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Skisprung-Bundestrainer im InterviewStefan Horngacher: „Die Vierschanzentournee ist der Wahnsinn“

Lesezeit 6 Minuten
Mann mit Mütze und Fahne: Skisprung-Bundestrainer Stefan Horngacher.

Mann mit Mütze und Fahne: Skisprung-Bundestrainer Stefan Horngacher.

Stefan Horngacher (54) über den bevorstehenden Saisonhöhepunkt, den Aufschwung der deutschen Athleten und ihre Chancen auf den vier Schanzen.

Herr Horngacher, in den acht Weltcup-Veranstaltungen dieses Winters haben Ihre Athleten bisher auffallend stark abgeschnitten. Es gab drei Siege, zwei durch Karl Geiger, einmal gewann Pius Paschke. Hinzu kamen sieben weitere Podestplatzierungen, für die auch Andreas Wellinger und Stephan Leyhe verantwortlich waren. So gut waren deutsche Skispringer schon lange nicht mehr. Worauf fußt diese aktuelle Stärke?

Stefan Horngacher: Wir haben viele Dinge verändert, dazu hatten wir auch allen Grund, weil die vorherige Saison absolut nicht unseren Erwartungen entsprochen hat. Es gibt neues Personal im Team meiner Assistenztrainer und der Physiotherapeuten. Wir haben zudem die Trainingsgruppen etwas umgewandelt. Wir haben zwei, drei Athleten aus dem A-Team ins B-Team versetzt. Umgekehrt haben wir nun Springer im A-Team dabei, die sich im B-Team empfohlen haben. Dabei ist eine erstaunliche Dynamik im System entstanden.

Sie sprachen Ihr Trainerteam an, zu dem für den Nachwuchs nun auch wieder ihr Vorgänger Werner Schuster gehört. Wie wirken sich diese Neuerungen auf die Leistungen aus?

Werner Schuster hat zurzeit mit den Spitzenbereich nicht so viel zu tun als Cheftrainer für den Nachwuchs. Aber wir arbeiten sehr gut zusammen und tauschen uns regelmäßig aus. Wir haben nun mit Ronny Hornschuh, der zuletzt die Schweizer Springer gecoacht hat, einen extrem innovativen Trainer für die Leitung des B-Kaders gewonnen. Gleichzeitig hat uns Bernhard Metzler in Richtung Österreich verlassen, den wir durch Andreas Mitter nachbesetzt haben, der vorher für den B-Kader verantwortlich war. Diese Veränderungen haben uns einen Schub von Neuheiten verpasst, inklusive anderen Methoden und Ideen, die wiederum auch eine Dynamik provoziert haben. Das hat sich auf jeden Fall bezahlt gemacht.

Nach der schwachen Vorsaison gab es starke Kritik nicht nur an den deutschen Springern, sondern auch an Ihnen. Wie haben Sie diese Wortmeldungen wahrgenommen?

Das war eine nicht so einfache Zeit, auch für mich als Trainer. Wenn die Leistungen nicht stimmen, beginnt das ganze Team nachzudenken: Was machen wir denn jetzt? Dabei hat jeder eine Idee, was wir man machen könnten. Das war nicht so einfach. Speziell nach der Saison den Laden neu zu ordnen, war schwer. Am Ende des Tages haben wir aber gemeinsam die richtigen Lösungen gefunden und die Teams haben sich eingespielt.

Erfolgreiches deutsches Quartett: Karl Geiger, Andreas Wellinger, Stephan Leyhe und Pius Paschke (von links).

Erfolgreiches deutsches Quartett: Karl Geiger, Andreas Wellinger, Stephan Leyhe und Pius Paschke (von links).

In einer Zwischensaison wie dieser, in der es weder Weltmeisterschaften noch Olympische Spiele gibt, bildet die am kommenden Freitag in Oberstdorf beginnende Vierschanzentournee den wichtigsten Saisonhöhepunkt. Deutsche Springer aber gewannen seit 2002 nicht mehr diese Serie. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Letztlich lässt es sich auf eine Formel bringen: Für uns zum ungünstigsten Moment war ein anderer Springer schlicht besser. Deutsche Athleten sind in dieser Zeit des Öfteren auf Platz zwei gelandet, Severin Freund etwa, dazu Andreas Wellinger, Markus Eisenbichler oder Karl Geiger. Für deutsche Skispringer ist es allgemein sehr schwierig, weil die Serie für sie mit einem Heimspiel in Oberstdorf beginnt. Vor vollem, lautstarkem Haus und mit sehr hohen Erwartungen. Das erzeugt einen enormen Druck. Dann geht es weiter nach Garmisch-Partenkirchen, da ist das Paket aus Erwartungen und Druck nicht kleiner, im Gegenteil. Erst danach geht es ja auf den Schanzen von Innsbruck und Bischofshofen in Österreich weiter, da stehen dann die österreichischen Springer im Fokus. Springer anderer Nationen fällt die Tournee daher eventuell leichter, beziehungsweise, sie können tatsächlich den einzelnen Weltcup sehen und nicht so sehr das große Ganze. Aber das klingt jetzt nach einer Ausrede, die es gar nicht sein soll. Wir stellen uns mit positiven Gedanken der Herausforderung. Wir haben in diesem Winter ein wirklich kompaktes, starkes Springer-Team dabei und damit eine gute Ausgangsposition. Allerdings gibt es mit dem Österreicher Stefan Kraft einen ganz vorne, der alles niedermäht und sich in einer Überform befindet – er hat in dieser Saison ja schon fünf Siege in acht Springen erreicht. Ihn bei der Tournee zu schlagen, wird schwierig werden. Es kommen aber gewiss noch zwei, drei andere Top-Springer aus anderen Nationen dazu. Das war zuletzt immer so.

Zurzeit ist Andreas Wellinger schon richtig gut in Form, schafft es aber noch nicht, so stabil zu sein, dass jeder Sprung mit einer Topweite endet
Stefan Horngacher

Welchem Ihrer Springer trauen Sie bei der aktuellen Tournee am meisten zu?

Ein Erfolg bei einer Reise über so unterschiedliche Schanzen hängt von unglaublich vielen Faktoren ab, der Wind ist nur einer davon. Zurzeit ist Andreas Wellinger schon richtig gut in Form, schafft es aber noch nicht, so stabil zu sein, dass jeder Sprung mit einer Topweite endet. Ich könnte mir aber vorstellen, dass er nach der Weihnachtspause und der Ruhe, die er da gefunden hat, bei der Tournee in einen Flow kommen kann. Karl Geiger hat sich zu Beginn der Saison schwergetan, er hat sich aber immer mehr in die Thematik eingearbeitet und schon beide Springen in Klingenthal Anfang Dezember gewonnen. Er weiß also auch, wie es geht. Pius Paschke, unser Überraschungsmann von 33 Jahren, schwimmt als Sieger von Engelberg am Samstag vor Weihnachten ganz oben auf der Euphoriewelle, auch ihm traue ich viel zu. Das sind schon mal drei Kandidaten aus meinem Team. Doch wer von dem Trio die Nase vorn haben wird, kann ich nicht sagen.

Wie nehmen Sie die Tournee wahr? Sie waren ja als Springer dabei und sind es nun als Trainer. Was macht den Reiz dieser Veranstaltung aus?

Die Tournee ist Tradition. Sie ist der Wahnsinn in Bezug auf die Stimmung, die die Zuschauer in den vollen Stadien entfachen. Dort gibt es im Vergleich zu anderen Weltcupspringen fast das Dreifache an Medienpräsenz. Das ist eine große Herausforderung für uns Trainer und die Athleten. Aber: Es macht auch richtig Spaß dass Skispringen in solch einem Fokus steht.

Welchen Stellenwert hat die Tournee für Sie im Vergleich zu Weltmeisterschaften oder Olympischen Spielen?

Im Skispringen ist die Tournee für mich ganz vorne. Weltmeisterschaften und Olympische Spiele sind natürlich auch extrem wichtige Wettkämpfe, aber die Tournee ist einfach der Wahnsinn. Sie ist das große Skisprung-Ereignis des Jahres. Sie hat sich zudem stetig weiterentwickelt und ihre Popularität immer noch gesteigert. Das tut unserem Sport richtig gut.

Wen haben Sie diesmal als Siegkandidaten auf der Rechnung?

Stefan Kraft ist schon der Topfavorit. Aber ich finde, dass auch der Japaner Ryoyu Kobayashi gerade sehr, sehr gut springt. Er kann sich gewiss noch steigern und in die Aufgabe hineinfuchsen. Hinzu kommt für mich auch der Slowene Anze Lanizek und gewiss ein, zwei Norweger. Die Top-Springer aus Polen sollte man auch immer auf der Rechnung haben. Und dann sind wir ja auch noch da. Es kann aber durchaus sein, dass der eine oder andere über Weihnachten den Heiligen Gral gefunden hat. Und danach allen um die Ohren springt.

Ihr Vertrag läuft am Ende der Saison aus. Gibt es Ihrerseits schon eine Tendenz, ihn zu verlängern?

Es gibt auch andere Möglichkeiten, in einem Verband zu arbeiten. Das muss ja nicht immer der Job des Bundestrainers sein. Ich möchte aber schon im Deutschen Ski-Verband bleiben. Da fühle ich mich wohl. Er ist auf meiner Sicht bestens aufgestellt. Ich werde diese Saison konzentriert weiterarbeiten – und dann setzen wir uns zusammen. Es stehen ja auch Weltmeisterschaften und 2026 auch schon wieder Olympische Spiele an – sehr reizvoll, muss ich sagen.