Neuer RomanUlrike Schwieren-Höger aus Heimbach-Vlatten über Alt-68er und die Liebe
Heimbach-Vlatten – Leben und Scheitern auf dem Dorf: Es geht um Utopien und den Glauben daran in Ulrike Schwieren-Högers neuem Roman „Diese ganze verfluchte Sehnsucht“.
Das hier ist ein Träumchen – die Idylle aus gekonnt angelegtem, wild wucherndem Garten und dem Altertümchen-Wohnhaus daneben. Um das Laubdach des Wilden Weins im Halbschatten blüht es üppig, es summt und brummt: Vlatten ist – wie viele Eifeldörfer – einfach schön.
Themen spielen in vielen Eifeldörfern eine Rolle
Das könnte die ideale Kulisse für den zweiten Roman der gelernten Redakteurin und Reiseführer-Autorin Ulrike Schwieren-Höger sein, die mit ihrem Ehemann seit mehr als 40 Jahren in diesem Vlattener Träumchen lebt. „Vlatten ist aber eigentlich nur am Rande drin“, so Schwieren-Höger stattdessen. Themen, die sie in „Diese ganze verfluchte Sehnsucht“ beschreibt, spielen in vielen Eifeldörfern eine Rolle.
Karl Prangenstädt, die Hauptfigur des Romans, ist zu Beginn auf der ganzen Linie gescheitert. Ein verbitterter Intellektueller, ein Alt-68er, den es aus dem Journalistenjob und der Großstadt aufs Land vertrieben hat, wo er ein Häuschen geerbt hat. Prangenstädt hat erleben müssen, dass das ganze „auf dem Weg sein“ (Schwieren-Höger) zu einer besseren und gerechteren Welt erfolglos blieb. Kleine Erfolge wie die freie Liebe nicht ausgeschlossen. Doch das große Ganze ist nach wie vor, wie es immer war: ungerecht. Jetzt will er sich auf dem Land schlicht dem Suff und der Vorbereitung aufs Ableben ergeben. So scheint es.
Vlattener Windkraft-Debatte im Roman verarbeitet
Stattdessen trifft Prangenstädt auf ein Leben, das er vermutlich nicht erwartet hat: Bauer Weckes etwa, den die nicht mehr auskömmlichen Milchpreise umtreiben, das verwirrte Ömchen, das als Side-Kick durch die Handlung geistert, Enkeltochter Susanne, die nichts wie weg will, und Andreas, ein Fridays-for-Future-Idealist, der den alten Prangenstädt zum Widerstand gegen Windkraftinvestoren aufrütteln will und ihm näher steht, als der glaubt.
„Ich habe da durchaus reale Gegebenheiten beim Schreiben mitbedacht“, so Schwieren-Höger. In Vlatten ist die Windkraft-Debatte ein ganz aktuelles Thema. Die Milchpreise spielen unweit von Vlatten bei den Milchbauern eine existenzielle Rolle.
Hilfe bei der Schreibweise des Bördedialekts
Doch Eins-zu-eins spiegelt die Autorin das Leben im Bördedorf natürlich nicht wider. Allenfalls den Bördedialekt baut sie ein. Ein Eifeler hat ihr bei der Schreibweise geholfen. So lässt Schwieren-Höger ihren Bauer Weckes im Roman auch früh einen Schlüsselsatz sagen: „Alle kale, wat könne mer donn?“
Das ist als Appell zu pragmatischer Selbsthilfe und Widerstand gegen Windkraft und Milchpreise gemeint. War ein solcher Widerstandsgeist nicht auch einst die Maxime der Alt-68er? Prangenstädt, der symbolträchtig zu Romanbeginn Fernseher und Tablet aus dem Fenster des Häuschens auf dem Dorf wirft, packt das an seiner Ehre. Am Ende gibt es ein „Kuh-in“ in einer Parkbucht an der nahen Bundesstraße, das kläglich im Fiasko endet. Und nicht nur diese Form des Widerstands.
Protagonist mit Neustartversuch in Köln
Ulrike Schwieren-Höger ändert danach nicht nur die Orte der Handlung, als Prangenstädt fluchtartig dem Dorf den Rücken kehrt und nach Köln zurückkehrt. Sie führt auch mit Luise, seiner vergessenen großen Liebe, eine zweite Hauptfigur ein. Aus den etwas kurzatmigen Schilderungen zuvor, passend zum Neustartversuch Prangenstädts, wird nun ein atmosphärisch dichtes, fließendes Erzählen. Das Kölner Bürgerzentrum Alte Feuerwache in der nördlichen Altstadt und die bekannte Kneipe „Weinhaus Vogel“ am Eigelstein werden Handlungsorte. Die verruchte Gasse Im Stavenhof kennen Schwieren-Höger und ihr Ehemann. „Da haben wir als junge Leute in einer Bude gewohnt, die wir uns umgebaut hatten.“ Hierhin zieht es nun auch die beiden Protagonisten.
Was der Autorin vor allem im letzten Fünftel des Romans gelingt, ist die sensible Schilderung des Neubeginns einer alten Liebe: von unsicheren, tastenden, ersten Versuchen bis zur Erotik zweier alter Menschen. Prangenstädt und seine Luise, das waren einmal „Elbe“ und „Herr Frodo“, Sagengestalten aus dem „Herr der Ringe“ von J.R.R. Tolkien. Ein Bestseller wie die „Aussteiger-Bibel“ (Schwieren-Höger) von Henry David Thoreau: „Walden, oder Leben in den Wäldern“, die in ihrem Roman mehrfach erwähnt wird.
Leicht gefühlsselige Liebesgeschichte
„Die Liebesgeschichte ist schon etwas gefühlsselig geworden“, sagt Schwieren-Höger schmunzelnd. Die Verlagslektorin habe schon befürchtet, dass man „auf dem Niveau eines Groschenromans“ landen werde. So liest sich „Diese ganze verfluchte Sehnsucht“ am Ende nicht, stattdessen berührt diese Liebe, die aber keine direkte Zukunft verspricht. Das Ende des Romans ist offen. Es gibt keinen neuen Lebensentwurf, auch das Schicksal des Dorfes, das gegen die Investoren der Windkraftanlagen kämpft, bleibt ungeklärt.
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Nur noch im Klappentext konnte die Autorin vor der Drucklegung den Hinweis auf den Krieg in Europa unterbringen, mehr Update war nicht mehr möglich. Was für ein Thema für einen Alt-68er wie Karl Prangenstädt wäre das gewesen!
Ulrike Schwieren-Höger, Diese ganze verfluchte Sehnsucht, 224 Seiten, Grenz-Echo Verlag, 2022. 15 Euro. ISBN 978-3-86712-173-6