Kein Abstand möglichFamilien mit behinderten Kindern leiden gerade besonders
Köln – Steffi Richrath und Ivonne Becker machen sich die gleichen Sorgen, die sich gerade viele Mütter machen. Dass die ganze Klasse von heute auf morgen in Quarantäne muss. Dass ihre Kinder in der Zeit des Abstandhaltens vereinsamen. Und natürlich: die Angst vor dem Coronavirus.
Doch die Sorgen von Richrath und Becker sind auch ganz anders als von anderen Müttern. Ihre Kinder sind schwer krank. Sie brauchen Hilfe, bei allem, was sie tun. Abstand halten ist nicht möglich und doch wäre eine Corona-Infektion eine extreme Gefahr für die mehrfach behinderten Kinder. Wie meistern sie ihren Alltag in diesem Jahr, das bereits gesunde Familien an ihre Grenzen bringt?
Durch die Straßen schlendern ist zu gefährlich
„Wenn wir mal rausgehen, fahren wir höchstens in den Wald“, erzählt Becker im Video-Chat über ihr Familienleben. Ihre Tochter Anika und ihr Sohn Aron leiden beide seit Geburt an einer Fehlbildung des Gehirns, sie sitzen im Rollstuhl und sind geistig behindert. Mal durch die Straßen schlendern oder zu einem Kindergeburtstag gehen, ist zu gefährlich. Aron und Anika sind von der Maskenpflicht befreit, deshalb trauen Becker und ihr Mann sich mit ihnen nirgendwohin, wo andere Menschen sind.
Auch in der Förderschule hat Becker kein gutes Gefühl, obwohl die Klassen deutlich kleiner sind als in der Regelschule. „Trotzdem mussten schon diverse Klassen an unserer Schule in Quarantäne. Ich sitze eigentlich nur hier und warte, dass das Telefon klingt“, sagt Becker. Abstandsregeln sind schließlich kaum einzuhalten, wenn viele Schüler auf körperliche Hilfe angewiesen sind.
Ehrenamtler kommt weiterhin einmal in der Woche
Generell steht Becker seit Monaten extrem unter Strom, sagt sie. Denn der hochgradig durchorganisierte Alltag der Kinder, in dem jedes Rädchen ins andere greift, vom Schulbus und der Unterrichtsbegleitung in der Förderschule, über Therapien und Sport bis zu ehrenamtlichen Helfern, ist seit März nahezu zusammengebrochen. Der Fahrdienst wollte die 16-jährige Anika und den 12-jährigen Aron wochenlang nicht mitnehmen, weil sie keine Masken tragen. Gruppentherapien und Sport in der Schule finden nicht mehr statt. In den ersten acht Wochen der Schulschließungen war die Familie komplett isoliert. „Ich will gar nicht zurückdenken“, sagt die Mutter. Danach kamen die Schulbegleiterinnen der Kinder nach Hause und versuchten die beiden, so gut es geht, sinnvoll zu beschäftigen.
Auch eine weitere Hilfe im anstrengenden Alltag ist seit längerem wieder angelaufen: Walter, „unser Opa“, wie Becker ihn mit einem Lächeln nennt. Er ist Ehrenamtler des Ambulanten Kinderhospizvereins Köln und kommt seit vielen Jahren einmal in der Woche, um mit den Kindern zu spielen, Musik zu hören oder spazieren zu gehen. Der Verein unterstützt in Köln etwa 80 Familien mit Kindern und Jugendlichen, die an einer lebensverkürzenden Krankheit leiden.
Ob die ehrenamtlichen Helfer auch während des aktuellen Lockdowns in die Familien gehen, entscheiden diese individuell, erklärt Gerhard Stolz, der den von „wir helfen“ unterstützten Dienst in Köln koordiniert. „Ich schätze, drei Viertel der Familien entschieden sich dafür“, sagt der Koordinator. Weil die ehrenamtlichen Helfer zwar ein zusätzliches Risiko aber oftmals auch die einzigen sozialen Kontakte für die Kinder sind. Sie bringen für ein paar Stunden Abwechslung oder wie Steffi Richrath sagt: „Sie sind gerade wie Ersatz-Freunde.“
Video-Chat ist keine Option
Auch Richraths Tochter Julin ist körperlich und geistig schwerbehindert, sie leidet unter einer unheilbaren Muskelerkrankung. Nach einer komplizierten Operation liegt sie seit Monaten überwiegend im Bett und vermisst ihren gewohnten Alltag. Video-Chat ist für sie keine Option, das Mädchen ist blind. Kontakte außerhalb der Familie hat sie sonst nur zu ihrer Schulhelferin und den Nachtschwestern. Richrath, ihr Mann und die Zwillinge Jana und Ben vermeiden jegliche unnötige Besorgung, Verwandte oder Freunde kommen schon lange nicht mehr zu ihnen. Auch das Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ findet per Video-Chat statt. „Wir haben auch Angst, Julin wieder in die Schule zu schicken“, sagt die Mutter, die selbst als Krankenschwester arbeitet.
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Der Kinderhospizdienst hilft nicht nur im Alltag, sondern auch, wenn ein schwer krankes Kind stirbt.„Die Trauerarbeit ist gerade deutlich schwieriger“, sagt Stolz. Die Familien könnten Beerdigungen gerade kaum frei gestalten, alles darf nur in kleinem Rahmen stattfinden. Die jährliche Gedenkfeier des Vereins für verstorbene Kinder wird virtuell stattfinden. „Sie ganz ausfallen zu lassen, wäre das falsche Signal gewesen“, sagt Stolz. Genau wie die ehrenamtlichen Helfer will auch er weiterhin für die Familien da sein.
So können Sie helfen
Mit unserer Aktion „wir helfen: damit unsere Kinder vor Gewalt geschützt werden“ bitten wir um Spenden für Projekte, die sich für ein friedliches und unversehrtes Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen in unserer Region einsetzen. Die Spendenkonten lauten:„wir helfen – Der Unterstützungsverein von M. DuMont Schauberg e. V.“Kreissparkasse Köln, IBAN: DE03370502990000 162155Sparkasse Köln-Bonn, IBAN: DE21 37050198 0022252225