Snooker-WMEin Deutscher wird mit 30 Jahren zum König der Schiedsrichter
- Marcel Eckardt leitet als jüngster Referee aller Zeiten ein WM-Finale.
- Unsichtbarkeit, Lautlosigkeit und Kontrolle über das Geschehen sind die Ideale des Thüringers.
- Der Referee will den Job mit Frack und Fliege sein ganzes Leben lang ausüben.
Köln – Marcel Eckardt sieht immer aus, wie aus dem Ei gepellt. Das weiße Hemd, der Smoking, die Fliege und ein Scheitel wie mit dem Laser gezogen begleiten den Thüringer bei seiner Arbeit auf Schritt und Tritt. Marcel Eckardt ist einer von 15 hauptberuflichen Snooker-Schiedsrichtern der Welt. Als erster Deutscher darf er am Wochenende das WM-Finale im Crucible Theater von Sheffield leiten, dem Allerheiligsten dieser britischen Variante des Billard, die seit Jahrzehnten durch den Spartensender Eurosport auch in deutschen Wohnzimmern heimisch ist. Die Leitung dieses Finales, das sich über zwei Tage und maximal 35 Einzelspiele (Frames) hinzieht, ist der inoffizielle WM-Titel für einen Snooker-Schiedsrichter. Nie ist er einem Jüngeren verliehen worden als dem 30-Jährigen.
Marcel Eckard war 15, als er sein erster Snooker-Spiel im Fernsehen sah. Nicht die Fähigkeiten der Profis im Durcheinander der bunten Bälle beeindruckten ihn am tiefsten. Es war der Schiedsrichter, der im Stil eines Butlers aus viktorianischer Zeit für den Fortgang der Partie sorgte, indem er die gelochten farbigen Bälle immer wieder von den Taschen zurück auf den Tisch legte, auf Verlangen der Spieler unsichtbare Staubspuren vom weißen Spielball putzte, ihnen, wenn nötig, die Hilfs-Queues reichte und bei Fouls vor allem durch Gedächtnisleistung das vorherige Spielbild wiederherstellte.
"Die Unsichtbarkeit, das Agieren im Hintergrund fasziniert mich"
„Ich war damals online schon in Snooker-Communities unterwegs, und es kamen immer wieder Regelfragen auf. Da habe ich gemerkt, dass es mir viel Spaß macht, anderen Leuten die Regeln zu erklären“, sagt Eckardt im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Mit 18 hat er seinen ersten Schiedsrichterlehrgang besucht. „Danach gab es kein Halten mehr“, sagt Eckardt, der heute in Berlin lebt, wenn er nicht mit dem internationalen Snooker-Zirkus um die Welt fliegt.
Für seine eigene Karriere als Pool-Billard-Spieler in Gera war bald keine Zeit mehr. Eckard fuhr tausende Kilometer durch Deutschland, um bei nationalen Turnieren auf sich aufmerksam zu machen. 2010 ergab sich die große Chance. Die Welt-Tour expandierte und benötigte mehr Schiedsrichter. Marcel Eckard schaffte mit 20 Jahren, was deutschen Spielern aufgrund des massiven Standortnachteiles noch nie dauerhaft gelungen ist: Den Aufstieg in die Main Tour.
Marcel Eckardt fasziniert es, Zeremonienmeister „im fairsten Sport der Welt“ zu sein, wie er Snooker nennt. Es gehört zur Spieler-Etikette, Regelverstöße, die außer ihnen niemand sieht, sofort freiwillig zu melden, was bei so genannten „Kleiderfouls“ oder minimalen unzulässigen Ball-Berührungen des Queues häufig vorkommt. Niederlagen sind mit stoischem Gleichmut zu ertragen. Sein bislang größtes Spiel leitete Marcel Eckardt 2018 im Finale der UK Open, die als Teil der Triple-Crown-Serie zu den ganz großen Turnieren zählt.
Hier stand er einmal mehr viele Stunden lang an der Seite des Snooker-Gottes Ronny O’Sullivan, der beim laufenden WM-Turnier in Sheffield im Halbfinale dem dreifachen Weltmeister Mark Selby gegenübersteht. Einem von beiden wird der Deutsche im Finale begegnen. O’Sullivan, der Rockstar des Snooker, ist für sein aufbrausendes Ego berüchtigt. „Er hat schon eine besondere Aura“ sagt Eckardt, der mehr als 50 Spiele des genialen Engländers geleitet hat, „man muss sich an ihn gewöhnen, dann ist es möglich, eine angenehme Ebene zu finden.“
Marcel Eckard wirkt wie ein Mensch, der seine Berufung gefunden hat. Sein Schiedsrichter-Ideal beschreibt er unaufdringlich selbstbewusst so: „Es ist diese Form der Unsichtbarkeit, das Agieren im Hintergrund, das mich schnell fasziniert hat. Nur aufzutauchen, wenn es wirklich notwendig ist, besonnen mit Situationen umzugehen, die Konzentration nicht zu verlieren, nicht hektisch zu werden. Emotionen sind in diesem Beruf nicht angebracht. Die helfen da nicht weiter.“
Die Nominierung für das WM-Finale in Sheffield ist für Marcel Eckard der Ritterschlag. Sein Ziel ist aber noch größer: „Was ich am meisten will, ist: Das, was ich jetzt mache, mein ganzes Leben lang machen zu können. Diesen Beruf zu ergreifen, war eine Lebensentscheidung. Er ist meine Leidenschaft.“