Was bedeutet „Hut“?Die illustren Sprach-Codes des American Football
Beim First Down stehen die Offense Liner an der Line of Scrimmage der Defense Line gegenüber. Der Center snapt den Ball ins Backfield, sobald der Quarterback das Signal gibt: “Hut!” - wie bitte?
Football ist ein amerikanischer Sport und wer keine Anglizismen mag, stolpert hier bereits sehr schnell. Auf Deutsch übersetzt: Beim ersten Versuch stehen die Offensivspieler an der Startlinie den defensiven Spielern gegenüber. Der “Center”, der Spieler der auf der mittleren Position in der Angriffslinie steht, spielt den Ball zwischen den eigenen Beinen zurück zum Quarterback, dem Spielmacher, sobald dieser das Startsignal gibt: “Hut!” Moment, aber was soll das eigentlich heißen? Wieso ist das Startsignal nicht “Now!” oder “Go”?
Wieso hielt sich der Vorgänger „Hike“ nicht?
Seit den 1950er Jahren hört man im professionellen Football kein anderes Startsignal. Selbst der Vorgänger des “Hut”-Rufes, “Hike”, ist mittlerweile völlig aus der Mode gekommen. Eingeführt hatte es John Heisman in den 1890ern. Heisman bemühte sich stets um Innovationen für den Sport, teilte erstmals das Spiel in Viertel und machte den Vorwärts-Pass populär. Bis dahin kommunizierten Quarterback und Center durch Gesten oder Berührungen miteinander, was es dem Rest des Teams aber schwer machte, den exakten Moment des Snaps mitzubekommen. Heisman, der sowohl ausgebildeter Jurist, als auch Bühnenschauspieler war, wählte das Wort sowohl wegen der Kürze der Silbe, als auch wegen dem Bedeutungszusammenhang: mit dem Signal beginnt der Ball das Feld entlang zu “wandern”. Für die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts dominierte dieser Ruf die Spielfelder Amerikas. Wieso konnte es sich nicht halten?
“Hike benutzen nur noch Leute außerhalb vom Football”, sagte Spencer Long, Center bei den Washington Redskins in einem Interview mit der New York Times und vermutet, dass es einfach zu schwer auszusprechen sei. Wenn “Hike” schon artikulatorisch zu anspruchsvoll für die Kommunikation auf dem Feld ist, kann man vielleicht nachvollziehen, dass “Now” ebenfalls aus dem Rennen ausscheidet. Aber “Go”? Immerhin ist es eines der kürzesten Verben der Sprache.
“Ich habe keine Ahnung, wieso wir ‘hut’ sagen”, sagte Jason Kelce. Der Center der Philadelphia Eagles wird auch beim 52. Superbowl am 4. Februar auf dem Platz stehen und gespannt darauf warten, dass sein Quarterback Nick Foles “Hut!” brüllt, um ihm den Ball zuzuspielen und dann mit aller Kraft den Defensiv-Spieler, der ihm gegenübersteht daran zu hindern, an ihm vorbeizukommen. “Ich schätze es klingt einfach besser als ‘Now’ oder ‘Go’. Ich habe schonmal Leute gehört, die ‘Go’ benutzen und das klingt furchtbar. Überhaupt nicht nach Football.”
Fantasie-Codes, um den Gegner im Unwissenden zu lassen
Joe Theismann, ehemaliger Quarterback der Redskins, vermutet, in seiner Karriere mehr als 10.000 mal “Hut” gerufen zu haben. “Ich habe angefangen, als ich 12 Jahre alt war und seit dem habe ich mich 55 Jahre lang durch Football durchgehuttet - ich habe aber keine Ahnung wieso”, sagte Theismann der NYT. Justin Tuck, ehemaliger Defensive End (Achtung, Anglizismus: Defensivspieler am äußeren Ende der Abwehrlinie) bei den New York Giants sagte in einem von der NFL produzierten Film vor einigen Jahren: “Könnt ihr euch vorstellen, wenn sie Bacon! Bacon! rufen würden? Alle würden sich hungrig umsehen…” und machte damit einen validen, wenn auch ein bisschen albernen, Punkt.
Dabei hört man jede Menge scheinbar zusammenhanglose Begriffe, die von den Quarterbacks vor dem Spielzug übers Feld gebrüllt werden. Farben-Zahl-Kombinationen etwa können einen bestimmten Spielzug ansagen, der entweder links oder rechts übers Feld gelaufen werden soll. Ein Beispiel: “Blue 16” könnte für einen angetäuschten Laufspielzug stehen, der eigentlich als langer Pass über die rechte Feldseite geworfen wird.
Oft sind solche Ansagen auch dazu da, um die Gegner zu verwirren. Der Quarterback könnte mit seinem Kauderwelsch beispielsweise seiner Mannschaft zu verstehen gegeben haben, dass der Ball nicht beim ersten “Hut!” gesnappt werden soll, sondern erst beim zweiten oder dritten. Bewegt sich die Defensive aber schon beim ersten Ruf und bevor der Ball in der Luft ist, gibt es eine Strafe zugunsten der Angreifer.
Unvergessen verwirrend sind Rekord-Quarterback Peyton Manning und sein Markenzeichen-Ruf: “Omaha!” "Omaha ist ein Lauf-Spielzug, könnte aber auch ein Pass-Spielzug sein. Oder ein Play-Action-Pass, der von ein paar Dingen abhängig ist: Wann und in welche Richtung gehen wir, welche Jerseys tragen wir. Es ändert sich also von Spielzug zu Spielzug", erklärte der zweimalige Superbowl-Gewinner (Indianapolis Colts und Denver Broncos) einmal wenig hilfreich. Immerhin - die Stadt in Nebraska war so begeistert von Mannings Codewort, dass sie ihm den symbolischen Schlüssel zur Stadt überreichte.
Folgt man der Logik, könnte man erwarten, dass die Quarterbacks der Liga so etwas rufen wie “Los Angeles” oder “White House!” (um einen besonders extravaganten Schlüssel überreicht zu bekommen) - trotzdem hört man “Hut!”
Ursprung des Wortes liegt im Zweiten Weltkrieg
Tight End (Offensiv-Spieler, der sowohl Gegner abwehrt, als auch selbst Bälle fangen kann) der Baltimore Ravens Benjamin Watson sagte der New York Times: “Ich hab mir nie viele Gedanken um ‘hut’ gemacht, außer, dass es kraftvoll klingt. Der Quarterback brüllt einen kurzen, scharfen Laut und Männer rennen aufeinander zu.” Genau darin liegt auch die tatsächliche Begründung für den merkwürdigen Ausdruck. Nach dem zweiten Weltkrieg bestand die NFL zu großen Teilen aus Männern, die in der Armee gedient hatten. Zwecks der besseren Verständigung auch über Kampfeslärm hinweg, hörte man oft “hut” anstelle von anderen Silben: Anstatt des Marschkommandos “One-Two-Three-Four”, brüllten Befehlshaber “Hut-Two-Three-Four”, denn die härteren Laute des sinnlosen Wortes waren besser zu hören.
Auf dem selben Weg fand der Ruf Eingang in die NFL. In der Liga, die selbst an fragwürdigen Teamnamen (die Redskins sehen sich oft mit Rassismus-Vorwürfen konfrontiert) aus Traditions-Gründen festhält, hat sich so die bedeutungsleere Silbe festgesetzt und wird wohl so bald auch nicht ausgetauscht. Bleibt nur noch zu klären, wieso um alles in der Welt ein Sport, in dem der Ball den Großteil der Zeit entweder getragen oder geworfen wird, ausgerechnet Foot-Ball heißt.