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Tennis-KriseBundestrainerin kritisiert Nachwuchs – „Unsere Kinder sind sehr verwöhnt“

Lesezeit 3 Minuten
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Barbara Rittner (re.) mit ihrer Musterschülerin Angelique Kerber.

  1. Die Tennis-Bundestrainerin Barbara Rittner kritisiert fehlende Leistungsbereitschaft in der Jugend.
  2. Ihr Vorwurf: Die Jugendlichen wollen ihre Komfortzone nur ungern verlassen. Für Rittner auch ein speziell deutsches Phänomen.
  3. Sie sagt: „Ich muss mich quälen und über Grenzen gehen können. Sonst kann ich keinen Leistungssport machen."

Köln – Die kommenden zwei Wochen verbringt Barbara Rittner im Grünen. Die Bundestrainerin und Chefin des deutschen Frauen-Tennis überwacht das Treiben ihrer Spielerinnen in Wimbledon. Eine spannende Geschichte mit unabsehbarem Ausgang.

Einerseits zählt Angelique Kerber als Vorjahressiegerin automatisch zu den Favoritinnen des Traditionsturniers der Rasen-Heiligtums. Andererseits ist das Feld der Favoritinnen so weit wie nie. „Ein Kreis von 15 bis 20 Spielerinnen kann Wimbledon gewinnen. Es gibt nicht mehr die Top 3, für mich gibt es die Top 20“, sagt Barbara Rittner dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Zudem erwies sich die Auslosung als knifflig.

„Kinder wollen ungern ihre Komfortzone verlassen“

Im Achtelfinale könnte die 31-jährige Kielerin wie im Endspiel des Vorjahres auf die US-Amerikanerin Serena Williams treffen. Im Viertelfinale wäre ein Aufeinandertreffen mit der australischen French-Open-Gewinnerin und Weltranglisten-Ersten Ashleigh Barty möglich.

Dennoch bleibt die 31-Jährige die einzig große Hoffnung im deutschen Frauen-Tennis. Das sagt viel über ein strukturelles Problem, mit dem Rittner zu kämpfen hat. „Wir haben heute im deutschen Frauentennis einen Generationswechsel. Die goldene Generation um Angie Kerber, Andrea Petkovic, Julia Görges und Sabine Lisicki, die alle in den Top 15 standen, kommen langsam in den Herbst ihrer Karriere. Dahinter ist eine Riesenlücke, die in den letzten Monaten eher größer als kleiner wird.“

„Wenn ich eine 15-Jährige hart anfasse im Training, rufen die Eltern an“

Es wäre ihre Aufgabe, deutsche Talente an die Weltspitze heranzuführen. Aber Rittner sieht sich da im internationalen Vergleich benachteiligt. „Es ist ein gesellschaftliches Problem, dass unsere Kinder sehr verwöhnt sind. Sie wollen nur ungern ihre Komfortzone verlassen“, erklärt die Bundestrainerin im Gespräch mit dieser Zeitung. „Das ist nicht nur im Tennis so, sondern überall. Auch im Fußball. Die Kinder tun sich schwer, sich auf eine Sache zu konzentrieren. Die Ablenkung vor allem über die sozialen Medien ist diesen groß Wenn ich als Trainerin eine 15-Jährige mal hart anfasse im Sinne von: hart belaste im Training, habe ich direkt einen Anruf von den Eltern.“

Das sei in Ländern wie Tschechien, Polen, Russland, die massenweise junger Top-Spielerinnen produzieren, ganz anders. Dort verlassen Jugendliche früh die Schule und setzen alles auf eine Karte, da können die deutschen Talente kaum aufholen. Das führe zu Frustrationen und frühzeitiger Aufgabe der Karriere. Für Rittner auch ein speziell deutsches Phänomen.

„Das ist eine ganz andere Belastbarkeit als früher, sowohl mental als auch körperlich. Und das ist ein Spiegelbild unserer Gesellschaft. Ich spreche das offen aus. Wenn Jugendliche nicht diszipliniert, konzentriert und fokussiert an Dingen arbeiten und nicht mehr die Komfortzone verlassen, erreichen sie nichts und werden nicht gut. Ich muss mich quälen und über Grenzen gehen können. Sonst kann ich keinen Leistungssport machen.“