften mehr zu vertrauen. Man muss den Jungs auch mal die Chance geben, Fehler machen zu dürfen. Nur so wird der Kreis der potenziellen Nationalspieler größer.