Ex-Bundestrainer Schuster erklärtWie Skispringer den Mut für ihren Sport aufbringen

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Stephan Leyhe am Oberstdorfer Himmel

  • Bei der Vierschanzentournee kann man es wieder bewundern: den Mut der Skispringer, die Schanze herunterzufahren – ohne den Landepunkt zu sehen.
  • Ex-Bundestrainer Werner Schuster erklärt, welche Anforderungen der Sport an die Athleten stellt und wie sie mit den Risiken umgehen.

Köln – Wer mal das Vergnügen hat, sich oben auf einer Skisprungschanze auf den Balken zu setzen, von dem aus die Anfahrt auf die Absprungkante beginnt, wird über das, was er sieht, erst einmal so sehr erstaunt sein, dass ihm die Knie zittern. Denn von da oben erkennt man vom Aufsprunghügel nur einen kleinen Buckel, aber man kann nicht mal erahnen, wo ein Skispringer landen wird. Der Hang, auf dem man später seinen Sprung abschließt, fällt hinter diesem Buckel fast senkrecht ab. Was die Zuschauer im Fernsehen sehen, ist tatsächlich sehr fulminant, sogar auch extrem angsteinflößend, wenn da die Kerle reihenweise nach dem Absprung hoch durch die Luft segeln, parallel zu diesem steilen Landehügel.

Aber ungeübt schafft es dort niemand herunter. Also beginnt auch der später  beste Skispringer sehr klein.  Kinder springen mal fünf, mal zehn, mal 15 Meter weit – und wenn man das so Stück für Stück steigert und verinnerlicht, gewöhnt man sich an die Geschwindigkeit, den Luftstand und das Schwebegefühl. Das alles muss man sehr nachhaltig aufbauen. Nur so ist es zu erklären, dass ein Mensch später auf Sprungskiern angstfrei, aber sehr wohl voller Adrenalin, seine Aufgabe bewältigen kann. Skispringer können also ihren Respekt oder ihre Angst mit gelerntem Verhalten überwinden. 

Zur Person

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Werner Schuster

Werner Schuster, geboren am 4. September 1969 im österreichischen Hirschegg, ist früherer Skispringer und war von 2008 bis 2019 deutscher Skisprung-Bundestrainer. Als Aktiver kam Schuster meist in zweitklassigen Wettkampfserien zum Einsatz, 1995 beendete er seine Karriere. Im Anschluss ließ er sich zum Trainer ausbilden und wurde 2007 Chefcoach in der Schweiz. Als deutscher Bundestrainer führte er seine Springer zu mehreren WM-Titeln und Olympiasiegen. Schuster ist verheiratet und hat zwei Kinder. (ksta)

Die Anforderungen beim Skispringen sind nun aber sehr facettenreich. Ruhige Verhältnisse haben die  Athleten sehr gut im Griff. Das erledigen sie wie ein Fußballer einen Schuss aufs Tor.  Aber es gibt  eine Variable, die das Springen verkompliziert – den Wind. Dann weiß der Springer nicht mehr, was ihn erwartet. Das macht es schwierig, ans Limit zu gehen. Jungen Springern müssen wir Trainer im Training  unbedingt mitgeben, was sie in solchen Situationen tun müssen.  Für die Springer des Nationalteams würde ich in solch einer Situation einen Funkspruch absetzen und sagen: „Die Jury hat alles im Griff. Ich bin aber ja auch noch da. Wenn ich euch den Sprung freigebe, sind die Verhältnisse auch zu bewältigen.“

Negative Erlebnisse mit positiven Erfahrungen überschreiben

Skispringen jedoch ist und bleibt eine Risikosportart.  Sollte es mal zu einem Sturz kommen, wäre es von großem Vorteil, wenn ein Springer nicht bewusstlos in ein Krankenhaus transportiert werden muss. Dann kann man auf die Momente zugreifen, die zum Sturz geführt haben. Und den Unfall   gemeinsam anhand von Videomaterial aufarbeiten. Ein, zwei schwere Stürze belasten den Sportler nicht, die kann er einordnen. Bei positiven Ergebnissen wird das negative Erlebnis zudem  mit neuen, schönen Erfahrungen überschrieben. Auf diese Weise hätte ein Sturz keine Auswirkungen auf das Risikoverhalten eines Springers.

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Der Pole Piotr Zyla nach einem Sturz in Wisla

Knifflig wird es für die Athleten grundsätzlich immer dann,   wenn sie bereit sind, ans Limit zu gehen, um eine herausragende Platzierung zu erreichen. Der Körperschwerpunkt ist in der Luft weiter vorne, wenn ich viel riskiere. Wenn ein Springer  merkt, es geht sehr weit – dass er den Absprung super erwischt hat, ein tolles Luftpolster unter sich spürt, dass er die notwendige Höhe und Geschwindigkeit besitzt, dass er außerdem in sich das Gefühl spürt,  leicht in der Luft zu liegen und zudem ein Landekonzept mit Telemark-Aufsprung besitzt  – dann muss er allen Mut zusammennehmen, um seine extreme Vorlage   beizubehalten und die Chance auf große Weite  zu nutzen. Das ist die Kunst des Skispringens: Das Risiko nehmen und  bewältigen.

Andreas Wank hat Höhenangst

Mut zu schulen, ist bei jungen Springern leichter. Da kann man viel mit Zureden und dem Weitergeben von Erfahrungen entwickeln. Das ist aber grundsätzlich auch eine Persönlichkeitsfrage. Markus Eisenbichler aus dem deutschen Team etwa ist einer der letzten Springer der alten Sorte, fast ein Freak. Er riskiert immer wahnsinnig viel. Mut ist aber sehr spezifisch und sehr individuell. Unser Team-Olympiasieger Andreas Wank etwa hatte Höhenangst. Der hat sich kaum getraut, nach hinten vom Sprungturm hinunterzuschauen. Aber da vorne runterzufahren, war kein Problem für ihn. Er wusste ja, was er dabei zu tun hatte. Noch ein Beispiel: Ich war mal mit meinem Team beim Wasserspringen. Das war jetzt nicht so, dass   die Jungs danach gelechzt haben, vom Zehnmeter-Turm zu springen. Das war für sie ungewohntes Terrain, da haben sie sich sehr unsicher gefühlt. Da musste man sie erst heranführen.

Aufgezeichnet von Stephan Klemm

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