Vor den Spielen von Bayer Leverkusen gegen seinen Ex-Klub AS Rom spricht Rudi Völler über die Glanzzeit des italienischen Fußballs und seine Liebe zur Ewigen Stadt.
Rudi Völler im Interview„Meine Liebe zu Bayer 04 ist ausgeprägter als zur AS Rom“
Herr Völler, lassen Sie uns vor dem Europa-League-Hinspiel von Bayer 04 Leverkusen bei der AS Rom über Rom sprechen. Sie haben fünf Jahre bei der Roma gespielt, ihre Frau Sabrina in Rom kennengelernt und sind 1990 in Rom Weltmeister geworden. Ihre halbe Familie ist römisch. Rom hat Sie als Menschen und Fußballer verändert.
Rudi Völler: Dass ich mich als halben Römer empfinde, hängt natürlich mit dem Familienhintergrund zusammen. Das ist doch klar. Meine jetzige Frau ist Römerin. Drei meiner fünf Kinder sind in Rom geboren. Meine Schwiegermutter ist Römerin. Sie wird mich in diesen Tagen wieder bekochen, was auch meinem Gewicht dann richtig guttut (lacht). Aber die Wahrheit ist auch, dass ich meine Frau erst nach drei Jahren als Fußball-Profi in Rom kennengelernt habe. Ich konnte zu diesem Zeitpunkt schon sehr gut alleine dort zurechtkommen und hatte mich vor allem durch meine Qualitäten als Fußballer durchgesetzt.
Sie kamen 1987 als gestandener deutscher Nationalspieler in diese Weltstadt. Was hat das mit Ihnen gemacht?
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Ich empfand den Wechsel als großes Glück, es war eine Auszeichnung, denn anders als heute war die Serie A damals das Maß aller Dinge. Heute schwebt die Premier League über allem, daneben haben wir in Deutschland, Italien, Spanien und bedingt auch Frankreich Ligen, in denen talentierte Spieler den finanziellen und sportlichen Hintergrund für Top-Fußball vorfinden. In den 80er- und 90er Jahren war das anders. Da war die Serie A das Nonplusultra. Es gab Real Madrid und Barcelona in Spanien, Es gab Paris St.-Germain und Marseille in Frankreich und es gab in England Liverpool und Manchester United. Aber alle wollten nach Italien. Ian Rush, die Liverpooler Torjäger-Legende, ist zu Juventus gewechselt, weil die besten Spieler in Italien spielen wollten.
Deutsche Profis haben in Italien eine große Rolle gespielt, die Weltmeistermannschaft von 1990 spielte irgendwann fast geschlossen in Italien.
Schon 1984 war Kalle Rummenigge zu Inter Mailand gewechselt und Hans-Peter Briegel nach Verona. 1988 gingen Lothar Matthäus und Andreas Brehme und 1989 Jürgen Klinsmann zu Inter Mailand. Dann wechselten Stefan Reuter und Jürgen Kohler zu Juventus Turin, Kalle Riedle und Thomas Doll sind zu Lazio Rom und Thomas Häßler kam erst zu Juventus und dann zur AS Rom. Und damals durften pro Team nur drei Ausländer spielen. Deshalb war es eine große Auszeichnung, von der Serie A gerufen zu werden, wo Weltstars wie Maradona, Zico, Gullit, van Basten und Rijkaard spielten.
Warum wurde es bei Ihnen 1987 AS Rom? Immerhin waren Sie schon 1983 deutscher Fußballer des Jahres und Torschützenkönig der Bundesliga.
1984 hatte ich persönlich nach meinem Empfinden eine gute EM gespielt, damals noch unter Jupp Derwall. Wir sind zwar nach drei Vorrundenspielen mit zwei Toren ausgeschieden. Aber die habe beim 2:1 gegen Rumänien beide ich erzielt. Und da kamen ganz tolle Angebote aus Italien und Spanien. Aber ich war 24 Jahre alt. Es war damals noch nicht so, dass es einen in dem Alter unbedingt in die Welt hinaus zog. Ich wollte noch in Bremen bleiben. Deshalb bin ich erst 1987 gewechselt. Einige namhafte Klubs wollten mich haben, zum Beispiel der AC Florenz. Ich habe mich dann aber für die Roma entschieden, und das war eine der besten Entscheidungen, die ich in meinem Leben getroffen habe.
Sie wurden dort zum Publikumsliebling. Das wirkt bis heute nach. Sie haben sich offenbar schnell an die Kultur angepasst und gut Italienisch gesprochen.
Ich habe tatsächlich recht schnell Italienisch gelernt, aber ab und zu musst du auch mal einen Ball über die Linie schieben, um die Fans auf deine Seite zu ziehen. Das Sportliche war die Basis. Das ist immer so. Ich hatte ein schwieriges erstes Jahr. Ich hatte mich gleich am Anfang verletzt, wurde fitgespritzt, habe schlecht gespielt. Und dann wäre ich 1988 fast wieder in die Bundesliga zurück gewechselt zu Eintracht Frankfurt. Aber der damalige Präsident Dino Viola sagte: „Du bleibst hier, wir glauben an dich.“ Und die vier Jahre, die danach folgten, waren super. Ich war in der Blüte meines Schaffens.
Es war also vor allem der Fußball, der Sie zum Römer gemacht hat.
Natürlich ist solch eine Zeit im Ausland ein großes Lebensabenteuer. Auch wirtschaftlich war das ein großer Schritt für mich. Aber das Wichtigste war tatsächlich die sportliche Herausforderung. Man wollte damals einfach in Italien spielen. Viele Jüngere können das heute nicht mehr nachvollziehen. Aber die Serie A war eine Weltauswahlliga. Beim AC Mailand haben die drei Super-Holländer gespielt. In Neapel hat Maradona gespielt. Die besten Spanier und Südamerikaner haben in Italien gespielt. Und die Stadien waren voll.
In der Bundesliga war das in den 80ern ja nicht so. Wenn wir mit Werder Bremen im Münchner Olympiastadion angetreten sind, verloren sich da oft 25 000 Zuschauer. Heute haben die Hamburger in der Zweiten Liga die Bude mit 60 000 Fans ausverkauft. Aber in Italien war die Euphorie damals schon riesig. Bei meinem ersten Training in Rom waren 5000 Zuschauer anwesend. Ich konnte das nicht fassen. Aber es war da normal.
Wie Rudi Völler im Jahr 2004 für 26 Tage Trainer der AS Rom wurde
Italien erlebt gerade eine fußballerische Renaissance. Fünf Klubs sind in den Halbfinals des Europapokals vertreten, Inter und AC Mailand bilden ein Halbfinale der Champions League.
Das ist schön für die Italiener, sie feiern sich auch ein wenig selbst dafür, aber ich glaube, das ist auch ein wenig der Premier League geschuldet, weil Klubs wie Liverpool und Chelsea schlechte Phasen hatten und schwächeln. Und die mit Abstand beste Mannschaft, die SSC Neapel, die so früh Meister geworden ist wie kein Team in den letzten Jahrzehnten, ist gar nicht mehr dabei. Ausgeschieden gegen den AC Mailand. Trotzdem Hut ab vor den Italienern. Sie haben die Chance, in eine Mannschaft in jedes Finale zu bekommen. Aber das waren günstige Umstände. Das wird sich in den nächsten Jahren nicht so wiederholen.
Wie stark ist ihre Verbindung zur AS Rom aktuell?
Vor zehn Jahren gab es noch relativ viele in der Klubführung, die ich gut kannte. Inzwischen hat sich das relativiert. Aber es gibt eine ganz feste Größe bei der Roma, das ist Bruno Conti. Mit ihm habe ich noch zusammengespielt. Und ab und zu sieht man sich. Er ist immer noch im Klub aktiv. Aber die Liebe zur Stadt bleibt natürlich. Und wenn ich nach der Ankunft in Rom in ein Taxi steige, kennen mich die meisten Taxifahrer noch. Das ist immer ein gutes Zeichen (lacht). Wenn du dort erfolgreich gespielt und dich gut verhalten hast, vergessen das die Römer nicht.
Sie waren im Herbst 2004 für 26 Tage Trainer der AS Rom. Was war da eigentlich los?
Nach der EM 2004 und meinem Rücktritt als Teamchef fühlte ich mich ein bisschen kaputt und wollte eigentlich etwas Abstand gewinnen. Trotz einiger Anfragen aus der Bundesliga und dem Ausland hatte ich entschieden, erst einmal nichts zu machen. Es gibt allerdings Umstände, bei denen ich nicht Nein sagen kann, so wie es jetzt auch beim DFB war. In Rom war damals Cesare Prandelli Trainer, der später italienischer Nationaltrainer wurde. Dessen Frau erkrankte schwer, weshalb er sein Amt von einem Tag auf den anderen niederlegte. Die Saison hatte gerade erst begonnen, es war eine außergewöhnliche, sehr schwierige Situation für den Verein.
Und so rief mich also der damalige Roma-Präsident einige Male an, danach auch noch die Klub-Legende Francesco Totti, seinerzeit der wichtigste Spieler. Meine Frau war eigentlich dagegen und sagte: „Du brauchst die Pause.“ Am Ende habe ich es doch gemacht, wir haben auch das erste Spiel gewonnen. Nach ein paar Wochen habe ich aber erkannt: „Ihr braucht einen, der sich hier richtig auskennt, einen Italiener.“ Obwohl wir gar nicht so schlecht standen in der Tabelle, habe ich dann aufgehört und bin nach Leverkusen zurückgekehrt. Man sollte eben hin und wieder doch mal auf die Frauen hören (schmunzelt).
Bayer 04 Leverkusen hat in diesen beiden Duellen mit der AS Rom eine große Chance. Es gibt den Einzug in ein Europapokal-Finale zu gewinnen.
Es gibt im deutschen Fußball wohl kaum jemanden, der in einem Verein all diese wichtigen Funktionen bekleidet hat, die ich hier innehatte. Ich war hier Spieler, Kapitän, Sportdirektor, zweimal Interimstrainer und sportlicher Geschäftsführer. Allzu oft kommt das nicht vor. Deshalb sind meine Liebe und Nähe zu Bayer 04 sicherlich nachvollziehbar etwas ausgeprägter als zur AS Rom, obwohl ich den Römern immer alles Gute wünsche. Aber was uns nachhängt: Wir haben zu wenige Titel. Um die Jahrtausendwende waren zwei, drei Jahre dabei, in denen wir hätten Deutscher Meister werden müssen.
Es war eigentlich fast unmöglich, nicht Meister zu werden. Das hängt uns immer noch nach. Die aktuelle Vorrunde war natürlich nicht gut, aber unter Trainer Xabi Alonso haben wir die Kurve gekriegt, Fernando Carro und Simon Rolfes haben Ruhe reinbekommen in den Klub. Und jetzt hat man das Gefühl, dass wir einfach mal dran sind.