Der Kölner Spielecicus feiert sein 40-jähriges Bestehen. Wir blicken zurück auf die Anfänge und verraten, was das Projekt mit der Stunk-Sitzung verbindet.
40 Jahre Kölner SpielecircusAm Anfang war auch Jürgen Becker
„Hereinspaziert, hereinspaziert…“, wer kennt es nicht: Zirkusluft und Zauber der Manege warten nach solch einer Begrüßung. Im Kölner Spielecircus kann sich das „hochverehrte Publikum“ seit 40 Jahren auf Clownerien, Akrobatik und Jonglage freuen. Die eigentliche Sensation aber sind die strahlenden Augen der Kinder, die als Hauptakteure in der Manege voller Stolz Kunststücke zeigen, die sie wenige Tage zuvor oft noch gar nicht beherrschten.
Spielecircus hat in Köln viel bewegt
Der Satz „Jeder Mensch ist und kann etwas Besonderes“ ist nicht von ungefähr wesentlicher Bestandteil des pädagogischen Leitbilds beim Spielecircus. Was vor 40 Jahren als Initiative begann, ist längst zur Institution geworden, die – auch im Wortsinn – in Köln viel bewegt hat.
Es begann 1983 mit einem Aushang-Zettel einer FH-Studentin der Sozialpädagogik: „Wer macht mit beim Kölner Spielecircus?“ war darauf zu lesen. Zwei Dutzend junge Menschen, angehende Sozialarbeiter und Lehrer, fühlten sich davon angesprochen, eine Arbeitsgemeinschaft zu gründen, um damit zugleich auch pädagogisches Neuland zu betreten. Vorbild war der 1979 in Berlin gegründete „ufaFabrik Circus“.
Mit dem Trecker zu Spielplätzen
Mit Trecker und Zirkuswagen fuhren die 12 Frauen und 12 Männer in den ersten Jahren zu Bauspielplätzen, um dort mit Kindern und Jugendlichen innerhalb weniger Stunden ein Programm einzuüben und aufzuführen – aufsuchende mobile Arbeit heißt das in der Fachsprache. „Das war etwas ganz Neues und es gab schnell überschwängliche Rückmeldungen“, erinnert sich Heiner Kötter, Mitbegründer und geschäftsführender Vorstand des Spielecircus.
„Mitlachen – mitlachen“ lautet seit 40 Jahren das Zirkusmotto. Es stehe, so Kötter, für den integrativen Ansatz, der das Projekt bis heute verfolge. Selbstverständlich ist es hier, dass alle, die mitmachen, sich auf Augenhöhe begegnen. „Wir hatten dabei auch den pädagogischen Anspruch, alte starre Systeme zu verändern“, sagt Kötter.
Jürgen Becker und die Stunker
In den ersten drei Monaten traf sich die Gruppe in einem Haus am Ubierring, ehe ein alter Bauernhof in Immendorf für fünf Jahre Domizil des Spielecircus wurde. „Ich erinnere mich, dass wir den Kuhstall zu einem Trainingsraum umfunktionierten und in den Scheunen Trecker und Zirkuswagen ihren Platz gefunden haben“, erzählt Kötter. Zu den Mitstreitern der ersten Jahre gehörte auch Jürgen Becker, der später als Kabarettist Karriere machte. Becker, gelernter Druckvorlagenhersteller, entwarf das heute noch verwendete Zirkus-Logo.
Als den Zirkusleuten, die ihre Manege in der Stadt und dem Umland unter freiem Himmel aufschlugen, der erste Winter bevorstand, schlug Becker ein karnevalistisches Bühnenprogramm vor: „Aber Stunk statt Prunk“ – das war die Geburtsstunde der Stunksitzung. Im Sommer Zirkustournee, im Winter alternativer Karneval – das war das Wechselspiel der Truppe für einige Jahre. Weil sich beides gut entwickelte und alle inzwischen ihr Studium beendet hatten, stand bald die Frage Strukturänderung an. „Das war schon schmerzhaft, aber wurde sehr partnerschaftlich vollzogen“, sagt Kötter, der den Kölner Spielecircus heute gemeinsam mit Josef Hense als einziger aus der Kernmannschaft weiterführt.
„Für die Weiterentwicklung unseres Projekts hat uns mein Sonderpädagogikstudium geholfen. Fast zufällig sind wir in die Lehrerfortbildung hineingerutscht. Das brachte viele neue Kontakte und Konzepte für pädagogische Projekte“, sagt Kötter im Rückblick. Der Kölner Spielecircus, rasch zum geschätzten Partner von Kindergärten, Schulen und Jugendzentren geworden, bezog 1987 sein Domizil in der Ehrenfelder Wißmannstraße.
Seit 2015 in Vogelsang zuhause
Seit 2015 ist der Kölner Spielecircus in Vogelsang beheimatet. Themen wie Persönlichkeitsentwicklung und Selbstwertgefühl, Konflikt- und Kommunikationsfähigkeit sowie Integration und Partizipation stehen seit je her im Zentrum der Arbeit. Förderungen durch öffentliche Programme oder Stiftungen waren stets wichtig für die Arbeit. „Seit rund 25 Jahren werden wir auch von wir helfen unterstützt“, freut sich Kötter.
Die Aktion des „Kölner Stadt-Anzeiger“ für Kinder in Not hat unter anderem Sprachcamps für Migrantenkinder gefördert, Projekte gegen Gewaltprävention und etliche zirkuspädagogische Angebote. Neben den Aktionen auf Spielplätzen und Freiflächen, baute das Team die eigene Zirkusschule auf. Hier wird inzwischen auch partizipative zirkuspädagogische Arbeit für und mit beeinträchtigten jungen Menschen geleistet.
Kollegen sind zeitgleich auch Freunde
Ilka Liesendahl und Britta Happel gehörten zu den ersten Schülerinnen, die an Kursen der Zirkusschule teilnahmen. Heute sind sie Teil des Teams. Viele Kinder und Jugendliche bleiben über Jahre dabei. „In den Kursen bilden sich Freundschaften, wird Gemeinschaft gelebt“, sagt Liesendahl. „Und im Team wird es vorgelebt“, ergänzt Happel – Kolleginnen und Kollegen sind zugleich auch Freunde. Das macht wohl auch die Authentizität des Unternehmens aus, dem heute 17 Angestellte und rund 30 Honorarkräfte angehören. Ein breites Portfolio an Kursen, Workshops, Projekten, Fortbildungen für Teams und Kinder- und Familienfesten bildet heute den Kern des Geschäfts. Statt aus Trecker und Zirkuswagen besteht der Fuhrpark aus drei Transportern, häufig durch zusätzliche Mietwagen ergänzt.