TennisBundestrainerin Barbara Rittner prophezeit langes Warten auf Top-Tennis
- Die Kölnerin an der Spitze der DTB-Frauen sieht auch Chancen in der Krise
- Profis jenseits der Position 150 in den Weltranglisten machen schwere Zeiten durch
- Die Auszeit durch Corona nutzt die Rheinländerin zu Hause zur Entschleunigung
Köln – Frau Rittner, das Welttennis steht still. Wie gehen Sie damit um?Ich mache mir über einige Dinge Gedanken, auch abseits des Tennissports. Es ist ein Fakt, dass bis 7. Juni weder im Erwachsenenbereich, noch im Jugendbereich Turniere stattfinden werden. Als Hauptverantwortliche für das deutsche Frauen-Tennis habe ich den besten Nachwuchsspielerinnen Konditionspläne an die Hand gegeben, nach denen sie zuhause trainieren können und sollen. Ich habe die ganze Zeit gesagt: Wir bräuchten mal eine Phase, in der sie nicht ausbrechen können, weil sie einerseits in die Schule gehen müssen oder Turniere spielen wollen. Wir bräuchten mal vier bis sechs Wochen, in denen sie körperlich arbeiten und einen Konditionsblock haben. Das können jetzt alle, es gibt keine Ausreden mehr. Die Schule stört nicht. Alleine laufen ist erlaubt. Diese zwölf bis 15 Mädchen, das verspreche ich mir, werden körperlich fitter aus der Phase herausgehen als sie vorher waren. Das ist wenigstens mal etwas Positives.
Das Spiel mit dem Ball ist aber verboten.Trainieren können sie natürlich nicht, alle Leistungszentren und Plätze sind momentan geschlossen. Ich finde es auch richtig, dass man einen resoluten Einschnitt macht und sich an die Ratschläge der Virologen hält. Natürlich erhoffen wir uns dann auch für Kader-Athleten, dass sie unter gewissen Voraussetzungen in einigen Wochen anfangen können, in Leistungszentren in kleinen Gruppen wieder zu trainieren. Ohne Training in der eigenen Sportart, gerade bei Jugendlichen, gibt es natürlich kaum Entwicklung. Zu unseren Profispielerinnen halte ich schriftlich oder telefonisch ständigen Kontakt. Für Angelique Kerber und Andrea Petkovic ist es sogar ein kleines Glück, dass sie ihre Verletzungen ohne Zeitdruck in Ruhe auskurieren und dann irgendwann fit in die Tour einsteigen können. Aber jeder muss gerade seinen eigenen Weg finden.
Im Tennis begegnen sich die Spieler höchstens am Netz oder bei Seitenwechseln. Man könnte nahezu garantieren, dass es keine direkte Ansteckung gibt.Meine laienhaften Gedanken gehen auch in diese Richtung. Gerade, wenn das Wetter besser wird und man draußen spielen kann, glaube ich, dass man dann relativ schnell im Gegensatz zum Mannschaftssport ins Training einsteigen kann. Da sind wir als Einzelsportart besser dran, ich hoffe, dass ich damit richtig liege. Auf der anderen Seite sind wir ein globaler Sport, und bevor man wieder internationale Turniere spielen kann um Weltranglistenpunkte, dann muss, wenn man fair sein will zu allen, die ganze Welt erst wieder in Ordnung sein. Wenn in einem Land wie den USA oder in Spanien Quarantäne wäre, könnten wir kein Turnier veranstalten. Das wäre ja Wettbewerbsverzerrung. Man könnte Show-Turniere machen um Preisgeld, aber nicht um Weltranglistenpunkte. Ganz am Ende wird entscheidend sein, wann ein Impfstoff gegen Corona einsetzbar ist.
Die Macher der French Open in Paris haben ihr Turnier kurzerhand auf den Termin 20. September bis 4. Oktober 2020 verschoben. Wie finden Sie das?Das war ein absolutes Unding, und die ganze Tennis-Szene ist entsetzt über diesen egoistischen Alleingang der Franzosen. Als ich das gehört habe, habe ich gedacht: Das kann ja gar nicht sein. Das war ein Alleingang, für den sich die französische Tennis-Federation und Roland Garros erst einmal bei allen entschuldigen müssten. Wo ist da die Solidarität und die Rücksichtnahme den anderen Turnieren gegenüber?
In Berlin sollte im Juni ein neues Rasen-Turnier stattfinden, dessen Turnierdirektorin Sie sind.Wir haben da tatsächlich ein Riesenglück. Unser Titelsponsor Bett 1 sieht dieses Turnier als langfristiges Projekt über mehrere Jahre. Sollte es abgesagt oder verschoben werden, bedeutet das für uns nicht das Ende, bevor es überhaupt angefangen hat. Wir haben schon viel Arbeit und Herzblut in dieses Turnier gesteckt. Es wäre supertraurig, wenn das jetzt abgesagt würde. Aber es wäre nicht existenziell. Insofern bin ich zwar angespannt, aber doch entspannt. Ich glaube, die Chancen, dass dieses Turnier im Juni erstmals ausgetragen wird, sind eher gering. Aber das ist alles erst einmal zweitrangig.
"Spieler jenseits der Top 200 haben derzeit keinen Arbeitsplätze"
Profi-Tennis gilt als Sport der Reichen, die Existenznöte nicht kennen.Von den Top zehn oder 20 der Weltranglisten brauchen wir nicht zu reden, die haben ausgesorgt. Ich glaube auch, dass die Spieler und Spielerinnen unter den besten 100-150 genug zurückgelegt haben und jetzt ohne allzu große Sorgen ein paar Monate Verdienstausfall verkraften können. Aber die Weltranglisten gehen ja bis in die Position 1000 rein, und da sind viele Spielerinnen und Spieler, die gerade erst Profi geworden sind oder an Position 400, 500 stehen. Die leben sozusagen von der Hand in den Mund und sind darauf angewiesen, dass diese Einkünfte fließen, die sie auf kleinen Turnieren erspielen. Sie verdienen gerade null. Spieler jenseits der 200 haben im Moment keine Arbeitsplätze.
Neben allem sind Sie auch Rheinländerin und Kölnerin. Wie erleben Sie diese Tage zu Hause?Ich bin mit meinem Hund „Rone“ alleine zu Hause in einer sehr schönen Wohnung mit Blick auf den Rhein. Ich komme mal dazu, zu entschleunigen. Das ist ein Luxus, den ich so nicht kenne und der mit gerade sehr guttut. Ich verdiene als Selbstständige zwar im Moment kein Geld, aber ich habe so ein Polster, dass ich keine existenziellen Ängste haben muss. Das ist ein Privileg, das ich sehr zu schätzen weiß. Es gibt so viele, die nicht ruhig schlafen und nicht wissen, wie es weitergeht. Ich gehe für ältere Nachbarn einkaufen, ich wäre auch für einen Solidaritätsfonds. Ich versuche mit kleinen Dingen, meinen Teil für die Allgemeinheit beizutragen.